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Jahrzehnte nach dem Krieg Jahrzehnte nach dem Krieg: Warum die Kampfmittel-Beseitiger noch immer gebraucht werden

17.08.2019, 07:18
In einem Lagerraum stehen Tausende von entschärften Kampfmitteln - in allen Farben, Formen und Größen.
In einem Lagerraum stehen Tausende von entschärften Kampfmitteln - in allen Farben, Formen und Größen. Michael Bertram

Dresden - uch Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sind Bombenentschärfer und Munitionsexperten des Kampfmittelbeseitigungsdienstes in Sachsen gefordert. „Aber der Schwerpunkt hat sich verlagert“, sagt der Sprecher des dafür zuständigen Polizeiverwaltungsamtes, Jürgen Scherf.

Nachdem seit 1990 bislang vor allem Flächen für Gewerbegebiete und Siedlungen von Munition befreit wurden, rückten nun bisher nicht bearbeitete verseuchte Flächen in unbewohnten Regionen in den Blick.

Für diese systematische Gefahrenabwehr fehlte bisher die Zeit. Dazu gehört etwa das Polygon in Belgern, ein ehemaliger Luftabwurfplatz der Sowjetstreitkräfte 1945. „Dort wurde sieben Tage die Woche 24 Stunden und 365 Tage im Jahr Bombenabwurf trainiert“, beschreibt Scherf die Dimension. Seit 1992 konnten erst zwei Drittel der Fläche von Munition gesäubert werden.

Der Kampfmittelbeseitigungsdienst wurde im Juli 1949 als zentrale Abteilung Vernichtung von Kriegsgerät bei der Landespolizei eingerichtet. Er übernahm Planung und Organisation der Kampfmittelräumung für Sachsen. Aber auch schon vorher, nach den Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg, waren Blindgänger und Luftminen entschärft worden.

Hatte in den 1950er Jahren die Munitionsräumung in den stark zerstörten Städten Vorrang, um Flächen für Wohnungsbau und Infrastruktur zu sichern, waren es später Areale für Braunkohletagebau und –aufbereitungsanlagen sowie Chemiewerke. Ab 1962 ging es dann immer mehr um Baumaßnahmen.

Kampfmittelbeseitigungsdienst in Sachsen: Das brauchen die Sprengstoff-Experten für ihre Arbeit

„Parallel dazu gab es Einsätze, wenn bei der Feldarbeit oder von Spaziergängern Munition entdeckt wurde“, berichtet Scherf. „Das begleitet uns bis heute.“

Aktuell sind acht Teams mit je einem Sprengmeister sowie Munitionsräumarbeitern im Einsatz. „Man braucht starke Nerven, eine gefestigte Persönlichkeit, hohes technisches Wissen, umfangreiche Kenntnisse in Chemie und Metallurgie, eine ruhige Hand und ein gutes Auge“, sagt Scherf. „Der Rest ist Erfahrung.“

Schwerpunkt der Tätigkeit sei nicht die spektakuläre Bombenentschärfung, sondern die Beseitigung der Unmengen an Artillerie- und Handwaffenmunition, betont Scherf. Wie viel noch im Boden liegt, ist unklar.

„Wir wissen ja nicht, was genau verschossen und vergraben, was produziert wurde.“ Aber allein in den letzten fünf Jahren wurden laut Statistik mehr als eine Million Kilogramm Munition, Sprengstoff und Waffen geborgen. Darunter waren auch Bomben, Patronen für Handwaffen und Geschütze oder verrostete Karabiner, Maschinengewehre, Flakgeschütz- oder Panzerteile.
Der Kampfmittelbeseitigungsdienst der sächsischen Polizei hatte im vergangenen Jahr 792 Einsätze an 349 Fundstellen.

Die Spezialisten bleiben so lange aktiv, „bis wir nichts mehr finden“, sagt Scherf. „Mit jeder Granate und jeder Patrone, die wir finden, kommen wir dem Ende ein Stück näher.“ Der Bauboom habe die Entwicklung beschleunigt.

Die fortschreitende Liegezeit der Bomben, Granaten und Patronen fordert jedoch die Sprengmeister neu heraus. „70 Jahre wirken in zwei Richtungen: die Munition explodiert schneller oder durch Korrosion passiert gar nichts mehr.“ Der Job werde unberechenbarer und anspruchsvoller. „Wichtig ist, Erfahrungen zu sammeln, was die Veränderung des Sprengstoffs, die lange Liegezeit im Boden, die Korrosion bedeuten.“ (dpa)