Interview mit Rüdiger Grube Interview mit Rüdiger Grube: «Bahnchef ist für mich die richtige Aufgabe...»

Berlin/MZ. - Zeit zum Durchatmen,Konzentrieren und den inneren Schweinehund zu besiegen. Im Bahnalltag gibt es für den 59-Jährigen wenig Gelegenheit zum Jubel. Mit einer Service- und Technikoffensive will Grube die Bahn wieder zu einem zuverlässigen, sympathischen Unternehmen machen. Das Gespräch führten Peter Kirnich und Günther Wiedemann.
Herr Grube, wenn man Ihnen den Chefsessel von Volkswagen, Siemens oder der Deutschen Bank anbieten würde, wofür würden Sie sich entscheiden?
Grube: Bahnchef ist für mich die richtige Aufgabe, die ich mit großer Leidenschaft ausübe. Aber rein theoretisch würde ich mich immer für einen Job entscheiden, der mit dem Thema Mobilität zu tun hat. Da kann ich mitreden. Ich kenne die Automobilindustrie sehr gut, die Luft- und Raumfahrtbranche und inzwischen das Schienenverkehrssystem.
Was begeistert Sie so an der Bahn? Wenn man über das Unternehmen spricht, dann meistens über unpünktliche Züge, Pannen und unzufriedene Kunden.
Grube: Was mich begeistert, sind unsere Mitarbeiter, ihr Geist, das Wir-Gefühl und ihre Leistungsbereitschaft. Ich besuche regelmäßig eine Region und gehe zu den Kollegen in den Stellwerken, Lehrwerkstätten und Betriebsleitzentralen.
... das hört sich ja an wie aus dem Lehrbuch für gute Unternehmensführung...
Grube: ...ich kann nicht nur im Berliner Bahntower sitzen und die Leute zu mir zitieren. Die Bahn ist hochkomplex: Wir transportieren täglich 7,3 Millionen Menschen in Deutschland. Das sind so viele, wie die größte deutsche Fluggesellschaft im Jahr in Deutschland befördert. Bei aller Leistung haben wir aber noch große Hausaufgaben vor uns .Vor allem in punkto Reiseinformation und Pünktlichkeit sind wir noch nicht da, wo wir hin wollen. Wir werden das auch nicht heute oder morgen schaffen. Das ist harte Arbeit. Wir sind noch nicht am Ziel, aber wir befinden uns auf dem richtigen Weg.
Sie rufen täglich Kunden an, um deren Beschwerden persönlich zu beantworten. Wie reagieren die?
Grube: Wenn wir unseren Kunden die Dinge ordentlich erklären, haben sie in der Regel Verständnis für Ärgernisse, die wir Ihnen beschert haben. Die meisten können gar nicht glauben, dass der DB-Chef persönlich am Telefon ist.Einmal hatte ich zufällig eine Beschwerde von Heidi Klum in der Hand. Als ich anrief, war ihr Vater dran. „Das ist ja wohl der neueste Marketing-Gag“, sagte der: „Jetzt doubelt die Bahn schon ihren Chef.“ Ich habe einige Zeit gebraucht, um Herrn Klum davon zu überzeugen, dass ich es tatsächlich bin.
Woran liegt es, dass die Bahn Pünktlichkeit und Service einfach nicht in den Griff bekommt?
Grube: Uns macht nach wie vor besonders die mangelnde Verfügbarkeit der Züge zu schaffen. Wir haben eine Flotte im Fernverkehr von 253 ICE. Die betreibt man in der Regel mit zehn Prozent Reserve. Die haben wir aber nicht mehr, weil wir einen Großteil der Züge bis zu zwölfmal häufiger in die Werkstatt zur Ultraschalluntersuchung der Radsatzwellen schicken müssen als früher. Das kostet Züge.
Da wäre es vielleicht doch besser, Sie wären Siemens-Chef. Dann hätte die Bahn zuverlässigere Züge!
Grube: Ich kenne Siemens-Vorstandschef Peter Löscher sehr gut. Wir haben uns zusammengesetzt und gemeinsam eine Lösung gefunden. Siemens beteiligt sich nun am Austausch der Achsen, ebenso Alstom. Doch die Zulassung und der Umbau dauern eben leider einige Jahre.
Im Nahverkehr sieht es nicht besser aus...
Grube: Das ist genau so ein Ärgernis mit der Fahrzeugindustrie: In Berlin stehen 90 fabrikneue Regionalzüge von Bombardier auf dem Abstellgleis, bis Ende des Jahres werden es über 160 sein. Das Eisenbahnbundesamt hat die Züge wegen gravierender Mängel bis heute nicht zugelassen. Wir brauchen sie aber dringend, denn wir haben sie in Verkehrsverträgen zugesagt. Nun stehen wir mit den alten Zügen da, zahlen Vertragsstrafe und die Kunden geben uns die Schuld.
Wie angespannt ist derzeit Ihr Verhältnis zur Bahnindustrie?
Grube: Wir haben mit den Unternehmen Tacheles geredet und gedroht, keinen einzigen Zug mehr zu kaufen, wenn sich die Qualität nicht verbessert. Das Ergebnis: Für neue Züge gibt es künftig erst Geld, wenn sie zugelassen und geliefert wurden, inklusive einer langen Probezeit. Zehn Prozent des Kaufpreises behalten wir bis zu sieben Jahre ein. Sollte sich zeigen, dass die Züge in der Zeit nicht den Ansprüchen genügen, halten wir das Geld zurück. Auch die Verantwortung für Herstellung, Entwicklung und Zulassung ist neu geregelt, die liegt jetzt allein beim Hersteller. Das ist ein großer Fortschritt.
Muss der Bahnkunde dann keine Angst mehr vor dem nächsten Sommer, geschweige dennWinter haben?
Grube: Ich möchte unseren Kunden gegenüber bei der Wahrheit bleiben. Die lautet: Es wird Schritt für Schritt besser, aber es braucht seine Zeit. Wenn ich heute sagen würde, im nächsten Jahr wird alles gut, wäre das gelogen.
Ab wann können die Reisendenmit Entspannungrechnen?
Grube: Ab 2014 haben wir deutlich mehr Züge zur Verfügung. Das wird sich dann spürbar auswirken.
Sie modernisieren in den nächsten Jahren ihre komplette Fernbahnflotte, vom IC bis zum ICE-3. Darüber hinaushaben siebis zu 300 neue ICx-Züge und neue Regionalzüge geordert. Was kostet das?
Grube: Wir investieren in den nächsten fünf Jahren 46 Milliarden Euro,34 Milliarden fließen in die Infrastruktur, auch in eine bessere Reiseinformation oder in Sicherheitsmaßnahmen,und zwölf Milliarden in neue Züge. Da ist der Sechs-Milliarden-Auftrag für die neue ICx-Flotte noch nicht einmal dabei, da diese Züge erst ab 2015 im Zulauf sind.
Wie viel kommt davon den Reisenden in Deutschland zugute, was fließt in ausländische Projekte?
Grube: In erster Linie werden davon Reisende in Deutschland profitieren. Das Geld wird zu 97 Prozent hier investiert. Und wir werden auch in den Jahren nach 2015 dieses hohe Investitionsniveau beibehalten. Da führt gar kein Weg dran vorbei.
Jede Menge davon wird in den Bahnhofsneubau Stuttgart 21 fließen. Warum halten Sie so unbeirrt an dem umstrittenen Projekt fest?
Grube: Der Finanzierungsvertrag hat keine Ausstiegsklausel. Er wurdeübrigens vier Wochen, bevor ich zur Deutschen Bahn kam, unterschrieben. Ich habe also gar keinen Spielraum, sondern alle Projektpartner unterliegen einer Projektförderungspflicht. Trotzdem haben wir dreimal unseren guten Willen gezeigt: die Schlichtung und den Stresstest akzeptiert; und nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg bis heute keine neuen baulichen Fakten geschaffen und Vergaben ausgesetzt. All das hätten wir nicht tun müssen.
Das heißt, demnächst werden sich Bagger und Kräne wieder drehen?
Grube: Die neue grün-rote Regierung fordert ohne rechtliche Grundlage, dass wir bis zur geplanten Volksbefragung im Oktober nicht weiterbauen. Solch ein Stopp kostet uns monatlich zehn bis 15 Millionen Euro. Baufirmen sprechen bereits von Schadensersatzforderungen, kleinen Subunternehmen droht der Konkurs, sie können keine Löhne mehr bezahlen. Wenn ich ein halbes Jahr verzögere, summiert sich das sogar auf mindestens 150 Millionen Euro. Wir sind verpflichtet, weiter zu bauen. Wenn jemand etwas anderes will,muss er für die entsprechenden Kosten und den Zeitverzug einstehen. Und wer ganz aussteigen will, muss wissen, dass die Ausstiegskosten über 1,5 Milliarden Euro betragen. Die müssten dann vom Land übernommen werden.
Alles wartet auf die Ergebnisse des Stresstests, bei dem sie nachweisen müssen, dass sie den neuen Bahnhof mit weniger Gleisen stärker auslasten, als den alten. Experten bezweifeln, dass Sie das können...
Grube: Ich nicht, wir gehen fest davon aus, dass wir den Test bestehen werden. Warten Sie es ab, denn es findet jetzt die Begutachtung durch die unabhängige Firma SMA – die übrigens von den Gegnern gefordert wurde – statt.