Hochschule Magdeburg-Stendal Hochschule Magdeburg-Stendal: Ein Haus aus den Zeiten vor Nikolaus
Magdeburg/MZ. - Ein Tag mitten im August. "Studenten arbeiten an den Steinplänen an der Westseite und führen Foto- und Vermessungsarbeiten durch", heißt es im Grabungstagebuch. "Arbeiter bewegen Sandschichten in Richtung Süden, Steine werden freigelegt." Dass es ein Sonntag ist, hat der Autor extra verzeichnet. Doch dasArbeitspensum unterscheidet sich kaum von dem an anderen Tagen: gegen 6 Uhr Arbeitsbeginn, Ende am frühen Nachmittag. 40Grad zeigt da nicht selten das Thermometer. Im Schatten! Die Luftfeuchtigkeit ist fast unerträglichhoch.
"Länger als drei Wochen halte ich das nichtaus", sagt Prof. Götz Grosche, den es dennoch regelmäßig an die türkische Mittelmeerküste zieht. Immer zur vorlesungsfreien Zeit im Sommer. Nun schon zum vierten Mal. 1997 hatte die Win- ckelmann-Gesellschaft angefragt, ob der Spezialist für Vermessungstechnik von der Hochschule Magdeburg-Stendal nicht Interesse habe, sich an der Ausgrabung einer antiken Stadt zu beteiligen. Grosche sagte ja, und steckte mit seinem Engagement Kollegen undinteressierte Studenten schnell an.
Ihr Ziel ist stets Patara, gelegen südlich von Antalya. Türkei-Urlauber lieben diesen Küstenabschnitt vor allem wegen der wunderbarenSandstände. Anderen ist die Stätte als Geburtsort des Heiligen Nikolaus ein Begriff, der in Patara um 280 zur Welt kam, später im 60 Kilometer entfernten Myra (heute: Kale) Bischof wurde und dort um das Jahr 351 auch starb.
Doch Prof. Grosche und seine Mitstreiter interessieren sich mehr für die antike Vergangenheit der Stadt: Sie war zu Beginn der Zeitrechnung Hauptstadt des lykischen Städtebundes und bedeutende Hafenstadt. Allerdings versandeten die Anlagen im Laufe der Zeit. Große Dünenbedecken heute das einst riesige städtische Areal. Genau dieser feine Sand war es auch, mit dem die Ausgräber und Vermesser aus Magdeburg in diesem Jahr besonders zu kämpfen hatten. Es seien vor allem grobe Arbeiten zu erledigengewesen, so Grosche. Doch im nächsten sollen feinere folgen.
In den ersten beiden Jahren waren in Patara vor allem die Vermessungstechniker gefragt, mit deren Hilfe ein Lageplan der antiken Stadt erstellt werden sollte. Mittlerweile haben die Grabungsleiter von der Archäologischen Fakultät Antalya den Magdeburgern jedoch dieAusgrabung eines ganz speziellen Gebäudes anvertraut, des so genannten Bouleuterions, das in der Blütezeit der Stadt möglicherweise Regierungssitz war. Gestrüpp, Schutt und Sandsind seither beseitigt, Funde freigelegt und vermessen sowie die einzelnen Steine numeriert worden. Am Computer entstanden erste virtuelle Rekonstruktionen, auf deren Basis später ein teilweiser Wiederaufbau des Gebäudes möglich werden könnte.
Große Schätze, nein die hätten sie bishernoch nicht gefunden, sagt Grosche. Nur denFuß einer Mamorstatue und beschriftete Wandsteine,die vielleicht einmal eine Prachtstraße schmückten.Aber den Vermessungsspezialisten interessiertdas Aussehen und die ursprüngliche Bauweisedes Gebäudes eigentlich viel mehr. Um diesesGeheimnis zu lüften, wird nicht nur jedereinzelne Stein exakt vermessen, sondern imgrößeren Kontext - beispielsweise im angrenzendenantiken Theater - auch neue fotometrischeTechnik ausprobiert, die räumliche Darstellungenermöglicht. "Die Studenten können so durchdie Archäologie vermessungstechnische Erfahrungensammeln", sagt Grosche, der jetzt damit beschäftigtist, die gesammelten Daten auszuwerten.
"Studenten arbeiten vorwiegend an der Einzelsteinaufnahme,Finden von Steinen mit Inschriften, Steinewerden abtransportiert" - Tagebucheintragungenvon den letzten Arbeitstagen in diesem Jahr.An dieser Stelle wird es weitergehen. Undbestimmt begleiten dann wieder angehende Architektenund Bauingenieure Prof. Grosche, der sichschon immer für die Antike interessiert hatund der es trotz des anstrengenden Klimasseit der Wende genießt, dieser Passion nunnachgehen zu können. Er ist sich sicher: "Solange ich das kann, fahre ich da hin."