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Hintergrund Hintergrund: Das ABC der Innenpolitik 2005

14.12.2005, 13:27

Berlin/dpa. - Wichtige Themen der Innenpolitik im auslaufendenJahr in alphabetischer Reihenfolge:

A wie Andrea Nahles: In einer Kampfabstimmung im SPD-Vorstand um denPosten des Generalsekretärs setzt sich die 35 Jahre alte Parteilinkeam 31. Oktober gegen den Wunschkandidaten des damaligen SPD-ChefsFranz Müntefering durch. Dieser kündigt den Rückzug als Parteichefan. Eine Abrechnung auf dem SPD-Parteitag in Karlsruhe bleibt aus:Im ersten Wahlgang schafft Nahles den Einzug in den Parteivorstand.

B wie Bundeskanzlerin: Am 22. November wählt der Bundestag AngelaMerkel als erste Frau zur Kanzlerin. Nachdem es bei derBundestagswahl für Schwarz-Gelb keine Mehrheit gab, hatten sichUnion und SPD in wochenlangen Verhandlungen auf die zweite großeKoalition der Bundesrepublik geeinigt. Die 51-jährige Protestantinist die erste Ostdeutsche und die erste Physikerin im Kanzleramt -und nie war ein Kanzler jünger.

C wie Cicero-Affäre: Die Durchsuchung der Redaktion des Magazins«Cicero» und der Privatwohnung des Mitarbeiters Bruno Schirra imSeptember empört Journalisten, Verleger und Parteien. Hintergrundder Aktion sind Ermittlungen wegen Beihilfe zum Geheimnisverrats.Schirra hatte in einem Artikel über den Terroristenführer Abu Mussabal-Sarkawi aus vertraulichen Unterlagen des Bundeskriminalamtszitiert. Das Innenministerium hatte der Strafverfolgung zugestimmt.

D wie Demoskopie: Die Umfrageinstitute erleben bei derBundestagswahl ein Desaster - die Bürger wählen ganz anders alsvorausgesagt. Über Monate ist die Union in Umfragen Favoritin,zeitweise scheint eine absolute Mehrheit möglich. Erst kurz vor derWahl holt die SPD auf - dank des Einsatzes des damaligen KanzlersGerhard Schröder. Die Union stürzt auf 35,2 Prozent, die Mehrheitzusammen mit der FDP ist klar verpasst. Die Demoskopen erklären diefalschen Vorhersagen unter anderem mit der immer mehr schwindendenBindung an die Volksparteien.

E wie Elterngeld: Union und SPD wollen als eine der ersten großenReformen von 2007 an ein Elterngeld einführen. Abhängig vomEinkommen soll es für ein Jahr bis zu einer Höchstgrenze vonmonatlich 1800 Euro gezahlt werden - aber nur, wenn auch der Vatermindestens zwei Monate lang zu Hause bleibt. Nordrhein-WestfalensMinisterpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) hält die Vaterkomponenteaber für unsozial und verfassungswidrig.

F wie Frustrierte: Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU)legt sich bei einem Wahlkampfauftritt mit den Ostdeutschen an: «Ichakzeptiere nicht, dass erneut der Osten bestimmt, wer in DeutschlandKanzler wird. Es darf nicht sein, dass die Frustrierten über dasSchicksal Deutschland bestimmen.» Es folgt ein Aufschrei derEmpörung, die Union fürchtet um ihre Wahlchancen. KanzlerkandidatinAngela Merkel (CDU) sagt: «Wählerbeschimpfung ist das Falsche.» G wie große Koalition: Am 18. November unterzeichnen CDU, CSU undSPD die Vereinbarung für die zweite große Koalition in derBundesrepublik. Titel: «Gemeinsam für Deutschland - mit Mut undMenschlichkeit». In wochenlangen Verhandlungen waren die Parteienzuvor von wesentlichen Wahlkampfforderungen abgerückt. Einer derumstrittensten Punkte in der Öffentlichkeit: Die Festlegung auf eineMehrwertsteuererhöhung um 3 Punkte auf 19 Prozent von 2007 an.

H wie Heuschrecke: Im nordrhein-westfälischen Wahlkampf holt derdamalige SPD-Chef Franz Müntefering Mitte April die verbale Keuleheraus. Angesichts weit verbreiteten Unbehagens über den massivenArbeitsplatzabbau vergleicht er Finanzinvestoren, die Firmenübernehmen, zerlegen und wieder abstoßen, mit «Heuschrecken». Nichtnur bei Firmen und Opposition, auch aus der rot-grünen Koalitionkommt Widerspruch. Die kapitalismuskritische Stoßrichtung nutzt ander Wahlurne nichts: Die SPD verliert am 22. Mai die Wahl in ihremStammland NRW.

I wie ISAF: Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt, lautetder viel zitierte Ausspruch von Ex-Verteidigungsminister PeterStruck. Die Bundeswehr engagiert sich in Afghanistan im Rahmen derinternationalen Schutztruppe ISAF. Wie gefährlich dieser Einsatzist, wird Mitte November klar, als ein 44-jähriger Oberstleutnantder Reserve bei einem Selbstmordanschlag in der afghanischenHauptstadt Kabul ums Leben kommt. Seit Ende 2001 sind nun schon 18deutsche Soldaten im Rahmen der Friedensmission ums Leben gekommen.

J wie Jobgipfel: Angesichts von mehr als fünf Millionen Arbeitslosenim Februar/März sehen die rot-grüne Regierung und die Union sich inder Pflicht: Bei einem «Jobgipfel» erörtern sie am 17. März rascheMaßnahmen gegen die Rekordarbeitslosigkeit. Kanzler Gerhard Schröder(SPD) schlägt den Vorsitzenden von CDU und CSU, Angela Merkel undEdmund Stoiber, vor, die Körperschaftsteuer von 25 auf 19 Prozent zusenken. Damit soll die Wettbewerbsfähigkeit der Steuersätze iminternationalen Vergleich verbessert werden. Schröders Neuwahl-Entscheidung im Mai macht diese Pläne zunächst zu Makulatur.

K wie Krawall: Der Kanzler fühlt sich als Wahlsieger, und so tritter am Abend des 18. September in der «Berliner Runde» von ARD undZDF auch auf. Die Art und Weise, in der Gerhard Schröder gegen seineCDU-Herausforderin Angela Merkel und die als feindlich empfundene«Medienmacht» zu Felde zieht, wird auch von seiner Ehefrau Doris als«krawallig» bewertet. Schröder nennt sein als «Alphatier-Auftritt»verurteiltes Benehmen später «suboptimal». Und nach einigen Wochenräumt er seinen Platz für die Frau, der er am Wahlabend das Amt nieund nimmer überlassen wollte: Angela Merkel.

L wie Linkspartei: Der Protest gegen die Sozialreformen der rot-grünen Regierung treibt enttäuschte SPD-Anhänger und Gewerkschafterin eine neue Partei - die linke «Wahlalternative Arbeit und SozialeGerechtigkeit» (WASG). Als Kanzler Gerhard Schröder (SPD) nach derNiederlage in Nordrhein-Westfalen im Mai die Weichen für einevorgezogene Bundestagswahl stellt, beschleunigen PDS und diewestdeutsche WASG ihre Fusionspläne. Als «Linkspartei» schaffenbeide Gruppierungen - geführt vom früheren SPD-Chef Oskar Lafontaineund dem PDS-Frontmann Gregor Gysi mit 8,7 Prozent den Sprung in denBundestag.

M wie Merkel-Steuer: Einen «ehrlichen» Wahlkampf will die Union undihre Kanzlerkandidatin Angela Merkel machen und kündigen eineMehrwertsteuererhöhung von 16 auf 18 Prozent an. Im Gegenzug sollendie Lohnnebenkosten um zwei Punkte sinken, um Arbeit billiger zumachen. Für die SPD ein gefundenes Fressen: Sie polemisiert gegendie «Merkel-Steuer», die dem kleinen Mann das Geld aus der Tascheziehe. An der Wahlurne nutzt es der SPD. Die Steuer wird aber 2007nun doch erhöht, sogar um drei Punkte - mit Zustimmung der SPD.

N wie Nachwahl: Wegen des Todes einer Kandidatin der rechtsextremenNPD kurz vor der Bundestagswahl wird im Dresdner Wahlkreis 160 eineNachwahl notwendig. Wegen des vermutet knappen Wahlausgangs wird gardarüber spekuliert, ob Wahlsieger und Kanzler wohl erst nach dem 2.Oktober feststehen. Doch am Abend des 18. September zeigt sich bald,dass der knappe Vorsprung der Union zwei Wochen später in Dresdenfür die SPD nicht mehr aufzuholen ist. In Dresden siegt schließlichder CDU-Direktkandidat, die Union baut ihren Vorsprung vor der SPDum eines auf vier Bundestagsmandate aus.

O wie Oma-Knutscher: Für ihn war die Umarmung nicht nur ältererFrauen ein politisches Stilmittel - Ende September kündigt BremensSPD-Regierungschef Henning Scherf völlig überraschend seinenRücktritt an. «Ich möchte ein Leben nach der Arbeit führen und nichtmit den Füßen voran aus dem Rathaus getragen werden», sagt er. Seit1995 war der Zwei-Meter-Mann Oberbürgermeister. 27 Jahre gehörte erder Landesregierung an, war damit dienstältestes KabinettsmitgliedDeutschlands. Scherfs Nachfolger wird im November Bremens SPD-Fraktionschef Jens Böhrnsen.

P wie Pfahls-Rückkehr: Fünf Jahre war er auf der Flucht, im Sommerwird dem ehemaligen Rüstungsstaatssekretär Ludwig-Holger Pfahls inAugsburg der Prozess gemacht. Neue Erkenntnisse über die CDU-Spendenaffäre - wie von vielen erhofft - bringt der Prozess nicht.Der frühere CSU-Politiker gesteht die Annahme von Schmiergeld fürein Panzergeschäft mit Saudi-Arabien und wird zu 27 Monaten Haftwegen Vorteilsnahme und Steuerhinterziehung verurteilt. Schon imSeptember ist die Hälfte der Strafe abgelaufen und Pfahls frei.

Q wie Quereinsteiger: Der Finanzexperte aus Angela MerkelsSchattenkabinett, Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof, erlebt einenrasanten Absturz vom Hoffnungsträger zum Sündenbock. Seine Thesen zueiner radikalen Steuerreform liefern der SPD reichlich Wahlkampf-Munition, Kanzler Gerhard Schröder nennt ihn herablassend nur nochden «Professor aus Heidelberg». Wahlforscher geben Kirchhof eineMitschuld am schlechten Abschneiden der Union. Am Tag nach der Wahlverlässt er verbittert die politische Bühne.

R wie Rekordarbeitslosigkeit: Trauriger Tiefpunkt auf demArbeitsmarkt: 5,216 Millionen Erwerbslose im Februar bedeuten einenNachkriegsrekord. Die Arbeitslosenquote lag damit bei 12,6 Prozent.Vor allem die zu Jahresbeginn in Kraft getretene Hartz-IV-Reformtreibt die Arbeitslosenzahl über die Fünf-Millionen-Schwelle, weilhunderttausende frühere Sozialhilfeempfänger nun in der Statistikauftauchen. Trotz leichter Besserung der Beschäftigungssituationsind zuletzt immer noch mehr als 4,5 Millionen Menschen ohne Arbeit. S wie Sektattacke: Den Fehltritt des Jahres leistet sich der BremerWirtschaftssenator Peter Gloystein. Bei einem Weinfest übergießt derCDU-Politiker einen Obdachlosen von der Bühne herab mit Sekt undwitzelt: «Hier hast Du auch was zu trinken.» Einen Tag später trittGloystein reumütig zurück und entschuldigt den Vorfall alsAffektreaktion. Kurz darauf versöhnt er sich in einem Lokal mitseinem Opfer. Der Obdachlose hält Gloystein inzwischen für einen«ganz lieben Kerl».

T wie TV-Duell: Zwei Kandidaten, vier Moderatoren, 90 MinutenSchlagabtausch: Der einzige TV-Disput zwischen Bundeskanzler GerhardSchröder (SPD) und CDU-Herausforderin Angela Merkel wird AnfangSeptember zum Höhepunkt im Fernseh-Wahlkampf. ARD, ZDF, RTL undSat.1 übertrugen das Duell live, zeigen erstmals zeitgleich dieselbeSendung. Rund 21 Millionen Zuschauer sehen zu. Schröder betont, dasser seine Frau liebe, und darf sich als Sieger des munteren Duellsfühlen.

U wie Untersuchungsausschuss: Mehr als acht Monate beschäftigt dieVisa-Affäre einen Untersuchungsausschuss des Bundestags. Die rot-grüne Bundesregierung steht im Verdacht, Schleuserkriminalität,Schwarzarbeit und Prostitution zu fördern. Im Mittelpunkt derKritik: Außenminister Joschka Fischer (Grüne). Der über Jahrebeliebteste Politiker stürzt in den Umfragen ab und muss schließlichFehler bei der Visa-Vergabepraxis einräumen. Nach 31 Sitzungen -einige davon live im TV - legt der Ausschuss im August seinen 800Seiten starken Bericht vor, der aber im Wahlkampfgetöse untergeht.

V wie Vertrauensfrage: Mit einer absichtlich verlorenenVertrauensabstimmung im Bundestag erzwingt Bundeskanzler GerhardSchröder (SPD) im Juli Neuwahlen. Die Serie von SPD-Wahlpleiten hatzuvor in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen ihren Höhepunkterlebt. Schröder zieht die Notbremse, kündigt Neuwahlen an undscheitert wunschgemäß bei der Vertrauensfrage. Drei Wochen späterlöst Bundespräsident Horst Köhler den Bundestag auf, auch dasBundesverfassungsgericht erklärt den Schritt für rechtmäßig.

W Waterloo an der Waterkant: Erlebt hat es Heide Simonis und mit ihrdie SPD in Schleswig-Holstein. Am 17. März steht im Kieler Landtagdie Wahl der Ministerpräsidentin an. Die geplante Koalition aus SPD,Grünen und der Dänen-Partei SSW verfügt über eine Stimme mehr alsCDU und FDP. Doch ein Abweichler - wohl aus der SPD - verhindert invier Wahlgängen Simonis Wahl und bereitet einer großen Koalition ausUnion und SPD den Weg. Simonis spricht später von einem «Dolchstoß»und verlässt die politische Bühne.

X wie x-tausend-mal quer: Von Dresden ins westfälische Ahaus, vomfranzösischen La Hague ins niedersächsische Gorleben - die Castor-Transporte mit radioaktivem Atommüll rollen auch in diesem Jahrwieder quer durch Deutschland. Zumeist im Schneckentempo, weilhunderte Kernkraftgegner wie die wendländische Anti-Atom-Initiativex-tausend-mal quer Schienen und Straßen blockierten. Ein geeigneterStandort für die finale Lagerung des Atommülls ist noch immer nichtgefunden.

Y wie Yuppie: Mit den Wurzeln der SPD als Arbeiterpartei haben diejüngeren Netzwerker nicht mehr viel am Hut. Nicht nur deshalb werdensie von Kritikern als «Möchtegern-Yuppies» bespöttelt. Sie geltenals extrem ehrgeizig und pragmatisch. Richtig Karriere gemacht hatkürzlich ihr Sprecher Hubertus Heil. Der 33-Jährige half kräftigmit, den alten SPD-Chef Franz Müntefering zu stürzen. Obwohl Heildanach in der SPD als «Strippenzieher» beschimpft wurde, setzte ihnder neue SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck als Generalsekretärdurch.

Z wie Zauderer: Edmund Stoiber habe etwas gemeinsam mit Franz JosefStrauß, erklärte jüngst ein hochrangiger CSU-Mann. Der sei «vomNaturell her auch oft ein Zauderer» gewesen. Die Frage, ob Stoiberals Ministerpräsident in München bleibt oder ins Kabinett nachBerlin wechselt, war ein Dauerbrenner im Wahlkampf. Erst nach derWahl entschied sich der CSU-Chef für Berlin - um dann am 1. Novembereinen Rückzieher zu machen. Das kam in der CSU nicht gut an, denn inMünchen hatte das Rennen um die Nachfolge bereits begonnen.