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Großer Lauschangriff Großer Lauschangriff: Späte Ohrfeige der Verfassungsrichter

Von Marianne Quoirin 03.03.2004, 19:00

Die Ohrfeige aus Karlsruhe kommt spät, aber sie verheißt nachhaltige Wirkung. Denn die Entscheidung über den Großen Lauschangriff weist in die Zukunft, sie ist eine Ermahnung zum höchst pingeligen Umgang mit den Grundrechten. Sie setzt den Politikern Grenzen, wenn diese vorgeben, dass bei der Verbrechensbekämpfung alle Mittel recht sind, Verletzungen der Grundrechte inklusive.

Die akustische Überwachung von Wohnräumen verstößt nach Ansicht der Verfassungshüter in ihrer geltenden Form gegen die Menschenwürde und ist deshalb in erheblichen Teilen verfassungswidrig. Das heimliche Abhören des vertraulich gesprochenen Wortes bewerten die Richter als den denkbar stärksten Eingriff in die Privatsphäre der Bürger. Es drohte das Ende der Privatheit, denn der Katalog der Straftaten für einen Lauschangriff war zu weit gefasst. Es reichte der bloße Tatverdacht. Und der musste sich nicht mal gegen den Wohnungsinhaber richten, es genügte der Verdacht gegen einen Besucher.

Die praktische Bilanz nach fünf Jahren elektronischer Wohnraumüberwachung war ernüchternd, in nur 25 bis 30 Fällen pro Jahr versuchte die Polizei, mit dieser aufwändigen Methode Banden auf die Schliche zu kommen. Bei ausländischen Gruppen versagte der Einsatz fast total, überwiegend wegen der stimmlichen Identifizierung Verdächtiger und wegen des Mangels an Übersetzern.

Dennoch: Die Abwägung zwischen den Eingriffen in die besonders geschützte Privatsphäre und den - möglichen - Erfolgen bei der Aufklärung von Straftaten wird deshalb nicht einfacher, weil es pro Jahr nur wenige Fälle zu entscheiden sind. Überdies fehlt es in Deutschland an einer strengen Kontrolle über die Lauschangriffe; in den USA sind Protokolle vorgeschrieben, die auch die Namen der Staatsanwälte und Richter beinhalten, die den Maßnahmen zugestimmt haben.

Es waren vor allem Politiker und nicht die Strafverfolger, die sich vom Großen Lauschangriff wahre Wunder erhofft hatten, besonders im Einsatz gegen die organisierte Kriminalität. Drei Liberale (aber nicht die FDP, die sich so gern ihrer Rechtspolitik rühmt) können einen spektakulären Erfolg für sich verbuchen: der einstige Bundesinnenminister Gerhart Baum, der frühere Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch und vor allem Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Sie war als Bundesjustizministerin zurückgetreten, weil sie den Weg ihrer Partei zum Lauschangriff nicht mitmachen wollte.

Das Verfassungsgericht hätte bei aller notwendigen Akribie mehr Tempo zulegen können. Fünf Jahre ist das Gesetz in Kraft, nun soll es bis zum 30. Juni 2005 umfangreich nachgebessert werden. Die kurze Frist könnten abermals zu einem Flickwerk führen. Denn das Gericht hat gleich einen ganzen Katalog von Bedingungen aufgestellt, unter denen ein zunächst legaler Lauschangriff schnell zu einer illegalen Maßnahme werden kann. Der Polizei bietet das vielleicht den Anlass, auf das so gut wie untaugliche Mittel in Zukunft ganz zu verzichten.