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Gastkommentar: Olympia-Aus für Leipzig Gastkommentar: Olympia-Aus für Leipzig: IOC hat eine Chance verpasst - Familie muss zusammen bleiben

Von Hans-Dietrich Genscher 21.05.2004, 18:25

Die Chance wurde verpasst - nicht vonden Leipzigern, sondern vom IOC. Verpasstwurde nämlich die Chance, das Konzept kompakter,menschlicher und bescheidener Spiele als Gegensatzzu den Modellen der Gigantomanie wenigstenszu versuchen. Es ging ja nicht um den Zuschlag,sondern es ging darum, wer die Möglichkeitbekommt, sich der Endentscheidung für dieAustragung der Olympischen Sommerspiele 2012zu stellen.

Gewiss, Leipzig ist ein Kontrastprogramm zuden großen Metropolen. Warum also scheuteman den Kontrast im Wettbewerb um die endgültigeEntscheidung? Das Leipziger Konzept war mitseiner kompakten Struktur ein menschlichesKonzept und ganz bestimmt ein Konzept fürdie Sportler selbst, um die es ja vor allemgeht, aber auch ein zuschauerfreundlichesKonzept. Und ein Konzept, in dem eine Stadtsich selbst als Austragungsort anbietet undnicht einen Austragungsort am Rande der Stadt.Überraschend der Ausspruch: "Leipzig war ebenzu klein." Soll das heißen, dass für alleZukunft nur Millionenstädte eine Chance haben?

Bekanntlich ist die 100-Meter-Strecke100 Meter lang, egal ob sie in einer Stadtmit 20 Millionen Einwohnern oder 500000 liegt.Das gilt für die Sportstätten insgesamt. DasIOC wird sich diesen Fragen stellen müssen.Darunter auch der, warum man glaubte schonjetzt endgültig entscheiden zu können, obLeipzig seine in Aussicht genommene Verbesserungenin der Infrastruktur auch tatsächlich schafft.Sozusagen ex Cathedra zu statuieren, sie mögenes ja wollen, aber sie werden es nicht schaffen,ist kränkend. Und das für eine Stadt, dieetwas ganz Großes schaffen konnte, nämlichdie friedliche Wende vor 15Jahren. Gibt eskeine Chance für die Hochaktiven, Begeisterten?Des olympischen Gedankens wegen muss die Diskussiongeführt werden.

Für Leipzig und seine Unterstützer ist dasnatürlich Anlass für eine Enttäuschung, abernicht der geringste Anlass zur Resignation.In einer einzigartigen Kraftanstrengung derStadt, des Freistaates und des Bundes hatLeipzig seiner sportlichen Tradition folgend,aber auch der Begeisterungsfähigkeit seinerMenschen, ihrer Kreativität und Aktivitätentsprechend eine Plattform geschaffen, aufder weiter gebaut und gearbeitet werden kann.Ein Impuls dafür ist das Konzept "one family".Diese Familie muss jetzt zusammenbleiben undzusammenstehen und es denen zeigen, die Leipzignicht zugetraut haben, was es in Wirklichkeitkann.

Um nicht missverstanden zu werden: Esist nicht zu kritisieren, dass Leipzig nichtan die Spitze der Bewerberstädte gesetzt wurde.Was zu kritisieren ist, ist die Tatsache,dass Leipzig die Chance genommen wurde, sichim Wettbewerb mit den anderen Bewerberstädtenan die Spitze vorzuarbeiten. Deshalb ist diesesrichtige Konzept nicht falsch geworden. Daranmuss festgehalten werden mit dem Ziel, Leipzigzum Austragungsort großer internationalerSportwettbewerbe zu entwickeln, als Ort derBegegnung, so wie es die Messe heute schonist. Es geht aber auch darum, unter Einbeziehungder Nachbarregionen den mitteldeutschen Raumin seiner kulturellen und historischen Bedeutungenger zusammenzuführen und darauf aufbauendzu einem der großen geistigen, wirtschaftlichenund politischen Zentren Europas zu machen.

"Our family" - unsere Familie hat am Tag derEntscheidung geweint. Aber sie verzweifeltnicht und sie gibt auch nicht auf. Wir allesind uns bewusst geworden, was man in kurzerZeit erreichen kann, wenn man nur will undwenn man sich die Fähigkeit zur aufrichtigerBegeisterung erhält, wenn man kreativ undinitiativ ist und wenn man mit einem Konzeptder Menschlichkeit den Grundwerten des menschlichenDaseins den Weg in die Zukunft bereitet. Vielleichtüberzeugt es ja auch diejenigen im eigenenLande, die es mehr mit dem Zweifel als mitder Zuversicht und dem Engagement hielten.Vergessen wir nicht, "one family" heißt auch"one future". Unsere Familie hat eine gemeinsameZukunft. Es ist unsere Zukunft.