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Flüchtling gefesselt Flüchtling in Arnsdorf brutal aus Supermarkt gezerrt und an Baum gefesselt

24.04.2017, 12:00
Schilder vor dem Amtsgericht in Kamenz. Knapp ein Jahr nachdem sie einen psychisch kranken Flüchtling aus einem Supermarkt gezerrt und an einen Baum gefesselt haben sollen, müssen sich die vier Männer vor Gericht verantworten.
Schilder vor dem Amtsgericht in Kamenz. Knapp ein Jahr nachdem sie einen psychisch kranken Flüchtling aus einem Supermarkt gezerrt und an einen Baum gefesselt haben sollen, müssen sich die vier Männer vor Gericht verantworten. dpa-Zentralbild

Kamenz - Die Stimmung vor dem Amtsgericht Kamenz ist an diesem Montagmorgen gereizt. Knapp 100 Sympathisanten der vier Angeklagten, die laut Anklage vor einem knappen Jahr einen Flüchtling aus einem Supermarkt in Arnsdorf gezerrt und mit Kabelbindern an einen Baum gefesselt haben, warten lange vor Prozessbeginn vor verschlossenen Türen. Sie tragen Plakate mit Slogans wie „Zivilcourage ist kein Verbrechen“. Die Staatsanwaltschaft hatte den Angeklagten Freiheitsberaubung vorgeworfen. Nach drei Stunden stellt der Richter das Verfahren wegen geringer Schuld ein.

Grünen-Landeschef Jürgen Kasek: Notwendige Signalwirkung bleibt aus

„Das Vorgehen des Richters ist im Höchstmaß unsensibel“, kommentiert Grünen-Landeschef Jürgen Kasek die Entscheidung. Die notwendige Signalwirkung bleibe aus. „Es besteht die Gefahr, dass dieses Urteil zur Zunahme der Selbstjustiz führt.“

Diese Wendung ist zu Beginn des Prozesses nicht absehbar. Wegen starker Sicherheitsvorkehrungen beginnt die Verhandlung mit einer halben Stunde Verspätung. Schon im Vorfeld hatte der Prozess vor allem auf rechten und fremdenfeindlichen Internetseiten für Unmut gesorgt.

Die Angeklagten erhalten zustimmendes Schulterklopfen beim Gang in den Gerichtssaal, der gerade einmal 30 Zuschauern Platz bietet. Das Medieninteresse ist riesig. Der Fall machte im vergangenen Jahr bundesweit Schlagzeilen. Ein Augenzeuge hatte das Geschehen gefilmt und das Video später im Internet veröffentlicht.

Verteidiger nennt Handlungen der Angeklagten „einen Akt der Zivilcourage“

Dem Vorwurf der Staatsanwaltschaft, dass die Männer im Alter von 29 bis 56 Jahren geplant gewalttätig gegen den 21-jährigen Iraker vorgegangen seien, widerspricht ein Verteidiger. Die Angeklagten hätten sich spontan zusammengefunden und in einem Akt der Zivilcourage eine Bedrohung beendet, wie das Video zeige.

In der kurzen Filmsequenz ist zu sehen, wie der Iraker an der Kasse des Supermarkts mit einer Kassiererin diskutiert. Er hält dabei zwei Flaschen in den Händen. Trotz mehrfacher Aufforderung verlässt er nicht den Bereich – bis plötzlich Männer erscheinen und ihn wegzerren. Dabei fallen Worte wie „Was willst du hier? Schwein, du. Raus mit dir“. Und aus dem Off sagt jemand: „Es ist schon schade, dass man eine Bürgerwehr braucht.“

Leiche des Irakers war in der vergangenen Woche gefunden worden

Nach Aktenauswertung gebe es allerdings in Arnsdorf keine Bürgerwehr, sagt der Vorsitzende Richter. Die Einstellung des Verfahrens begründet er auch damit, dass die vier Angeklagten noch nie strafrechtlich in Erscheinung getreten seien.

In der vergangenen Woche war die Leiche des Irakers im Tharandter Wald gefunden worden. Laut Obduktionsergebnis starb er bereits im Januar an Unterkühlung. Zum Zeitpunkt des Vorfalls im Supermarkt war er in psychiatrischer Behandlung im Krankenhaus Arnsdorf.

Gericht geht vonm einer geringen Schuld für die Angeklagten aus

Der Richter führt an, dass auch das Auftreten des Opfers „nicht ohne war“. „Er war an diesem Tag schon zum dritten Mal im Markt, einmal hatte ihn die Polizei schon zurück ins Krankenhaus gebracht. Die Verkäuferinnen wussten, dass er zäh ist“, sagt er. Offensichtlich hatte der Flüchtling ein Problem mit einer Telefonkarte, das aufgrund von Verständigungsproblemen jedoch nicht zu klären war. In Abwägung all dieser Fakten gehe das Gericht so von einer geringen Schuld für die Angeklagten aus, bei der unterm Strich nur eine geringe Geldstrafe unter Vorbehalt herausgekommen wäre.

Dem überraschend schnellen Verfahrensende war ein über einstündiges Rechtsgespräch zwischen Richter, Staatsanwaltschaft und Verteidigern vorausgegangen. „Ein so schnelles Ende habe ich mir in den kühnsten Träumen nicht vorgestellt“, sagt Verteidiger Maximilian Krah. Der Richter spricht von der „einzig vernünftigen Art und Weise, das Verfahren zu beenden“. (dpa)

In einem Supermarkt in Arnsdorf kam es im Jahr 2016 zu einem Streit mit einem Iraker. Jetzt wurde der Mann tot aufgefunden.
In einem Supermarkt in Arnsdorf kam es im Jahr 2016 zu einem Streit mit einem Iraker. Jetzt wurde der Mann tot aufgefunden.
dpa-Zentralbild