Fleischerzeugnisse Fleischerzeugnisse: Von Wurstmobilen und Blutwurstrittern

Berlin/dpa. - Jedem Kanzler seine Extrawurst. Bei Helmut Kohl wares der Saumagen, Gerhard Schröder pflegte eine volksnahe Liebe zurCurrywurst. In Deutschland lassen sich Staatsgäste zuweilen mit«German Sausage» becircen. Damit teilen die Politiker eine deutscheLeidenschaft: 30 Kilo Fleischerzeugnisse - Wurst, Schinken undPasteten - verputzt ein Bundesbürger im Schnitt jedes Jahr. VomMetzger ein Wienerle auf die Hand zu bekommen, gehört für viele zurKindheit. Die Zahl der Fachgeschäfte sinkt zwar. Dennoch scheinen dieDeutschen mit dem Comeback der Hausmannskost ihre Liebe zur Wurstwieder neu entdeckt zu haben. Sogar als Designerteppich und alsMobile zum Basteln kann man sie schon kaufen.
Um die Ehrenrettung der deutschen Wurst kümmern sich Menschen wieder preisgekrönte Berliner Fleischermeister Marcus Benser, der als«Blutwurstritter von Neukölln» überregionale Berühmtheit erlangt undauch schon Bundeskanzlerin Angela Merkel versorgt hat. «Fleischerei»steht in 50er-Jahre-Neon-Schreibschrift an der Fassade seinesGeschäftes. Im gekachelten Laden stehen noch die typischen, robustenFachverkäuferinnen am Tresen und verkaufen Presswurst, Knacker,Sülze, Kohlrouladen und die Spezialitäten des Hauses: Leberwurst undBlutwurst. Benser ist seit 2004 «Blutwurstritter» des Confrérie desChevaliers du goute Boudin, eines französischen Gourmetordens, derdie Verdienste um die «Boudin» (Blutwurst) würdigt. Eine Ehrung, dieschon Paul Bocuse zuteilwurde.
Bensers Familie stammt aus Weimar im Wurstland Thüringen, schonsein Ur-Ur-Großvater war Fleischer. Einen schöneren Beruf kann ersich nicht vorstellen. «Es liegt mir buchstäblich im Blute», pflegtder 33-Jährige zu sagen. Für seine Blutwurst wandern Zutaten wieSchweinespeck, Schweineköpfe und Zwiebeln in den Wolf, zu denGewürzen gehören Nelken, Piment und Thymian. Benser schwört zudem aufSchrippen, auf Fleisch von kleineren Bauernhöfen, auf brasilianischenPfeffer sowie auf Majoran aus Thüringen, den er über der Masseverreibt, damit sich die etherischen Öle entfalten können.
Das Schweineblut pladdert aus blauen Schläuchen in die Maschinezum Mischen und Zerkleinern, den Cutter. Das ist nichts für zarteGemüter, die dabei an quiekende Ferkel denken. Bevor die Wurst in derPelle landet, greift Benser geübt mit der Hand in die dunkelroteMasse hinein. Dann wird ein Löffel zum Probieren gereicht. Dermetallische Blutgeschmack fehlt. Stattdessen tanzen die Gewürze aufdem Gaumen und lassen erahnen, warum auch der Koch desBundespräsidenten Horst Köhler und das Gourmet-Restaurant «Vau» Wurstin Neukölln bestellen.
«Das schmeckt ja wie früher», ist ein Satz, den Benser oft hört.Das Geschäft ist längst mehr als eine Fleischerei. An Kulturabendenhängen auch schon mal Wurstbilder dort, wo sonst Schweinehälftenbaumeln, wie Bensers Geschäftspartner Mathias Helfert erzählt. Die«Blutwurstmanufaktur» setzt auf Qualität; die Skandale um Ekel- undGammelfleisch bescheren solchen Fachgeschäften zusätzlich Kunden.
«Die Fleischskandale haben als Weckruf bei den Verbraucherngewirkt», heißt es auch beim Deutschen Fleischer-Verband inFrankfurt/Main. An den sinkenden Zahlen bei den Fleischereien, dieKonkurrenz von Supermärkten und Discountern haben, hat dies aber nochnichts geändert. 1997 gab es bundesweit noch 21 500 eigenständigeBetriebe, 2006 waren es noch 17 100 Betriebe - und das im «Mutterlandder Wurst».
Rund 1500 Sorten gibt es. Wurst als Kulturgut hat in Deutschlandeine lange, gut erforschte Tradition. Schon 1662 gab es in derPreußischen Staatsbibliothek eine Schrift namens «Wurstologia etDurstologia», verfasst von einem Experten mit dem KünstlernamenMarcus Knackwurst. Kürzlich erschien bei Dumont eine literarischeHommage namens «Wurst» von Wiglaf Droste, Nikolaus Heidelbach undVincent Klink. Ein Kapitel darin heißt «Die Oberarme derFleischereifachverkäuferin», ein anderes «Die Erde ist eine ScheibeFenchelsalami». Für Anfänger wird die «Trinität» aus den dreiGrundsorten erklärt: Rohwurst, Kochwurst und Brühwurst.
Auch die Kunst hat den Aufschnitt entdeckt, wie beispielsweise dasSchweizer Fotografenduo Fischli/Weiss. Der Kölner GrafikdesignerThomas Heinz verkauft im Internet «Wurstteppiche» und hat bei sich zuHause eine riesige Scheibe Teppich-Mortadella auf dem Boden liegen.«Das schaut schick aus», findet er. Ungefähr einmal im Monat willjemand ein solches Designerstück (ab 251 Euro) haben, gerade gab eseinen Interessenten aus New York. Auch der Hamburger Künstler MartinGraf nutzt die Salami als Kunstobjekt. Aus einem seiner Bastelbögenkann man aus Pappe ein «Wurstmobile» zusammenbauen. Ein beliebtesGeschenk für Vegetarier, wie Graf erzählt.