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Firmen der Region: Achslagerwerk Staßfurt Firmen der Region: Achslagerwerk Staßfurt: Aktivisten-Nadeln für die Westkunden

Von Frank Zimnol 06.09.2001, 15:59

Staßfurt/MZ. - "Zu DDR-Zeiten habt ihr aus nichts viel gemacht, nun macht doch einfach aus vielem mehr." Aussprüche dieser Art sind zum Markenzeichen von Heinz-Jürgen Luig, Geschäftsführender Gesellschafter der AWS Achslagerwerk Staßfurt GmbH, geworden. Auf diese Weise versucht er, die Mitarbeiter anzuspornen und ihren Ehrgeiz zu wecken.

Der 58-Jährige hat ungewöhnliche Motivationskünste in petto. Zum Beispiel finden sich in der Pausenecke Aushänge voller Planzahlen. Ob das denn in einem Werk, in dem mit derlei Dingen jahrzehntelang Schindluder getrieben worden ist, überhaupt Wirkung zeige? Der gebürtige Westfale ist felsenfest davon überzeugt. "Warum denn nicht? Auch wir machen Pläne, allerdings mit einem Unterschied: Wir passen sie den marktwirtschaftlichen Gegebenheiten an."

Auch andere Dinge aus der Trickkiste des Weltenbummlers, der sich beruflich viele Jahre in den USA und in Algerien den Wind um die Nase wehen ließ, wecken bei den Mitarbeitern Erinnerungen. So lädt sie der Chef zum Brainstorming ein, wirbt für "Jugend forscht" oder rührt für das betriebliche Vorschlagswesen die Trommel. Aktionen, die vielen Achslagerwerkern noch als Ideenbörse, Messe der Meister von Morgen oder Neuererwesen geläufig sind.

Luig schmunzelt und bezeichnet vorhandene Ähnlichkeiten als "durchaus gewollt". Vom Ansatz her seien diese Methoden ja auch nicht verkehrt. Nur seien sie im Sozialismus pervertiert worden. Wenn nämlich kluge Ideen nicht umgesetzt werden konnten, weil es an Devisen fehlte, dann sei der gute Ansatz ins Gegenteil verkehrt worden, meint der Manager. Auf diese Weise würden Mitarbeiter in ihrem Elan gebremst.

Auch die Lehrlinge bekamen die Konsequenz des Chefs schon zu spüren. Als einige von ihnen mit schlechten Noten auffielen, nahm sich Luig "seine Pappenheimer" zur Brust. "Entweder ihr verzichtet auf 25 Prozent eures Lehrlingslohnes oder ihr müsst sofort gehen", schockierte Luig die jungen Männer. Damit sie aber nicht glauben sollten, er wolle sich an ihrem Lohn bereichern, legte der Manager ein Zusatzangebot nach. "Sobald ihr auf Note 2 seid, bekommt ihr den einbehaltenen Lohn nachgezahlt." Der ungewöhnliche Deal hat gefruchtet. Die Azubis schafften durch die Bank den geforderten guten Leistungsdurchschnitt.

Der Erfolg gibt dem Westdeutschen recht. Als Luig das Staßfurter Unternehmen Anfang 1995 als Mehrheitsgesellschafter überschrieben bekam, zählte es ganze 59 Mitarbeiter. Zumindest 55 Jobs sollte der neue Eigner für drei Jahre vertraglich garantieren. Heute gehören 242 Beschäftigte zur Firma.

Die Erzeugnisse des Unternehmens sind im wahrsten Sinne des Wortes international "auf Achse". Ob Intercitys oder Dessauer Trams, Berliner Metro-Züge oder Lokomotiven der belgischen Staatsbahnen, regionale Doppelstock-Waggons oder Güterwagen der Eisenerzbahn im schwedischen Kiruna - die Qualitäts-Produkte aus dem Werk in Sachsen-Anhalt stellen alle Auftraggeber zufrieden. Luig hat auch neue Absatzgebiete erschlossen. Längst ordern auch Automobilhersteller wie DaimlerChrysler oder Volkswagen Zulieferteile in Staßfurt. Sogar Schiffsgetriebe für große Sportboote werden beliefert.

Die Auftragsbücher seien bereits so gut gefüllt, "dass unsere Grundauslastung für 2002 gesichert ist", zeigt sich der Firmenchef zufrieden. Dennoch hat der umtriebige Unternehmer, der Kunden aus dem Westen statt Firmenkugelschreibern lieber Aktivisten-Nadeln, die er in großer Stückzahl im alten Parteibüro fand, überreicht, Visionen, wie es im Achslagerwerk noch runder laufen könnte. Zwar sei es im Vorjahr erstmals gelungen, in die Gewinnzone vorzustoßen, doch ein Unternehmen dieser Größe müsse in diesem Marktsegment einfach noch mehr erreichen, so sein Anspruch.

Hinter diesen Überlegungen, das will Luig gar nicht verhehlen, steckt auch Eigennutz. Bisher nämlich hätten er und seine drei Mitgesellschafter "außer dem normalen Entgelt" keine müde Mark aus der Firma entnommen und statt des "wohlverdienten Unternehmer-Lohnes" stets alles reinvestiert.