Finanzmarktkrise weitet sich aus
New York/Frankfurt/dpa. - Die Weltbörsen setzten ihre Talfahrt fort. Der Versicherungsriese AIG droht zum nächsten Krisenherd mit globalen Folgen zu werden: Laut Insidern droht eine Insolvenz, wenn nicht bis Mittwoch 75 Milliarden Dollar gefunden werden. Die Auswirkungen der Krise auf Deutschland hält Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) für begrenzt.
Die weltgrößte Investmentbank Goldman Sachs sorgte unterdessen für etwas Hoffnung. Sie meldete am Dienstag für das abgelaufene Quartal zwar einen Gewinneinbruch um 70 Prozent, verdiente mit 845 Millionen Dollar aber immer noch gut. Unterdessen werden Teile der insolventen Investmentbank Lehman Brothers angeblich von der britischen Bank Barclays übernommen.
Die Börsen waren am Tag nach dem «schwarzen Montag» der US- Finanzbranche weltweit rot. Der DAX verlor 1,63 Prozent auf 5965,17 Punkte - den tiefsten Schlussstand seit zwei Jahren. In Tokio fiel der 225 führende Werte umfassende Nikkei-Index um 5,0 Prozent auf 11 609,72 Punkte zurück. Der Dow Jones konnte zum Handelsschluss in Europa einen Teil der anfänglichen Verluste wieder gut machen und stand noch um 0,1 Prozent im Minus bei 10 901 Punkten.
Die Notenbanken mussten ihre Liquiditätsspritzen am Geldmarkt verstärken. Die Europäische Zentralbank (EZB), die Bank of England sowie nun auch die Bank of Japan pumpten zusammen mehr als 111,7 Milliarden Euro in die Märkte. Von der US-Notenbank kamen 50 Milliarden Dollar. Aus Sorge über mögliche Milliarden-Löcher in den Bilanzen halten die Banken derzeit ihr Geld zurück und leihen es sich nicht mehr im sonst üblichen Umfang. Sie brauchen die Kredite vom Geldmarkt aber, um ihr Tagesgeschäft zu führen.
Steinbrück warnte vor einer Dramatisierung der weltweiten Finanzkrise. Für Untergangsszenarien gebe es keinen Grund. «Obwohl diese Finanzmarktkrise zweifellos das größte konjunkturelle Risiko auch für die deutsche Volkswirtschaft darstellt, halte ich die möglichen Auswirkungen auf uns (...) für begrenzt», sagte Steinbrück zum Auftakt der Beratungen des Bundestages über den Etatentwurf für 2009.
Die Lage bei AIG wird laut Medienberichten immer bedrohlicher. Dem «Wall Street Journal» zufolge arbeiten die Banken J.P. Morgan Chase und Goldman Sachs mit Unterstützung der US-Notenbank fieberhaft daran, für den Versicherer ein Kreditpaket von 70 bis 75 Milliarden Dollar zu schnüren. Unter Berufung auf Insider heißt es, wenn das Geld nicht bis Mittwoch aufgetrieben sei, habe AIG möglicherweise keine andere Wahl als Insolvenz anzumelden. Eine Pleite des bis vor kurzem weltgrößten Versicherers könnte ein Beben an den weltweiten Finanzmärkten auslösen, denn AIG spielt für die gesamte Geldbranche eine wichtige Rolle bei der Risikoabsicherung.
Der deutsche Rückversicherer Münchner Rück meldete bereits Interesse an Teilen der AIG an. Interessant seien für die Münchener unter anderem die Erstversicherungsaktivitäten in Osteuropa und zum Beispiel in der Industrieversicherung, sagte der Münchener-Rück-Chef Nikolaus von Bomhard dem «Handelsblatt» (Mittwochausgabe). Bisher habe es aber noch keine Gespräche mit dem US-Konzern gegeben. Die Allianz hielt sich bei dem Thema bedeckt. Das Rückversicherungs- oder Leasinggeschäft seien für sie nicht interessant, sagte Vorstandschef Michael Diekmann in Bratislava. Sollten andere Bereiche zum Verkauf stehen, müsse dies zunächst in Ruhe angesehen werden.
Goldman Sachs bleibt unterdessen die einzige unabhängige US- Investmentbank ohne Quartalsverlust in der seit über einem Jahr andauernden Finanzkrise. Hoffnungen auf ein Abschneiden von Goldman Sachs weit über den Erwartungen erfüllten sich allerdings nicht. Analysten hatten im Schnitt mit etwas mehr Gewinn gerechnet. Entsprechend enttäuscht waren die Börsianer - die Aktie geriet zum Handelsstart in New York massiv unter Druck und verlor rund 10 Prozent auf 122,44 Dollar.
Für die Investmentbank Lehman Brothers, die den neuen Höhepunkt der Finanzkrise mit ausgelöst hatte, gibt es inzwischen einen Hoffnungsschimmer. Nach Informationen der «Financial Times» hat die britische Bank Barclays den Kauf von Geschäftsbereichen des gescheiterten Wall-Street-Instituts vereinbart. Es sei aber noch unklar, welche Bereiche zu welchem Preis den Besitzer wechseln, hieß es. Barclays war am Wochenende als Käufer von ganz Lehman Brothers im Gespräch gewesen, das rettende Geschäft scheiterte aber an fehlenden Staatsgarantien. Lehman hatte am Montag Gläubigerschutz beantragt, den Wertpapierhandel und die Vermögensverwaltung aber davon ausgenommen. Diese Bereiche sollten verkauft werden.