Extra Extra: Zwangspause an der A 38
Sangerhausen/MZ. - Hier stehen auch die beiden großen mobilenBetonmischanlagen, die den Fertiger an derTrasse versorgen. Christian Schürner bereitetsich auf die Schicht vor, die sechs Uhr beginnensoll. Er ahnt noch nichts davon, dass in etwaeiner halben Stunde alle Räder still stehenwerden, noch ehe sie sich in Bewegung gesetzthaben.
Ein, zwei Kilometer vom "Hauptquartier" derBauleute entfernt, bringen Männer in rotenWesten Fahnen und Plakate an den Betonfertigernund Baufahrzeugen an. Mit seinem Radladerkommt Jens Meyer an und fragt verdutzt: "Wasist denn hier los?" "Wir streiken!", sagtWollert trocken und drückt dem Fahrer einerote Kappe mit dem Logo der IG Bauen-Agrar-Umwelt(IG Bau) in die Hand. Wollert ist Geschäftsführerder IG Bau Sachsen-Anhalt Süd und Streikleiter.Inzwischen sind etwa 20 Bauleute anwesend- und warten erst einmal ab. Dann kommt PolierWerner Eiserloh. Der überblickt die Situation,zuckt mit den Schultern und sagt: "Da werdeich den Beton wohl abbestellen müssen." Eiserloh,ein stämmiger Mann aus Trier, hat Verständnisfür den Streik. "Für mich ist das schon langenicht hinnehmbar, dass die Kollegen im Ostenweniger Geld bekommen, als wir aus dem Westenund das bei gleicher Arbeit."
"Zwei Herzen schlagen da in meiner Brust",meint Schürner, der als Bauleiter eigentlichfür das Tempo des Betonfertigers verantwortlichist. "Vier Kilometer Fahrbahn haben wir geschafft,von 34. Aber als Mitglied des Gesamtbetriebsratesvon Walter-Heilit habe ich für die ForderungenVerständnis." Für den 54-jährigen BernhardMaier aus dem Ruhrgebiet geht es nicht nurum Prozente. "Es geht um viel mehr. Die Arbeitgeberwollen die Sechstagewoche wieder einführen,den Urlaub beschneiden und die Auslösungenkürzen", schimpft sein Kollege Norbert Frankeaus Wickerode. Und Matthias Wenzel ist erregt,weil die Arbeitgeber die DDR-Facharbeiterzeugnissenicht mehr anerkennen wollen.
Den 24-jährigen Jens Meyer aus dem Eichsfeldbetrifft das zwar nicht, aber der solidarisiertsich: "Die machen die gleiche Qualitätsarbeitwie die aus dem Westen und sollen nur nochals Hilfsarbeiter bezahlt werden", sagt er."Wir haben viel zu lange still gehalten",meint der Halberstädter Ingolf Oelmann. Esist kurz nach sieben Uhr. An den meisten Fahrzeugensind Plakate angebracht, Streikfahnen wehenim Wind. Wollert schwört die Arbeiter daraufein, durchzuhalten. "Uns geht es nicht nurum 4,5 Prozent, von den unter dem Strich ohnehinviel weniger übrig bleibt." So ziemlich allesind sich darin einig, dass dieser Streikan der Autobahnbaustelle mehr als ein Nadelstichist. Firmenchef Ignatz Walter sei auch Vorstandschefder Bauarbeitgeber und ein Streik beim Autobahnbaukoste schließlich richtiges Geld.
Insgesamt, so Wollert, "haben sich 350 Bauarbeiterin die Streikfront eingereiht." Auch die Mitarbeiterder Tiefbaufirma Fleickert haben sich spontanfür Streik ausgesprochen. "Heute hat sichkein Rad an der A 38 gedreht".