Europa Europa: Der Braunbär geht um
Halle/MZ. - Die Rückkehr der Bären nach Mitteleuropa aber begann vermutlich bereits 1966 oder 1967. Hinter einer von der langen Winterruhe ziemlich abgemagerten Bärin musterten damals die neugierigen Augen von zwei oder drei erst im Januar geborenen Jungbären die Karstberge an der Grenze zwischen Slowenien und Kroatien. Eineinhalb Jahre lang folgten die Jungen ihrer Mutter auf Schritt und Tritt. In dieser Zeit lernten sie, welche Leckereien sich in der Natur verbergen und welche Gefahren dort lauern. Schließlich kann ein junger Bär ja noch nicht wissen, dass wehrhafte Bienen ihren leckeren Honig verteidigen. Und wo man im Herbst die besten Beeren findet, um sich Tag für Tag ein Pfund Winterspeck anzufressen, lernt man auch am schnellsten von der Mutter.
Die Jagd auf Tiere steht übrigens viel seltener auf dem Lehrplan, als viele Menschen annehmen, weit mehr als drei Viertel der Bärennahrung besteht aus Pflanzenkost. Nach eineinhalb Jahren aber machte die Bärin ihren inzwischen recht stattlichen Jungen klar, dass der Lehrplan durch war und sie ab sofort auf eigenen Tatzen zu stehen hätten. Junge Männchen sind ohnehin sehr neugierig und wanderlustig, und so macht sich so mancher Jungbär auf den Weg, um sich in der Fremde ein Revier zu suchen.
Einer dieser jugendlichen Weitwanderer schaffte es 1972 bis 150 Kilometer vor Wien. Dort hatte 1966 ein Jahrhundert-Föhnsturm in den nördlichen Kalkalpen ganz in der Nähe des Ötscherberges 2 500 Hektar Wald umgemäht. Außerdem gab es hier noch viel Wald, wenig Menschen und etliche Häuschen, aus denen Honigduft drang. Diesem schmackhaften Angebot konnte der Ötscherbär nicht widerstehen: Seit 1842 der letzte Bär in der Alpenrepublik geschossen wurde, blieb zum ersten Mal wieder ein Bär im Herzen Österreichs.
Tatzenspuren und so manches demolierte Bienenhäuschen, aber auch der Einbruch in das eine oder andere Waldarbeiterdepot und der Mundraub des schmackhaften Rapsöls für die Kettensägen verrieten den Bären rasch. Ansonsten aber lebte er 17 Jahre lang zurückgezogen und unauffällig am Ötscher. Und die Menschen lernten mit dem Neuankömmling zu leben: Elektrozäune unterbanden Raub aus Bienenhäusern, Futter und Rapsöl wurden außer Reichweite der Bärentatzen gelagert.
Sollte ein Bär doch einmal aufdringlich werden, lauert man ihm in Österreich mit Gummigeschossen auf, die mit lautem Knall auf das Tier gefeuert werden. In Zukunft macht der erschrockene Bär einen möglichst großen Bogen um alles, was nach Mensch riecht. Und sollte der Bär doch noch ein Schaf reißen, deckt eine Versicherung der Jäger die Kosten. Durchschnittlich siebentausend Euro Schäden richten Österreichs Bären jedes Jahr an, da fallen die Prämien nicht allzu hoch aus.
Die Medien aber begannen sich um das sexuelle Seelenheil des Ötscherbären zu sorgen, weil ihm kein Weibchen aus Slowenien nachgewandert war. Die Naturschützer fingen im damaligen Jugoslawien eine junge Bärin und setzten sie in der Nähe des älteren Herrn wieder aus. Der Ötscherbär fackelte nicht lange und im darauf folgendem Winter brachte die Bärin drei meerschweinchen-große Junge zur Welt, zwei Jahre später folgte der zweite Wurf, inzwischen waren zwei weitere Bären in der Nähe ausgesetzt worden. Zwar starb der Ötscherbär 1994, aber vorher war er Gründervater von inzwischen mindestens zwölf Bären im Ötscher-Gebiet geworden.
Die Naturschützer setzten nun auch im Gebirgsstock der Brenta, in den italienischen Alpen Bären aus. Das jetzt aufgetauchte Tier ist anscheinend ein Nachkomme eines dieser Brenta-Einwanderer. Wie einst der Ötscherbär wandert der Jugendliche durch die Alpen und sucht eine neue Heimat.