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Erste Pflegereform seit zwölf Jahren

17.10.2007, 13:57

Berlin/dpa. - Die Pflegeversicherung wird zwölf Jahre nach ihrer Einführung erstmals umfassend reformiert. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) sagte nach dem Kabinettsbeschluss am Mittwoch, die Reform sei ein «großer Schritt» für Millionen Pflegebedürftige, Angehörige sowie ehrenamtliche und professionelle Pfleger.

Mit jährlich 2,5 Milliarden Euro zusätzlich aus Beitragsmitteln sollen Pflegesätze erstmals angehoben und Betroffene besser beraten werden. Schmidt plädierte erneut dafür, Angehörigen bis zu zehn Tage bezahlten Urlaub für die Organisation von Pflege zu gewähren. Die bezahlte Freistellung war zunächst an der Union gescheitert. Die Opposition und die Arbeitgeber kritisierten die Reform als unzureichend.

Der Gesetzentwurf sieht die Anhebung der Pflegesätze bis auf 1918 Euro in Pflegestufe III bei Härtefällen in Heimen vor. Erstmals sollen altersverwirrte Menschen auch ohne Einstufung in eine der drei Pflegestufen Leistungen erhalten, nämlich zunächst 460 Euro und längerfristig bis zu 2400 Euro im Jahr. Von den insgesamt 300 000 Betroffenen würden voraussichtlich 30 000 neu davon Gebrauch machen, sagte Schmidt.

Neue Beratungsstellen, sogenannte Pflegestützpunkte, sollen für jeweils rund 20 000 Einwohner zuständig sein. Ihre Pflegeberater sollen den Bedarf an Hilfen ermitteln und Versorgungspläne aufstellen. Pflegebedürftige und Angehörige müssten künftig nicht mehr «von Pontius zu Pilatus rennen», sagte Schmidt. Der Beitragssatz soll zum Reform-Start am 1. Juli 2008 um 0,25 Prozentpunkte auf 1,95 Prozent (2,2 Prozent für Kinderlose) steigen. Dies reiche bis Ende 2014 aus. Danach seien «neue Antworten» nötig.

Bezahlte Freistellung für Angehörige, die zuhause einen Pflegefall organisieren müssen, werde «irgendwann Realität», sagte Schmidt. Man werde sehen, was der Plan der SPD-Fraktion erbringe, dieses im nun folgenden parlamentarischen Verfahren noch durchzusetzen. Der Entwurf sieht unbezahlte Freistellung vor. Neu ist die Möglichkeit, sechs Monate Pflegezeit ohne Lohnersatz zu nehmen. Insgesamt habe die Reformdiskussion bereits eine «Klärung» darüber angestoßen, was Pflege der Gesellschaft künftig wert ist, sagte Schmidt.

Nach Aufsehen erregenden Berichten über schlechte Zustände in vielen Heimen zeigte sich Schmidt optimistisch, dass es nach der Reform «so wenig Missstände wie möglich» geben werde. Alle drei statt heute alle fünf Jahre soll es Kontrollen geben, dazu bei 20 Prozent der Einrichtungen jährlich unangemeldete Prüfungen. Verständliche Berichte über die Qualität der Heime in der Umgebung sollen dann für jeden im Internet per Mausklick zu finden sein. Schmidt sagte, von Prüfungen und Dokumentation erhoffe sie sich «mehr Wettbewerb». Unnötige Einweisungen in Krankenhäuser sollen notfalls durch die Einstellung neuer Heimärzte vermieden werden.

Grünen-Expertin Elisabeth Scharfenberg kritisierte angesichts des Älterwerdens der Gesellschaft: «Bei der Finanzierungsreform versagen Union und SPD auf ganzer Linie.» Der Pflege-Experte der Linken, Ilja Seifert, kritisierte, viele Pflegebedürfte erhielten nur zehn Euro mehr im Monat. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt sagte: «Es werden weitere Leistungsverbesserungen beschlossen, ohne gleichzeitig eine Antwort darauf zu geben, wie diese langfristig finanziert werden sollen.» Volker Leienbach, Verbandschef der privaten Krankenversicherung, kritisierte im Sender n-tv die Stützpunkte als «neue Bürokratie».