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Er baute sich selbst ein Flugzeug Er baute sich selbst ein Flugzeug: Der Traum von der Flucht aus der DDR

20.08.2018, 05:57
Michael Schlosser sitzt in dem selbstgebauten Flugzeug "Ikarus".
Michael Schlosser sitzt in dem selbstgebauten Flugzeug "Ikarus". dpa

Meißen - „Fliescht das?“, wird der Rentner, der neben einem in der Sonne glänzenden Flugzeug steht, auf Sächsisch gefragt. „Ja, nur wenn man flüchten will“, antwortet Michael Schlosser mit leichtem Dialekt am Samstag im Klosterhof von St. Afra in Meißen.

Und schon ist der 74-Jährige gedanklich wieder in seiner Vergangenheit, die die Staatssicherheit unter dem Decknamen „Ikarus“ ablegte. Der gelernte Kraftfahrzeugmeister baute sich 1983 heimlich ein Flugzeug, um in den Westen zu kommen.

Schlosser baut seine verschollene „Maschine in die Freiheit“ immer wieder nach

Schlosser aber wird verraten, verurteilt und ein halbes Jahr später von der Bundesrepublik freigekauft. Seit 2004 lebt der gebürtige Thüringer wieder in Sachsen - und baut seine verschollene „Maschine in die Freiheit“ immer wieder nach. Mittlerweile gibt es drei Kopien, die er trotzig „Ikarus“ nennt. Zwei davon befinden sich in Museen, mit dem dritten tourt er als Zeitzeuge durchs Land.

„Der Auslöser war Radiowerbung“, erzählt der Grauhaarige. Im Urlaub im tschechischen Doksy (Hirschberg am See) hörte er, „dass der Springer-Verlag demjenigen eine Million D-Mark zahlt, der mit einem Hubschrauber auf dem Springer-Hochhaus landet“.

Zuerst glaubte der Mittdreißiger an einen Scherz und fragte per Telefon aus Tschechien nach. „Ja, sagten sie, aber der Hubschrauber muss selbst gebaut sein.“ Und er sollte zwei Wochen vor dem Flug den Termin durchsagen.

„Ich bin nach Hause gefahren und habe angefangen zu bauen.“ Statt eines Hubschraubers, für den er Helfer und damit Mitwisser gebraucht hätte, wird es ein Leichtbauflieger aus dünnem Vierkantstahlprofil mit modifiziertem Trabant-Motor. Dabei helfen seine Erfahrung aus der Armeezeit bei den Luftstreitkräften, ein altes Segelflug-Buch und Fotos kleiner Flugzeuge mit Menschen zum Größenvergleich.

Schlosser wurde von einem Kollegen verraten

Nach zwei Jahren heimlicher Werkelei im Dresdner Kleintierstall macht Schlosser, damals Fuhrparkleiter beim DDR-Fernsehen, Mitte August 1983 eine Flugprobe mit seinem 5,20 Meter langen Vogel - auf einem Truppenübungsplatz in der Nähe. Dem russsischen Offizier sagt er, dass er das Flugzeug für Filmaufnahmen testen muss. „Viel später erst habe ich erfahren, dass mich schon seit Juli zwei Stasi-Spitzel im Visier hatten.“

Ein Kollege hatte ihn verraten. „Ich hatte mir in einer Zeitschrift zu lange einen Motordrachen mit technischen Angaben angesehen.“ Da hat Schlosser schon geplant, am Morgen des 11. November 1983 nahe des Grenzübergangs Rudolphstein/Hirschberg an der A9 in Franken zu landen.

„Die Gegend kannte ich, weil ich in Triptis geboren wurde.“ Zu dem verabredeten Anruf in Berlin kommt er nicht mehr: Ende Oktober durchsucht die Stasi sein Anwesen, findet das Flugzeug und holt ihn im Sender ab.

Nach fünf Monaten Untersuchungshaft wird er im März 1984 zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, „wegen Vorbereitung zur Republikflucht im schweren Fall“, liest er vor. Ein halbes Jahr ist er im „Gelben Elend“, dem Gefängnis in Bautzen, danach kommt er in Abschiebehaft. „Am 5. Dezember 1984 bin ich dann in den Bus gen Westen gestiegen.“ Schlosser kann sich nun endlich beruflich selbstständig machen, was ihm die DDR verwehrte.

Für einen Film baut Schlosser 2007 zum ersten Mal sein Fluchtflugzeug nach

„Als der Gewerbeantrag nach acht Jahren Wartezeit 1980 abgelehnt wurde, wollte ich raus; es war eine Trotzreaktion.“ In Alzey (Rheinland-Pfalz) baut sich der gelernte Kfz-Mechaniker eine neue Existenz auf, seine beiden Kinder und die Ex-Ehefrau holt er drei Jahre später nach. 2003 geht er nach Dresden zurück, dann in sein Haus in Liebstadt (Sächsische Schweiz).

Für einen Film baut er 2007 zum ersten Mal sein Fluchtflugzeug nach - mit der Außenhaut aus Aluminium statt Polyester. „Wenn ich damals 15 Tafeln Aluminiumblech gekauft hätte, das wäre aufgefallen“, lacht er. Seitdem erzählt Schlosser die Story seines Lebens oft. „Meine Geschichte ist greifbar, nichts erfunden oder dazu gedichtet.“ Er ist auch ehrenamtlich für das Zeitzeugenbüro der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur tätig.

Dort hat ihn Julia Gerlach von der Evangelischen Akademie Meißen gefunden, und im Zuge der Schau „Voll der Osten. Leben in der DDR“ (20. August bis 14. September) zum Klosterhoftag eingeladen. „Der Gesprächsbedarf zum Thema DDR ist derzeit sehr groß“, sagt sie.

„Es geht es vor allem um Austausch zur Vergangenheit und Aufarbeitung.“ Vielen sei es wie den Zeitzeugen gegangen. „Sie wollten die DDR an sich nicht stürzen, sondern die Möglichkeit, so zu leben, wie sie wollten; wie Herr Schlosser, der seine Werkstatt wollte und sie nicht bekommen hat.“

Einen Ausreiseantrag hat er nie gestellt, aus Angst, seinen Job beim Fernsehen zu verlieren. „Und mir ging es ja auch gut.“ Sein Abenteuer hat er trotzdem nie bereut, und frönt seiner Leidenschaft für den Flugzeugbau. Nur abheben darf er noch immer nicht: kein Flugschein und die Maschinen sind nicht registriert. „Wenn ich offiziell in die Lüfte gehe, wäre das wie beim Auto ohne Zulassung und Führerschein.“ (dpa)