Rechtsextremismus Rechte Umtriebe: Ein Hilferuf aus Brandenburg und die Folgen
Die Bürgermeisterin von Spremberg hat mit einem Brandbrief gegen zunehmenden Rechtsextremismus viele aufgerüttelt. Ihre Kritiker sehen die Kleinstadt hingegen zu Unrecht am Pranger.

Spremberg - Am Laternenpfahl in der Nähe der Schule prangt ein Aufkleber der rechtsextremen Kleinstpartei „Dritter Weg“: „Deutschland den Deutschen“. Unweit davon an einem Verkehrsschild Sticker der „Nationalrevolutionären Jugend“. Jeder in Spremberg merke, wie das zugenommen habe, sagt Bürgermeisterin Christine Herntier. In ihrer Sprechstunde säßen Menschen voller Angst und Wut über die rechten Umtriebe in ihrer Stadt, manche in Tränen. Das könne man nicht einfach geschehen lassen, meint Herntier. Und darüber dürfe man nicht länger schweigen.
Mit einem Brandbrief zum Erstarken des Rechtsextremismus sorgt die parteilose Unternehmerin, seit 2014 Bürgermeisterin der Kleinstadt mit 22.000 Menschen im Südosten Brandenburgs, seit Tagen auch bundesweit für Aufsehen. Nun hat sie bei der Stadtverordnetenversammlung zur Diskussion gebeten. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger glaubt Herntier hinter sich. Aber in der Sitzung der 27 Stadtverordneten erhält sie auch Widerworte.
Aus den Reihen der AfD kommt der Vorwurf, die Bürgermeisterin schade dem Image der Stadt. Überhaupt handele es sich bei dem von Herntier beschriebenen Phänomen um eine „Randerscheinung“, sagt der AfD-Abgeordnete Michael Hanko. „Ich glaube, dass das irgendwelche dumme Jungs waren.“ Er nimmt die Bürgermeisterin scharf ins Visier: Während der Sommerpause werde geprüft, ob ein Abwahlverfahren angestrebt werde.
Rücktrittsforderungen an die Bürgermeisterin
Kritik an Herntier ist schon am Vormittag auf dem Marktplatz zu hören, wo sich eine kleine Gruppe Protestierender versammelt hat. Einige fordern den Rücktritt Herntiers. Auch hier heißt es, die Bürgermeisterin habe dem Ansehen geschadet. „Als Bürger der Stadt Spremberg fühle ich mich mit ihren Auftritten in die rechtsradikale Schiene gedrückt.“
Das werfe kein gutes Licht auf die Stadt, sagt eine Teilnehmerin. Sie habe hier keine Angst vor Rechtsextremen, sondern vor zugereisten Männern. An Schulen seien nicht Rechtsextreme das Problem, sondern ausländische Jugendliche. Eine andere Frau sagt, die Stadt werde in den Dreck gezogen. Sie habe noch nicht gehört, dass es hier eine rechtsextreme Szene gebe.
Herntier setzt sich zur Wehr
In der Stadtverordnetenversammlung setzt sich Herntier zur Wehr. „Geht das Problem weg, wenn wir es nicht benennen?“, fragt die Bürgermeisterin in der Sitzung. Straftaten wie verfassungsfeindliche Symbole und Volksverhetzung seien nicht hinzunehmen, man müsse gemeinsam dagegen vorgehen. Sie zeigt Bilder mit rechten Schmierereien und Plakaten. „Wer findet es gut, wenn wir Gäste am Bahnhof so begrüßen?“, fragt Herntier, die zuletzt 2021 mit mehr als 60 Prozent wiedergewählt wurde.
Viele in der Stadtverordnetenversammlung signalisieren Unterstützung. Wenn sich die rechte Jugendkultur erst festgesetzt habe, dann habe die Stadt in drei, vier oder fünf Jahren rechte Gewalttäter, sagt der Stadtverordnete und Sozialarbeiter Benny Stobinski (Wählergruppe „Die Spremberger“). „Dann haben wir diese Baseballschläger-Jahre.“ Es sei richtig gewesen, die Entwicklung öffentlich zu machen, sagt Stobinski.
„Rechtsextreme Landnahme“
Immer wieder verweisen Verfassungsschützer gerade in Südbrandenburg auf eine rechtsextremistische Szene. In Spremberg wurden schon vor mehr als zehn Jahren Attacken rechtsextremer Gewalttäter bekannt.
Lorenz Blumenthaler von der Amadeu Antonio Stiftung – ihr Ziel ist die Stärkung der Zivilgesellschaft und die Eindämmung von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus – sieht in der Region „rechtsextreme Landnahme aus dem rechtsextremen Playbook“. Gemeint ist das Besetzen von Räumen: Billige Immobilien in der vom Kohleausstieg betroffenen Region werden aufgekauft, öffentliche Plätze zum Beispiel mit Plakaten und Aufklebern als Revier markiert, Jugendliche ohne viele Freizeitoptionen angesprochen.
„Gespräche mit der Deutschen Jugend“
Der „Dritte Weg“ kommuniziert das ganz offen auf seiner Homepage. „Gespräche mit der Deutschen Jugend vor Ort bestärkten in unserem Handeln“, schreibt die laut Verfassungsschutz rechtsextremistische Gruppe. Es gebe gesteigertes Interesse bei Jugendlichen.
Blumenthaler sagt, es handele sich um „eine militant streng hierarchisch organisierte Neonaziformation“ mit Führerprinzip und NS-Ideologie. Sie biete Jugendlichen Ideologie, Kampfsport, aber auch „kulturell völkische Veranstaltungen“ wie etwa Sonnwendfeiern. Etabliert habe sich die Gruppe in einem Umfeld, in dem auch die AfD stark sei. Bei der Bundestagswahl im Februar erreichte die AfD in Spremberg 45,5 Prozent der Zweitstimmen.
Die Stadt ist kein Einzelfall
Klar ist für den Experten, dass Spremberg kein Einzelfall sei. Das sieht auch der brandenburgische Verfassungsschutz. Die Zahl der Rechtsextremisten in Brandenburg hat nach dessen Erkenntnissen im vergangenen Jahr einen Höchststand erreicht. Erfasst wurden 3.650 Personen – fast ein Fünftel mehr als im Jahr zuvor. Vier von zehn Rechtsextremisten gelten als gewaltorientiert.
Blumenthaler sieht die Corona-Pandemie als Beschleuniger der Entwicklung in den vergangenen fünf Jahren: Es sei eine existenzielle Krisenerfahrung, die den selbsterklärten Widerstand gegen „die da oben“ scheinbar legitimiert habe. Jugendliche hätten im Lockdown Ohnmacht erlebt und zugleich viel Zeit für Tiktok und Co gehabt, wo die AfD und andere rechte Gruppen stark seien.
Auf der Suche nach einem Rezept
Aber was soll die Entwicklung stoppen? „Das gebe ich ja gerne zu, dass wir bisher nicht das richtige Rezept gefunden haben“, sagt Bürgermeisterin Herntier zuletzt im ZDF. „Aber mit Sicherheit ist es falsch, so zu tun, als ob das alles nicht stattfinden würde.“ Sie erhofft sich Erkenntnisse und neue Ansatzpunkte von Verfassungsschützern, die sich für Freitag zum Gespräch angekündigt haben.