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Schicksalstag der Koalition Rentengesetz mit „Kanzlermehrheit“ beschlossen

Die lange Zitterpartie ist vorbei. Der Bundestag hat das umstrittene Rentengesetz beschlossen. Kanzler Merz kann aufatmen, auch wenn zunächst noch ein winziger Rest Unsicherheit bleibt.

Von Michael Fischer, Basil Wegener, Sascha Meyer, Theresa Münch und Andreas Hoenig, dpa Aktualisiert: 05.12.2025, 13:26
Kanzler und Vizekanzler dürften zufrieden sein mit dem Ergebnis.
Kanzler und Vizekanzler dürften zufrieden sein mit dem Ergebnis. Kay Nietfeld/dpa

Berlin - Nach monatelangen Diskussionen hat der Bundestag das in der schwarz-roten Koalition hoch umstrittene Rentengesetz mit absoluter Mehrheit beschlossen. Nach Angaben des Bundestagsvizepräsidenten Bodo Ramelow stimmten 319 Abgeordnete mit Ja, 225 mit Nein und 53 enthielten sich. Damit hat Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sein Ziel der „Kanzlermehrheit“ von 316 Stimmen um drei Stimmen übertroffen.

Ob tatsächlich alle Ja-Stimmen aus den Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD kommen, wird sich aber erst später herausstellen. Listen mit dem Abstimmungsverhalten der einzelnen Abgeordneten werden mit etwa einer Stunde Verzögerung veröffentlicht.

Kanzlermehrheit wahrscheinlich aus eigener Kraft

Es ist allerdings sehr wahrscheinlich, dass die Koalition die Kanzlermehrheit aus eigener Kraft erreicht und damit eine drohende Regierungskrise abgewendet hat. AfD und Grüne hatten vor der Abstimmung ihre Ablehnung angekündigt. Die 64 Abgeordneten der Linken hatten sich verständigt, sich zu enthalten, und der Koalition damit das Erreichen einer eigenen Mehrheit erleichtert. Denn Enthaltungen werden bei namentlichen Abstimmungen über einfache Gesetze nicht mitgezählt.

Es ist aber davon auszugehen, dass die Entscheidung der Linken Skeptiker in der Union eher zu einer Zustimmung bewegt hat. In CDU und CSU besteht Einigkeit, dass man sich die Blöße einer Hilfestellung der von beiden Parteien politisch geächteten Linken nicht geben will. Die CDU hat eine koalitionsähnliche Zusammenarbeit mit der Linken sogar per Parteitagsbeschluss ausgeschlossen.

Bundesrat entscheidet am 19. Dezember

Wenn auch der Bundesrat am 19. Dezember zustimmt, kann das Gesetz am 1. Januar 2026 in Kraft treten. Der Abstimmung war ein monatelanger Streit vor allem innerhalb der Union vorausgegangen. 18 junge Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion, die zu Beginn der Wahlperiode nicht älter als 35 waren, gingen wegen nur eines Satzes im Gesetzentwurf von Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) auf die Barrikaden.

Danach soll das Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent stabilisiert werden. Durch die sogenannte Haltelinie soll verhindert werden, dass die jährlichen Rentenerhöhungen nicht mehr Schritt halten mit den Einkommen in Deutschland: Immer mehr Babyboomer werden von Einzahlern zu Rentnerinnen und Rentner, die Rente soll mit Steuergeld gestützt werden – Kosten: allein 2031 rund 11 Milliarden Euro. Aber – und das lehnen die jungen Unionsabgeordneten ab – auch die nachfolgenden Rentenerhöhungen sollen höher als ohne Gesetz sein und auf dem dann erreichten Niveau aufsetzen.

Vor immer weiteren Kosten ab 2032 warnen die Renten-Rebellen, jährlich 15 Milliarden Euro soll das weiter gestützte Rentenniveau kosten – zu viel aus ihrer Sicht. Die junge Generation müsse am Ende eine zu hohe Rechnung bezahlen, argumentieren sie. SPD-Arbeitsministerin Bas werfen sie vor, bei der Ausgestaltung der Haltelinien-Klausel über den Koalitionsvertrag hinausgegangen zu sein.

Für Spahn ging es um seine politische Zukunft

Kanzler Merz schlug sich in der Auseinandersetzung auf die Seite der SPD. Die Renten-Rebellen der Union wurden in Einzelgesprächen bearbeitet, die vor allem Fraktionschef Jens Spahn (CDU) führte. Dem war schon das Scheitern der Richterwahl im ersten Anlauf im Sommer angelastet worden. Deswegen ging es für ihn bei der Abstimmung auch um seinen Job. Ein Scheitern hätte möglicherweise sein Aus als Fraktionschef bedeutet.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann verwies in einer turbulenten Debatte im Bundestag vor der Abstimmung noch einmal darauf, dass es im nächsten Jahr weitere Rentenreformschritte geben werde. „Dafür müssen wir Verantwortung übernehmen. Dafür braucht es Mut“, sagte er. Auch für diesen zweiten Schritt brauche es „heute ein starkes Mandat für dieses Paket, ein starkes Mandat für diese Koalition, ein starkes Mandat für die Bundesregierung und ein starkes Mandat für den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland“.

Merz verpasst größten Teil der Debatte

Merz verpasste den größten Teil der Debatte. Er nahm erst mit mehr als 50 Minuten Verspätung demonstrativ gut gelaunt auf der Regierungsbank Platz. Der Kanzler hatte die Latte für die Abstimmung am Donnerstagabend noch einmal ein Stück höher gelegt und sich die „Kanzlermehrheit“ als Ziel gesetzt.

Die heißt so, weil sie nur in wenigen Fällen wie der Wahl des Bundeskanzlers oder der Vertrauensfrage des Kanzlers benötigt wird. „Wir haben 630 Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Die Mehrheit ist 316. Wir haben 328 und ich würde mir ein Ergebnis wünschen zwischen 316 und 328“, sagte er nach einem Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder auf eine Journalistenfrage.

Indirekte Vertrauensfrage des Kanzlers

Damit hat der Kanzler noch einmal verdeutlicht, dass es bei der Abstimmung nicht nur um ein Gesetz, sondern um das Vertrauen in seine Koalition und letztlich um ihren Bestand geht. Manche werteten den Schritt sogar als indirekte Vertrauensfrage.

Merz wusste allerdings zu diesem Zeitpunkt auch schon, wie viele Abweichler sich bei der Fraktionsführung gemeldet haben. Dafür gab es eine Frist bis Mittwoch um 12.00 Uhr. Da es eine namentliche Abstimmung ist, können die Abgeordneten bei diesem in der Geschäftsordnung der Fraktion festgelegten Verfahren auch nicht schummeln. Sie müssen Farbe bekennen.

Zweiter Renten-Rebell sagt Nein

Öffentlich angekündigt hatte sein Nein in den letzten Tagen nur ein Unionsabgeordneter: der Vorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel. In der Debatte folgte mit dem Vorsitzenden der Jungen Gruppe, Pascal Reddig, ein zweiter Unionist. Der Gesetzesentwurf gehe gegen seine „fundamentalen Überzeugungen“, gegen alles, wofür er Politik gemacht habe und gegen Generationengerechtigkeit. „Und deshalb habe ich mich entschieden, diesem Gesetz nicht zuzustimmen“, sagte Reddig.

Rentenstreit wird nachwirken

Auch wenn Merz die eigene Kanzlermehrheit erreicht haben sollte: Der Rentenstreit hat Spuren hinterlassen, die bleiben werden. Das Vertrauen zwischen Merz und den jungen Abgeordneten in der Union ist nachhaltig gestört. Die Junge Gruppe dürfte auch weiterhin klare Kante zeigen, wenn es gegen die Interessen der jungen Generation geht. Das gilt natürlich vor allem für die geplante größere Rentenreform im nächsten Jahr.

Zweites Koalitionsjahr dürfte noch schwieriger werden

Für die Koalition wird 2026 eher schwerer als leichter. Es stehen fünf Landtagswahlen an, unter anderem in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, wo die AfD in den Umfragen an die 40 Prozent erreicht. Im Dauerwahlkampf sollen also Reformentscheidungen getroffen werden, die schwieriger werden als das, was Schwarz-Rot in den ersten sieben Monaten bei nur einer Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen beschlossen hat.