Der Schuh auf dem Pult der UNO
NEW YORK/AFP. - Ein Schuh, ein Sowjetführer, ein malträtiertes Pult: Was sich vor 50 Jahren, am 13. Oktober 1960, im UN-Hauptquartier in New York abspielte, wurde rasch zum Stoff für politische Legenden. Ob der sowjetische Ministerpräsident Nikita Chruschtschow bei seinem denkwürdigen Auftritt vor der UN-Vollversammlung lediglich zornentbrannt mit seinem rechten Schuh in der Hand herumfuchtelte oder ihn tatsächlich aufs Pult vor ihm schlug - darüber gehen heute die Meinungen der Historiker auseinander. Klar aber ist, dass Chruschtschow einen filmreifen Wutausbruch hinlegte.
Das Thema der UN-Sitzung war Entkolonialisierung. Wie die «New York Times» damals berichtete, brachte die Rede eines philippinischen Delegierten den Sowjetführer in Rage. Der Delegierte hatte der UdSSR vorgeworfen, Osteuropa einer imperialistischen Herrschaft unterworfen zu haben. Chruschtschow beschimpfte den Mann als «Lakaien» der USA, er bebte vor Wut. Was dann passierte, beschrieb die «New York Times» wie folgt: «Er zog seinen rechten Schuh aus, erhob sich und deutete mit seinem Schuh auf den philippinischen Delegierten. Dann hämmerte er mit seinem Schuh aufs Pult.»
Andere Zeitzeugen berichteten später freilich, Chruschtschow habe nur mit seiner Faust auf das Pult getrommelt, nicht jedoch mit seinem Schuh. So oder so: Chruschtschows Auftritt wurde zum Imagedebakel, der Kreml-Herr zeigte sich als reizbarer Grobian von denkbar schlechter Seite. Seine Enkelin Nina Chruschtschowa hat später mit einer neuen Theorie die Ehrenrettung ihres Großvaters versucht: Dem Politiker sei die Uhr auf den Boden gefallen. Als er sie aufheben wollte, griff er den Schuh, den er zuvor ausgezogen hatte, weil er zu sehr drückte. Der genaue Ablauf wird letztlich wohl im Dunkeln bleiben: Filmaufnahmen von damals sind heute unauffindbar.