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Der Karajan-Krach in Berlin

Von Wilfried Mommert 02.04.2008, 13:45

Berlin/dpa. - Der Widerspruch nicht gewohnte Karajan hatte derselbstbewussten «Orchesterrepublik» die junge, 1959 geboreneKlarinettistin aufzwingen wollen. Die gleich nach den Feiern zum 100.Geburtstag der Berliner Philharmoniker Ende 1982 ausbrechendenQuerelen zwischen Chefdirigent und Orchester wuchsen sich zumerbitterten Prinzipienstreit aus. Die Klarinettistin zog sich nacheinem Jahr freiwillig wieder zurück.

Die Musikwelt verfolgte mit zunehmenden Entsetzen einen quälendenund auch öffentlich ausgetragenen jahrelangen Machtkampf zwischen denMusikern und Karajan mit Drohungen, Erpressungen,Vertragskündigungen. Sie küssten und sie schlugen sich vor den Augender Weltöffentlichkeit. Es war ein «bitterböser Vernichtungskrieg»,wie sich der langjährige Intendant der Berliner Festspiele, UlrichEckhardt, erinnert. Die Musik spielte dabei nur noch die zweiteGeige.

Das alles endete nach jahrelangen trotzigen Protestreaktionen aufbeiden Seiten, «Waffenstillständen» und einem trügerischenVersöhnungskonzert mit der Kündigung Karajans. Der gab seinenlebenslangen Berliner Vertrag im April 1989 auf, ein Schritt, den esin der Geschichte der Berliner Philharmoniker noch nie gegeben hatte.Der Dirigent und «Generalmusikdirektor Europas» überlebte seinenKündigungsbrief nur wenige Monate - er starb am 16. Juli 1989 imAlter von 81 Jahren in seinem Haus in Anif bei Salzburg.

In der Hauszeitung der Berliner Philharmoniker heisst esanlässlich des 100. Geburtstages Karajans am 5. April, dass diedamals gerade neu berufene Berliner Kultursenatorin Anke Martiny(SPD) die Demission angenommen hatte. Dass sie Karajan nicht zurUmkehr zu bewegen versuchte, müsse für den Stardirigenten «diegrösste Niederlage» gewesen sein. Eckhardt, der bei den BerlinerFestwochen oft mit Karajan und den Philharmonikern zusammenarbeitete,meinte in einer Gedenksendung von Deutschlandradio Kultur jetztrückblickend, es sei eine äusserst tragische Situation gewesen. Erhabe damals vergeblich zu verhindern versucht, «dass eineErfolgsgeschichte in einem bitterbösen Vernichtungskrieg» endet.«Verträge auf Lebenszeit sind ein Fehler, auch in den bestenBeziehungen lebt man sich auseinander, das Gift des Misstrauensschleicht sich ein.»

Der menschliche Umgang miteinander stimmte schon länger nichtmehr. Hinzu seien große gesundheitliche Probleme Karajans gekommen,der sich zuletzt nur noch mühsam aufs Podium schleppte und mit Hilfeeiner möglichst unauffälligen Sitzstütze dirigieren konnte.Schließlich hätten sich damals auch große Veränderungen auf demMusikmarkt angebahnt, und es ging auch um einträglicheNebentätigkeiten der Musiker, die dem Chef ein Dorn im Auge waren.«Im Orchester rumorte es», bis es zum Bruch kam - wegen einer jungenFrau.

«Sie fetzten sich wie ein altes Ehepaar», meinte der Ex-Staatssekretär der Berliner Kulturverwaltung und «Unterhändler»beider Seiten, Lutz von Pufendorf. Von feinfühliger Psychologiehielten die Kontrahenten wenig. Respekt vor der LebensleistungKarajans und deutliches Unbehagen über sein aktuelles Verhaltenwurden im Kulturausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses offenbar.Politiker streuten Salz in die Wunden des Chefdirigenten, wenn sievon einem «notwendigen Erneuerungsprozess des Orchesters» sprachen.Aber keiner wollte den ersten Stein werfen. Und Karajan selbst hatteseinen Musikern mal gesagt: «Solange mein Arm einen Taktstock haltenkann, werdet ihr mich nicht los.» Das war allerdings in früherenZeiten keineswegs als Drohung gemeint.

Aber Karajan unterschätzte auch die Stimmungslage in Berlin, alser seine Teilnahme am Eröffnungskonzert ausgerechnet zur ErnennungBerlins als Kulturhauptstadt Europas 1988 absagte. Das wurde, auchwenn von einem «grippalen Infekt» die Rede war, als Affrontempfunden. Der damalige Kultursenator Volker Hassemer (CDU) erwarteteauch «die Solidarität Karajans nicht nur zu seinem Orchester, sondernauch zu Berlin». Auch in der Bevölkerung meldeten sich vermehrtStimmen zu Wort, die «ein Ende» forderten.

Und so war denn auch der Anfang vom Ende der Ära Karajaneingeläutet. Schon 1984 hatten die Philharmoniker ihremChefdirigenten den «Bild-Tonträger-Verwertungsvertrag» gekündigt,neun unvollendete Beethoven-Filme drohten zu einer Millionenpleite zuwerden. Der medienbewusste und technikbegeisterte Karajan war aneiner empfindlichen Stelle getroffen, er sah sein künstlerischesVermächtnis in den neuen Medien gefährdet. So kam es noch im gleichenJahr im Herbst notgedrungen noch einmal zu einem offiziellenVersöhnungskonzert mit Bachs h-moll-Messe und dem Schlusschor «Donanobis pacem» (Gib uns Frieden).

Wolfgang Stresemann, auf dem Höhepunkt der Krise noch einmal alsInterims-Intendant zu Hilfe gerufen, erinnerte dabei ausdrücklichdaran, dass Karajan «dank des künstlerischen Selbstverwaltungsrechtsdes Orchesters» 30 Jahre (1954) zuvor Nachfolger von WilhelmFurtwängler geworden war. Karajan sagte darauf nur einen Satz: «Jetztist Pause.»

Die künstlerische Ehe hatte einen Riss, der nicht mehr zu kittenwar. «Die warten auf meinen Tod», hatte Karajan einmal grimmig überseine Musiker gesagt. Im April 1988 dann der Donnerschlag - Karajansagte das Eröffnungskonzert zur Kulturstadt Europas in Berlin ab. EinJahr später trat er im April unmittelbar nach Ostern 1989 von seinemPosten in Berlin zurück («Ayatollahs Abgang» titelte damals eineZeitung). Am 16. Juli 1989 starb Karajan in den Armen seiner FrauEliette. Er wurde bereits einen Tag später in aller Stillebeigesetzt.