1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Braunkohleabbau in Sachsen: Braunkohleabbau in Sachsen: Die letzten Pödelwitzer kämpfen um ihre Heimat

Braunkohleabbau in Sachsen Braunkohleabbau in Sachsen: Die letzten Pödelwitzer kämpfen um ihre Heimat

30.08.2017, 08:00
Sie wollen den Baggern nicht weichen: Die Pödelwitzer Thilo Kraneis, André  Kremkow und Jens Hausner (v.l.) an einem gelben Andreaskreuz, das den Widerstand bis zum Tag X symbolisiert.
Sie wollen den Baggern nicht weichen: Die Pödelwitzer Thilo Kraneis, André  Kremkow und Jens Hausner (v.l.) an einem gelben Andreaskreuz, das den Widerstand bis zum Tag X symbolisiert. Stedtler

Pödelwitz - Wenn er mit der Arbeit fertig ist, dreht er seine Runde durchs Dorf. Jeden Abend, zwei Kilometer, zu Fuß, frische Luft, sich umsehen. Durch sein Dorf oder das, was noch ist: Pödelwitz, 20 Kilometer südlich von Leipzig, ein altes Bauerndörfchen, die kleine Kirche mit ihrem Glockenstuhl von 1549 steht noch.

Alte Eichen und Kastanien, Gärten, die sich in wilde Natur verwandeln, ein paar Wege, ein leeres Bahnhofshäuschen. Ein kleiner Ort, ein schöner Abend, himmlische Ruhe. Manchmal sieht er Rehe, manchmal den Dachs, der zwischen Apfelbäumen herumstreicht.

Thilo Kraneis, 50 Jahre alt, Schlosser, gerade von der Arbeit zurück, steht vor seinem alten Haus, er blickt sich um, kleine Pause, er lauscht: „Herrlich, die Ruhe, ein Traum.“

Braunkohleabbau in Sachen bedroht Dorf: 20 Pödelwitzer sind noch da

Dass es so ruhig in Pödelwitz ist, liegt vor allem daran, dass kaum noch jemand dort wohnt. Etwa 140 Einwohner hatte das Dorf zu besseren Zeiten, nun sind es noch 20. Oder schon weniger. So genau weiß Kraneis es auch nicht.

Er hat eine kleine Karte in der Hand, sie zeigt sein Dorf und sie zeigt das Drumherum, den Tagebau Vereinigtes Schleenhain, der Pödelwitz wie ein Schraubstock umspannt. Zwischen zehn und 20 Millionen Tonnen Braunkohle liegen vermutlich unter dem Dorf. Dafür soll es weichen. Devastiert werden, wie Bergleute das nennen.

Kraneis will aber nicht. Es gibt noch zwei andere im Dorf, seine Nachbarn Jens Hausner und André Kremkow. Sie sind die „Bleiber“, sie wollen nicht gehen, sie sehen es nicht ein, sie widersetzen sich.

„Ich bin mit 16 umgezogen, ich musste, auch das Dorf wurde weggebaggert. Also kamen wir hierher. Das Haus hier ist von 1908, wir haben alles renoviert, wir haben damals die Steine sortiert, Kabelschächte gehackt, alles gemacht. Das ist mein Heim und das soll es bleiben.“ Den Kremkows war es ähnlich ergangen, sie mussten 1983 aus Droßdorf wegziehen. Ihnen war versprochen worden: danach nie wieder.

Tagsüber baut Kraneis in seiner kleinen Firma Tore, Fenstergitter, Türen. Sein alter Vater hilft mit. Abends liest er sich ein in Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in Papiere von Umweltverbänden, sächsische Landtagsdrucksachen, das CDU-Wahlprogramm, das Pariser Klimaschutzabkommen von 2016, Braunkohlepläne oder Mitteilungen des Umweltbundesamtes.

Braunkohleabbau in Sachsen bedroht Pödelwitz: Die letzten Einwohner werden zu Energiefachleuten

Über die Jahre ist er ein Naturbursche, Fachmann für deutsche Energiepolitik und Heimatkundler geworden. „Niemand braucht die Kohle unter Pödelwitz“, sagt er. „Seit Jahren redet die Bundespolitik vom Kohleausstieg, es gibt das Pariser Klimaschutzabkommen. Aber nichts passiert.“

Tatsächlich haben Kraneis und seine wenigen Mitstreiter beste Argumente für die Rettung ihres Dorfes. Es ist noch nicht allzu lange her, da wurde der Nachbarort Heuersdorf weggebaggert. Der Sächsische Landtag beschloss 1998 per Gesetz den umstrittenen Abriss Heuersdorfs und klassifizierte gleichzeitig den Ort Pödelwitz als „Schutzgut“ ein.

Damals hieß es, mit dem Abriss Heuersdorfs ab 2006 und der Nutzung der Braunkohle sei das benachbarte Kraftwerk in Lippendorf, das aus dem Tagebau Vereinigtes Schleenhain täglich mit 35 000 Tonnen gefüttert wird, bis 2040 ausgelastet. Im Braunkohleplan ist Pödelwitz nicht einmal als Abbaugebiet vorgesehen, dort steht es als „Vorbehaltsgebiet“.

Aber das nützt alles nichts, wenn Geld ins Spiel kommt. Der Tagebau wird von der Mibrag betrieben, der Mitteldeutschen Braunkohlegesellschaft, seit 2009 Teil der tschechischen Industrieholding EPH. Ihr gehören zusammen mit anderen Partnern mehrere Tagebaue und Kraftwerke in Deutschland. Seit 2010 versucht die Mibrag, sich Pödelwitz stückweise zu kaufen, die meisten Häuser und Grundstücke besitzt sie schon.

„Man muss es so sagen“, meint Kraneis: „Wir hatten eine Bürgerversammlung damals, Umsiedlung ja oder nein. 51 Prozent waren dafür, 17 dagegen.“ Vor drei Jahren seien die meisten noch dagewesen. „Nun sind fast alle, die weg wollten, auch tatsächlich weg.“

Die Feuerwehr gibt es nicht mehr, im November 2015 aufgelöst, weil nicht mehr genügend mitmachten. Der Bäckerwagen kommt auch nicht mehr, Läden gibt es sowieso nicht. Es ist eigentlich nichts mehr da. Zweimal die Woche kommt noch ein Metzgerwagen mit Wurst und Fleisch. Und an der Bushaltestelle steht morgens nur noch ein kleines Mädchen, das in die Schule im Nachbarort Groitzsch fährt. „Es waren mal 18 Kinder“, sagt Kraneis.

Braunkohleabbau in Sachsen: Pödelwitz wurde unterm Hintern weggekauft

Die angebotenen Summen ließen die meisten Pödelwitzer schwach werden: Haus und Grund so berechnet, als drohte kein Wertverlust, plus 75 000 Euro extra. „Manche bekamen jetzt ein Haus mit Keller, Ältere waren froh, ein kleineres Haus zu bekommen und ihren alten Bauernhof los zu sein“, erzählt Kraneis.

Und wieder andere, die in den 1990ern neu gebaut hatten und nun erste Reparaturen machen mussten, die hätten einfach ein neues Haus genommen. Für Mieter gab es neue Wohnungen zu billigsten Konditionen. So kam, was kommen musste, zwischen 2014 und heute waren die meisten Pödelwitzer weg. Kraneis zuckt mit den Schultern, während er erzählt. So seien die Leute nun mal. Ihm wird sein Dorf unterm Hintern weggekauft. Zermürbungstaktik: Je weniger Einwohner, desto weniger Widerstand. „Alles nicht so einfach.“

Greenpeace, BUND und andere Umweltschutzverbände unterstützen Kraneis und die paar „Bleiber“, wo es geht. Um Pödelwitz zu retten, meint Kraneis, müsste die CDU/SPD-Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel nur ihre eigenen Umweltziele und Reden über Klimaschutz ernst nehmen: Das CDU-Programm zur Bundestagswahl, das Öl, Kohle und Gas langfristig ersetzen will.

Ein Klimaschutzplan der Bundesregierung gibt bis zum Jahr 2050 weitgehende CO2 -Neutralität vor. Bis 2030 soll die deutsche Energiewirtschaft ihre Treibhausemissionen gegenüber dem Wert von 2014 etwa halbieren: Von 358 auf höchstens 183 Millionen Tonnen. Mit Braunkohle-Strom ist das unmöglich zu erreichen.

Die vier „Braunkohleländer“ Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen haben kürzlich gegen strenge Auflagen der EU für Braunkohlekraftwerke protestiert. Die vier Ministerpräsidenten forderten die Bundesregierung auf, wegen der Vorschriften einzuschreiten um Schaden von der Energiewirtschaft abzuwenden.

Die vier Länder richten sich mit dem Brief gegen neue Grenzwerte für die Stoffe Quecksilber und Stickoxid, die mit großen Braunkohlekraftwerken kaum zu erreichen seien, berichtete der „Spiegel“. Die Forderung der vier Ministerpräsidenten stieß auf heftige Kritik bei verschiedenen Klimapolitikern, insbesondere bei den Grünen.

Was passiert mit der Braunkohle aus Sachsen: Geht sie  nach Tschechien?

Warum soll der Ort, der eigentlich „Schutzgut“ ist, trotzdem noch weg? Laut BUND hat die Mibrag in den vergangenen Jahren sechs Prozent mehr Kohle aus dem Tagebau vor Pödelwitz abgebaggert, als das Kraftwerk Lippendorf jährlich verfeuern kann. Mindestens 1,4 Millionen Tonnen seien nach Tschechien in dortige Kraftwerke exportiert worden.

80 Millionen Euro soll das Unternehmen allein zwischen 2007 und 2015 mit dem Überschuss an Kohle verdient haben. Die komplette Umsiedlung von Pödelwitz sei für 15 Millionen Euro zu haben. Kraneis hat selbst als Schlosser für die Mibrag gearbeitet, bis 2012, dann, sagt er, ging es nicht mehr. „Ich kann doch nicht für ein Unternehmen arbeiten, das meine Heimat zerstört.“

Fast 300 Jahre lang ist der Leipziger Süden Braunkohlerevier. Dörfer werden abgerissen, Menschen umgesiedelt. Bis heute: 51 000 aus 126 Dörfern oder Ortsteilen. Kleine Rundlingsdörfer mit Kirche, Wiesen und Bauernhöfen, alle verschwunden zwischen 1964 und 2008, insgesamt 400 Quadratkilometer Land.

Zurück blieben staubige Mondlandschaften und Tagebaulöcher, die sich langsam in Steppen und saure Seen verwandeln, aus denen Jahrzehnte später dann Naherholungsgebiete werden sollen. Kraneis kennt es zur Genüge: In Droßdorf kam er zur Welt, in Peres stand seine Schule, in Heuersdorf hat er geheiratet. „Hinter mir wurde alles abgerissen“, sagt er.

Neben der Eiche mitten im Dorf spaziert ein Wachmann auf und ab. Er hat den Tagdienst und muss aufpassen, dass niemand die leergezogenen Häuser besetzt. Oder beschädigt. Oder was auch immer. „Es ist ein Witz“, sagt Kraneis und erzählt, wie sie im Frühjahr 1 000 Osterglocken gepflanzt hatten als Protestzeichen. Und wie Greenpeace-Leute dann loszogen, um einige Häuser zu reparieren, in welche die Mibrag Löcher gebohrt habe. „Denkmalgeschützte Häuser“, sagt Kraneis. So lasse man alles verfallen.“ Dann sei die Polizei angerückt.

Kraneis will warten. Er will den großen Streit um sein Dorf gewinnen. Man muss ihn enteignen, er will klagen und durch die Instanzen gehen. Notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof. Und wenn er dann gewonnen habe, sagt er, dann will er die marode Kirche renovieren. (mz)