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Birthler-Behörde: "Dokument keine alte Kamelle"

14.08.2007, 06:10

Magdeburg/dpa. - Nach der Verwirrung um ein als Neuigkeit vorgestelltes Dokument zum Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze hat dessen Finder die Bedeutsamkeit des Aktenstücks verteidigt. «Das Dokument ist keine alte Kamelle», sagte der Leiter der Magdeburger Außenstelle der Stasi-Unterlagen-Behörde, Jörg Stoye.

Nach der Erstveröffentlichung 1997 habe es keine öffentliche Diskussion und Wertung gegeben. Das müsse nun nachgeholt werden und sei man den Opfern schuldig, so Stoye zur «Magdeburger Volksstimme». Ein wortgleiches Dokument war 1997 in einem Forschungsband mit hundert weiteren Aktenstücken veröffentlicht worden. Es war jedoch unter «Fahnenflucht» statt «Schießbefehl» kategorisiert und der breiten Öffentlichkeit unbekannt geblieben.

Die Zeitung schreibt weiter, sie habe vor einigen Monaten eine Recherche in Stasi-Unterlagen bei der Magdeburger Außenstelle beantragt. Dabei sei Stoye auf das Aktenstück gestoßen und habe im Juni auch seine Berliner Pressestelle über den Fund informiert.

Die in der Magdeburger Außenstelle der Behörde gefundene Dienstanweisung von 1973 für Mitglieder einer an der Grenze eingesetzten Stasi-Spezialtruppe befahl unverzügliches Schießen auf Flüchtlinge, ausdrücklich auch auf Frauen und Kinder.

Nach dem Fund des Stasi-Schießbefehls für die innerdeutsche Grenze war die Debatte über neue Ermittlungen gegen DDR-Verantwortliche wieder entflammt. Die Berliner Staatsanwaltschaft will von Amts wegen prüfen, ob sie Schritte gegen frühere SED-Kader unternimmt. Die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, will klären lassen, ob das in Magdeburg entdeckte Stasi-Dokument für strafrechtliche Ermittlungen relevant ist.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sagte am Rande einer Gedenkveranstaltung zum 46. Jahrestag des Mauerbaus am 13. August 1961, das Dokument zeige erneut «die Unerbittlichkeit, Willkürlichkeit und Menschenverachtung des DDR-Regimes». An der Gedenkstätte Bernauer Straße betonte der SPD-Politiker: «Es ist sehr wichtig, dass wir uns auch heute noch erinnern und die Lehre ziehen aus diesem Unrechtsregime.»

Die Berliner Staatsanwaltschaft will Verfasser und Adressat des Papiers ermitteln, wie ein Sprecher am Montag sagte. Es sei die Frage, wie es verteilt und ob der Befehl ausgeführt worden sei. Der Staatsanwaltschaft sei ein solches Dokument bisher nicht bekannt.

Der frühere DDR-Staatschef Egon Krenz stritt in der «Bild»-Zeitung die Existenz eines Schießbefehls ab: «Es hat einen Tötungsbefehl, oder wie Sie es nennen "Schießbefehl", nicht gegeben.» Dagegen erklärte das ehemalige SED-Politbüromitglied Günter Schabowski, «ob der Schießbefehl nun in schriftlicher Form vorlag oder nicht, ist doch unerheblich». Es sei Praxis gewesen, dass Menschen bei Fluchtversuchen an der innerdeutschen Grenze erschossen wurden, sagte er dem «Tagesspiegel» . «Wir alle, auch ich, tragen Mitschuld daran, weil wir nichts dagegen unternommen haben». Die Reaktion von Krenz sei unverständlich.

Die aus der SED-Nachfolgepartei PDS mit hervorgegangene Partei Die Linke relativierte den Schießbefehl. Linke-Geschäftsführer Dietmar Bartsch sagte, das Dokument widerspreche den Gesetzen der DDR und hätte zu strafrechtlichen Konsequenzen geführt. Außerdem stamme das Papier aus «einer untergeordneten Behörde ohne Kopfbogen und ohne Unterschrift».

Angesichts der Verwirrung um das Dokument forderte der Leiter der Forschungsgruppe SED-Staat an der Freien Universität Berlin, Klaus Schroeder, die Auflösung der Birthler-Behörde. «Wenn die Stasi-Akten bereits in das Bundesarchiv überführt worden wären, wäre so etwas wohl nicht passiert», sagte er der «Märkischen Oderzeitung». Er spielte damit auf das als Neuigkeit vorgestellte Dokument zum Schießbefehl an, dessen Inhalt aber bereits 1997 veröffentlicht worden war. In die Arbeit der Behörde werde viel öffentliches Geld gesteckt, es komme aber «kümmerlich wenig dabei heraus», sagte Schroeder.

Der stellvertretende Vorsitzende der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Bernd Faulenbach, sprach sich ebenfalls für eine Umlagerung der Stasi-Akten ins Bundesarchiv «in einer überschaubaren Zeitspanne» aus. «Die SED-Diktatur lässt sich nicht allein aus Stasi- Akten heraus erklären, dafür braucht man einen breiteren wissenschaftlichen Ansatz», sagte Faulenbach der «Berliner Zeitung». Der Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, betonte jedoch in der «Passauer Neuen Presse», er halte das Versäumnis von Birthler für «ein Kommunikationsproblem, das nicht überbewertet werden sollte». Gleichwohl votierte auch er für eine Umschichtung der Akten.