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Berlin Berlin: Neuer Hauptbahnhof wird «Kathedrale des Reisens»

Von Ulrike von Leszczynski 22.05.2006, 13:02
Die abendlichen Lichter des künftigen Berliner Hauptbahnhofes spiegeln sich im Wasser der Spree. (Foto: dpa)
Die abendlichen Lichter des künftigen Berliner Hauptbahnhofes spiegeln sich im Wasser der Spree. (Foto: dpa) dpa-Zentralbild

Berlin/dpa. - Der Prestigebau nahe demRegierungsviertel ist auch eine architektonische Attraktion. Deraufwendigste und teuerste Bahnhofsneubau der Nachkriegszeit wird am26. und 27. Mai mit einer großen Party eröffnet. Die Festrede hältBundeskanzlerin Angela Merkel, nachts soll eine Lichtshow denHauptbahnhof zum Leuchten bringen. Die Fußball-Weltmeisterschaft wirddann seine erste große Bewährungsprobe sein.

Dieser Bahnhof hat schon Schlagzeilen gemacht, als von ihm nochgar nicht viel zu sehen war. In der städtebaulichen Brache nahe demMauerstreifen sahen Berliner und Touristen vor sechs Jahren mitoffenen Mündern zu, wie Taucher in riesigen Baugruben unter WasserBetonschichten anlegten. Die Meisterleistungen der Ingenieurbaukunsthaben mit den Jahren nichts von ihrer Faszination verloren.Stundenlang reckten Schaulustigen noch im vergangenen Sommer dieHälse, als tonnenschwere Metallbrücken über das gläserne Bahnhofsdachgeklappt wurden.

Nun ist das rund 700 Millionen Euro teure Wunderwerk der Technik,das die Bahn stolz den größten Kreuzungsbahnhof Europas nennt,betriebsbereit. 15 Meter unter der Erde fahren vom 28. Mai an dieZüge aus Norden und Süden ein. Durch einen 3,6 Kilometer langenTunnel rollen sie unter der Spree, dem Regierungsviertel und demPotsdamer Platz hindurch. Die Züge aus Ost und West gleiten 10 Meterüber der Erde auf dem Stadtbahn-Viadukt heran. Wie in einerKathedrale wölben sich die gläsernen Dächer der Haupthalle darüberund lassen das Tageslicht bis in die Untergeschosse fallen. GläserneAufzüge schweben zwischen fünf Ebenen hin und her.

Vom südlichen Bahnhofsportal bietet sich künftig ein ganz neuesBerlin-Panorama: Reisende können ihre Blicke über die Spree hinweg,zum Reichstag, zum Bundeskanzleramt oder zum Potsdamer Platzschweifen lassen. In der Ferne ist der Fernsehturm zu erkennen, zurZeit im Fußball-Look. Es ist ein Bahnhof mit Aussicht.

Kaum jemand ist so eng mit dem Hauptbahnhof verbunden wie dertechnische Bauleiter Hany Azer. «Meine Pyramide» nennt der gebürtigeÄgypter den Bau liebevoll. Wenn er nun mit hängenden Schultern überdie schrumpfende Baustelle läuft, ist zu ahnen, wie sehr er am Jobseines Lebens hängt. Azer wird nicht müde, den Ingenieuren undJournalisten die Vorzüge des Bahnhofs zu erläutern, seine technischenRaffinessen von der Photovoltaik-Anlage auf dem Dach bis zurStromschiene im Untergeschoss zu erklären. Es ist ein wenig wie ineiner Zirkusmanege: «Kommen Sie, schauen Sie, staunen Sie!», sagtAzer.

Die Freude auf den neuen Bahnhof ist in diesen Tagen zu spüren.Lokführer lernen fasziniert die neue Tunnelstrecke kennen, in derBetriebszentrale haben sich Bahner für den 28. Mai freiwillig zurFrühschicht gemeldet. Sie wollen dabei sein, wenn um 4.20 Uhr mit demersten regulären Zug ein neues Berliner Eisenbahnkapitel beginnt.

In der langen Bahngeschichte der Stadt ist der Hauptbahnhof etwasEinmaliges. Zuerst von Kopfbahnhöfen und später von der Teilunggeprägt, bot Berlin noch nie einen zentralen Umsteigebahnhof. In derEuphorie der Nachwendezeit entschieden sich Bund und Bahn für dengroßen Wurf: eine Verkehrsdrehscheibe mitten in der Stadt. Ein Bau,der andere europäische Hauptstädte neidisch werden lässt, wieBahnchef Hartmut Mehdorn gern sagt. 10 Milliarden Euro haben derUmbau und die Modernisierung des Berliner Bahnnetzes seit Mitte der90er Jahre verschlungen. Nun steht auch die Frage an, ob sich dasgelohnt hat.

Denn die ganz große Zufriedenheit über den Hauptbahnhof istbisher ausgeblieben. Seine Eröffnung wurde mehrfach verschoben,die Kosten explodierten über die Jahre von kalkulierten 400 MillionenMark auf geschätzte 700 Millionen Euro. Über genaue Zahlenschweigt die Bahn weiterhin hartnäckig.

Die Liste der Zweifler ist lang. Architekt Meinhard von Gerkannahm die Verkürzung seines Glasdachs um 100 Meter übel und klagt nochimmer gegen die Deckengestaltung im Untergeschoss. Die Westberlinerschmollen seit Monaten über die Abkoppelung des Bahnhofs Zoo vomFernverkehr und wollen am 27. Mai Trauerkränze auf seinen Bahnsteigenauslegen. Der Bau ist für das heutige Berlin zu groß geraten und nochnicht perfekt zu erreichen. U-Bahn und Tram-Anschluss fehlen noch,und auch eine S-Bahnlinie Richtung Norden lässt auf sich warten.

Die Führungsetage der Bahn wirkt vom Berliner Gemecker leichtgenervt. Doch zur Eröffnung will sie sich nicht lumpen lassen. Eine«Super-Party» zur Eröffnung, verspricht Sprecher Ralf Klein-Bötingvollmundig, «Bilder, die um die Welt gehen».

Der neue Berliner Hauptbahnhof (Grafik: dpa)
Der neue Berliner Hauptbahnhof (Grafik: dpa)
dpa