Bergbau Bergbau: Die Tränen des «Blauen Goldes»

Probstzella/Lehesten/dpa. - «Ich muss sehen, was dann wird», sagt der 41 Jahre alte Familienvatermit trauriger Stimme. Zum Monatsende stellt die VTS Koop SchieferGmbH & Co. Thüringen KG die Produktion von Dach- und Wandschieferein. Damit geht eine Jahrhunderte alte Tradition zu Ende. AbnehmendeQualität des Rohgesteins und billigerer Schiefer aus Spanien gabendafür den Ausschlag.
VTS Koop ist der letzte Produzent von Dach- und Wandschiefer inThüringen und ganz Ostdeutschland. Die Firma entlässt nach eigenenAngaben knapp 45 Beschäftigte. Künftig wird das Unternehmen mit Sitzin Unterloquitz, einem Ortsteil von Probstzella im Kreis Saalfeld-Rudolstadt, im Wesentlichen nur noch Blähschiefer und Schiefersplittherstellen. «Die Leute sind richtig frustriert», erzählt derBetriebsratsvorsitzende Michael Röderer. Einige Kumpel hätten 35 undmehr Jahre im Schieferbergbau gearbeitet. «In ihrem Alter finden sieunmöglich wieder einen Job.»
Einst war der Schieferbergbau die Lebensader der Region zwischenRennsteig und Saale. In den Gruben in Unterloquitz, Lehesten,Probstzella und Ludwigsstadt arbeiteten in der Blütezeit im 19.Jahrhundert bis zu 2500 Menschen. «Es gibt hier kaum eine Stelle, ander nicht einmal nach Schiefer gegraben wurde», berichtet WernerLiebeskind vom Traditionsverein Thüringer Schieferbergbau.
Wegen seines blauen Schimmers nannten die Menschen den ThüringerSchiefer liebevoll «Blaues Gold». Seit dem 13. Jahrhundert rangen dieBergleute dem Schiefergebirge in harter körperlicher Arbeit dasAusgangsmaterial für Dacheindeckungen, Gehwegplatten und Grabsteineab. Im Winter fertigten die Bergleute in Heimarbeit Schiefertafeln.Viele Jahrhunderte lernten Schulkinder ausschließlich mit Tafel undGriffel das Schreiben, bis im 20. Jahrhundert das Papier auch beiarmen Leuten seinen Siegeszug antrat. Einige Tafeln wurden bis in denOrient exportiert. «Der Scheich rechnete darauf seine Millionen undKamelherden zusammen», scherzt Veronika Beuche von der StiftungSchieferpark Lehesten.
Schiefer aus Thüringen hatte wegen seiner Haltbarkeit stets einenlegendären Ruf. Er prangte auf den Dächern der Wiener Hofburg und desWürzburger Doms, bedeckt das Bayreuther Schloss ebenso wie Gebäudeder Berliner Charité. Seit dem Ersten Weltkrieg ging es mit demSchiefer jedoch bergab, heute ernährt er die Menschen längst nichtmehr - mit Folgen für die Region. In Lehesten, einst die heimlicheHauptstadt des europäischen Schieferbergbaus, schrumpft Jahr für Jahrdie Einwohnerzahl. Wer bleibt, pendelt zur Arbeit ins benachbarteBayern, erzählt ein älterer Bewohner. «Ich versteh' die jungen Leutewenn sie gehen. Hier oben ist doch nicht viel.»
Ein Trost für die Menschen ist der zaghaft aufblühendeSchiefertourismus. Eine Schieferstraße verbindet Franken mitThüringen und weist unter anderem den Weg zu den Schiefermuseen inSteinach und Ludwigsstadt. In Lehesten entstand ein Schieferpark mitHotel, Gaststätte und Reithalle. Der ehemalige Schieferbruch wurde zueinem Freilichtmuseum mit Spalthütte und historischer Förderanlageumfunktioniert. Einige Bewohner haben von Schiefertafeln umgesatteltund stellen nun in Heimarbeit Schieferschnaps oder Schieferuhren alsSouvenirs her.
Dach- und Wandschiefer «Made in Thuringia» wird dagegen künftigimmer seltener zu finden sein, ist sich VTS-Geschäftsführer Horst-Christian Stoll bewusst. «Das ist bitter, aber nun einmal Realität.»Seit Jahren sei die Nachfrage rückläufig. Zudem musste im TagebauSchmiedebach immer tiefer gegraben werden, wodurch die Kosten starkstiegen. Seinen Todesstoß habe der Thüringer Schiefer aber vombilligen spanischen Pendant bekommen, das einen Boom erlebe. «Daverschwinden in einem Jahr ganze Berge», sagt Stoll.
Ende Januar wollen die Männer von der Grube Schmiedebach einesymbolische letzte Schieferplatte spalten. «Wir bringen das mit Würdezu Ende», sagt Geologe Mario Baum. Ein letztes Mal will er dann durchden riesigen Tagebau schreiten. «Das wird nicht ohne Tränen gehen.»