Beitrittsverhandlungen Beitrittsverhandlungen: Europäische Integration der Türkei ist eine Chance
Halle/MZ. - Mit der Empfehlung der EU-Kommissionan den Europäischen Rat, Beitrittsverhandlungenmit der Türkei aufzunehmen, vollzieht dieEuropäische Union einen kühnen, aber folgerichtigenSchritt. Was sich mit der Aufnahme osteuropäischerLänder andeutete, wird im Fall der Türkeiüberdeutlich: Die Europäische Union wird sichin ihrer Gestalt und ihrer Funktionsweisebinnen zwanzig Jahren stärker verändern, alssie es seit der Unterzeichnung der RömischenVerträge 1957 getan hat.
Mit den Polen, Tschechen oder Slowaken, aberauch mit den Ostdeutschen stoßen Menschenzur EU, die zuvor in einem System lebten,das dem demokratischen, marktwirtschaftlichorientierten Rechtsstaat radikal widersprach.Mit der Türkei würde die EU Menschen als gleichberechtigteBürger aufnehmen, die mehrheitlich nicht demChristentum, sondern dem Islam angehören.In beiden Fällen prallen sehr verschiedeneLebenswelten aufeinander, die die EU mit Sicherheitverändern und hoffentlich bereichern werden.
Diese Entwicklung ist insofern folgerichtig,als die Herausforderungen, vor denen Europaheute steht, ganz andere sind als nach demZweiten Weltkrieg. Zur Erinnerung: Die EuropäischeWirtschaftsgemeinschaft sollte vor allem diedeutsch-französische Aussöhnung und den WiederaufbauWesteuropas befördern. Nach dem Fall des EisernenVorhangs ging es darum, die jungen Demokratienin Osteuropa in der europäischen Wertegemeinschaftzu verankern. Der 11. September 2001 war einweiterer Wendepunkt - natürlich für die USA,aber auch für Europa. Der tausendfache Morddurch Extremisten im Namen Allahs machte dieAuseinandersetzung mit dem militanten Islamismusunausweichlich.
Würde die Türkei innerhalb der nächsten zehnbis 15 Jahre der EU beitreten, wäre es einstarkes und ermutigendes Signal an alle muslimischgeprägten Gesellschaften, dass Islam und Demokratiesich genau so wenig ausschließen wie Islamund Moderne. Die Aufnahme der Türkei würdedie Prophezeiung von Osama bin Laden widerlegen,wonach der Krieg zwischen Christen und Moslemsunausweichlich ist. Ähnliches behauptetenStalin und Mao in Bezug auf Kapitalismus undKommunismus. Die Geschichte hat gezeigt, dasses diese historische Gesetzmäßigkeit nichtgibt. Es könnte die Berufung der Türkei sein,als erstes muslimisch geprägtes Land die Hass-Parolender militanten Islamisten zu widerlegen.
Dass ein Beitritt der Türkei zur EU allenBeteiligten zunächst Opfer abverlangen wird,ist klar. Dass die Anpassung für beide Seitenein komplizierter Prozess sein wird, ist ebenfallsabzusehen. Doch der langfristige Gewinn wäreungemein größer: ein wichtiger Beitrag zurstrategischen Sicherheit. Die europäischeIntegration der Türkei würde die Gräben zwischenChristen und Moslems überbrücken helfen ineiner Zeit, in der Extremisten versuchen,eben diese Gräben zu vertiefen. Die Aufnahmeder Türkei wäre damit nicht nur eine Herausforderung,sondern vor allem eine Chance.