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Bahnchef Mehdorn stürzt über Datenaffäre

30.03.2009, 14:52

Berlin/dpa. - Bahnchef Hartmut Mehdorn ist über die Datenaffäre in seinem Konzern gestürzt. Nach massivem politischen Druck kündigte der 66-Jährige am Montag in Berlin seinen Rücktritt an.

Ein Nachfolger soll noch in dieser Woche präsentiert werden. Mehdorns Vertrag lief eigentlich noch bis 2011, dem Aufsichtsratsvorsitzenden Werner Müller bot er nun eine vorzeitige Auflösung an. Alle drei Bahngewerkschaften und Politiker von SPD, FDP, Grünen und Linke hatten zuletzt Mehdorns Abberufung verlangt. Mehdorns Rückzug wurde allseits mit Respekt zur Kenntnis genommen. Die Gewerkschaften warnten davor, jetzt wieder die Einheit des Bahnkonzerns infrage zu stellen.

Vize-Kanzler Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte in Berlin, die zuständigen Ministerien würden sich noch in der ersten Wochenhälfte zusammensetzen. Er sei zuversichtlich, dass man anschließend einen «hochkompetenten, engagierten» Nachfolger präsentieren könne. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier (SPD), Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) und hochrangige Vertreter aus dem Finanz- und Wirtschaftsministerium wollen nach dpa-Informationen voraussichtlich am Mittwoch über den neuen Bahnchef beraten. Einen Favoriten gab es zunächst nicht.

Merkel dankte Mehdorn «sehr herzlich» für seine Arbeit für die Bahn. Er habe das Unternehmen wirtschaftlich saniert und zu einem weltoffenen Logistik-Unternehmen gemacht, das weltweit große Anerkennung genieße. «Das ist ganz wesentlich mit seiner Handschrift verbunden», sagte sie.

Die Datenaffäre hatte Mitte Januar begonnen. Damals wurde bekannt, dass die Daten von mehreren hundert leitenden Mitarbeitern auf Korruptionsverdacht überprüft worden waren. In den folgenden Wochen räumte die Bahn insgesamt fünf große Kontrollaktionen in den Jahren 1998 bis 2006 ein. Dabei wurden Stammdaten von teils mehr als 170 000 Bahnmitarbeitern wie Privatadressen und Kontonummern mit denen von Lieferfirmen abgeglichen. So sollten laut Bahn Scheingeschäfte und andere Betrügereien aufgedeckt werden. Die Affäre spitzte sich am vergangenen Freitag zu, nachdem Sonderermittler den Aufsichtsrat über flächendeckende Kontrollen von Mitarbeiter-E-Mails in den Jahren 2005 bis Oktober 2008 informiert hatten.

Mehdorn bekräftigte am Montag, er habe sich persönlich nichts vorzuwerfen. In der Datenaffäre und bei der Kontrolle von E-Mails habe es keine strafrechtlich relevanten Vorgänge gegeben. Eine Massen-E-Mail der Lokführergewerkschaft GDL vom 4. Oktober 2008 sei nicht abgefangen, sondern aus technischen Gründen gelöscht worden. In der aufgeheizten Diskussion sei eine sachliche Aufklärung aber nicht möglich. Als Vorstandschef trage er die Gesamtverantwortung für das, was in der Deutschen Bahn passiere oder eben nicht, unabhängig davon, ob er davon gewusst habe oder nicht. «Dieser Verantwortung will ich mich nicht entziehen.»

Ein Führungswechsel sei in der derzeitigen Wirtschaftskrise ein zusätzliches Risiko für das Unternehmen, sagte der Bahnchef. Dies müssten aber andere verantworten. Mehdorn beklagte, es handele sich in der derzeitigen Debatte um eine «Kampagne zur Veränderung der Unternehmensführung und der Unternehmenspolitik.»

In den meisten Reaktionen wurde der Schritt Mehdorns als überfällig bezeichnet. Zugleich wurde seine Leistung als Manager überwiegend positiv bewertet. Verkehrsminister Tiefensee und Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) dankten Mehdorn für die Arbeit der vergangenen Jahre.

Die Gewerkschaften Transnet und GDBA zollten Mehdorn Respekt. «Es ist die logische Konsequenz aus der Schnüffelaffäre und unserer entsprechenden Forderung vom vergangenen Freitag», teilten die Vorsitzenden Alexander Kirchner (Transnet) und Klaus-Dieter Hommel (GDBA) mit. Sie erwarteten «jetzt von der Politik ein klares Bekenntnis, welchen Weg die Bahn künftig gehen soll».

Die Grünen verlangten ein Ende der Börsenpläne der Bahn. «Die Bahn sollte sich jetzt auf das Kerngeschäft konzentrierten und einen attraktiven Bahnverkehr anbieten», sagte Grünen-Fraktionschefin Renate Künast der dpa. Steinmeier sagte, die Frage des Börsengangs habe angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise an Aktualität verloren. Es sei auch unwahrscheinlich, dass ein solcher Börsengang in der nächsten Wahlperiode zustande komme.