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Ärzte ohne Grenzen Ärzte ohne Grenze: Thüringerin engagiert sich in Kamerun

Von Christian Schafmeister 30.12.2016, 10:43
Juliane Raab mit dem kleinen Adamou am Tag seiner Entlassung aus der Klinik in Batouri.
Juliane Raab mit dem kleinen Adamou am Tag seiner Entlassung aus der Klinik in Batouri. Ärzte ohne Grenzen

Jena - Den kleinen Adamou hat Juliane Raab 2015 das erste Mal gesehen. Der vier Jahre alte Junge wiegt damals weniger als zehn Kilo und hat 40 Grad Fieber. Schlimmer noch: Er hat seine Mutter und alle Geschwister im Krieg verloren.

Das Kind ist verstört, schlägt um sich, spricht nicht und verweigert jede Nahrung. Wie viele Kinder, die unter schwerer Mangelernährung leiden, ist auch Adamou an Tuberkulose erkrankt.

Doch der Junge hat Glück, er wird im Osten Kameruns im Krankenhaus der Stadt Batouri betreut, in dem Juliane Raab als Kinderärztin arbeitet. „Die Therapie schlug an und nach einigen Wochen machte Adamou bei der Visite mit und hörte Babys ab.“ Nach gut zwei Monaten wird er entlassen und von seinem Vater abgeholt.

Thüringerin bei Ärzte ohne Grenzen: Eine Ambulanz in der Grenzstadt zwischen Zentralafrikanischer Republik und Kamerun

Es ist für die 31 Jahre alte Kinderärztin, die aus Halberstadt stammt und heute in Jena lebt, die schönste Erinnerung an ihre Zeit in Kamerun. Von Mai bis November 2015 hat sie für die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, die in diesen Tagen ihr 45-jähriges Bestehen feiert, in Afrika gearbeitet.

In einem Team von neun Kollegen aus Italien, Frankreich und Venezuela ist sie für die Weiterbildung der Kinderärzte verantwortlich. Und die werden damals dringend benötigt, weil tausende Flüchtlinge aus der Zentralafrikanischen Republik nach Kamerun kommen, darunter viele Kinder, die nach der langem Flucht schwer mangelernährt sind. „Ärzte ohne Grenzen hat daher 200 Betten für Kinder im Krankenhaus in Batouri eingerichtet und eine Ambulanz in der Grenzstadt Gbiti unterhalten.“

Erstmals an ein Engagement bei der Organisation gedacht hat Juliane Raab während eines Sri-Lanka-Urlaubes 2014. Damals lernt sie zwei Leute kennen, die dort bereits tätig gewesen sind. Da sei der Funke übergesprungen.

„Ich habe mich aber immer wieder gefragt: Bleibt die Idee im Kopf oder verschwindet sie wieder?“ Die Idee bleibt - und ihr Engagement ist nach einem „knackigen Bewerbungsgespräch“ beschlossene Sache. Heute sagt Juliane Raab: „Das war meine bislang sinnvollste Arbeit.“

Doch Geschichten wie vom kleinen Adamou sind nur die eine Seite. Juliane Raab erlebt auch sterbende Kinder. Sie muss Rückschläge wegstecken, Überzeugungsarbeit leisten - und gegen Traditionen ankämpfen.

„Viele Mütter gehen mit ihren kranken Kindern zum Heiler“, erzählt sie. „Und der setzt das Messer für einige Schnitte auf der Bauchdecke an, wenn die Kinder Bauchschmerzen haben. Später entzünden sich die Wunden.“

Doch nicht nur das: „Müttern erzählt der Heiler, dass mangelernährte Kinder durch Magensonden sterben. Daher werden die Sonden oft heimlich herausgerissen.“ Beides kann für die Kinder tödlich enden. Die Mütter selbst wiederum verstehen oft nicht, dass ihre Kinder für eine gewisse Zeit nicht das normale Essen bekommen sollen. Sie erhalten stattdessen eine Erdnuss-Paste mit viel Kalorien, Zucker, Milchpulver, Vitaminen und wichtigen Spurenelementen.

Ärzte ohne Grnezen: Zusammenarbeit zwischen Helfern aus Deutschland und afrikanischen Medizinern ist einfacher

Deutlich einfacher ist für Juliane Raab die Zusammenarbeit mit den einheimischen Ärzten. „Ich bin unfassbar freundlich und offen empfangen worden, und die Kollegen waren hochmotiviert“, erzählt sie. „Ich wurde gebraucht und war zugleich gewollt, was nicht in jedem Teil der Erde der Fall ist.“

Doch den Kollegen fehlt Erfahrung in der Kinderheilkunde. „So habe ich sie bei der Visite und schwierigen Eingriffen begleitet.“ Daneben gilt es, Standards im Krankenhaus festzulegen - etwa für die Hygiene.

Doch Juliane Raab erlebt auch, wie schnell Mitglieder einer Hilfsorganisation selbst in bedrohliche Lagen kommen können. Als ein Militärtransporter das Fahrzeug der Ärzte ohne Grenzen überholt, bleibt die Waffe eines Soldaten, die er zwischen den Beinen hält, an ihrem Wagen hängen. Der Mann verletzt sich am Bein, die Situation droht zu eskalieren.

„Da hatten wir alle die Hosen voll.“ Zum Glück ist sie als Ärztin dabei und kann dem Mann helfen, der letztlich nur einen Pferdekuss abbekommt.

Die Rückkehr nach Deutschland ist für die 31-Jährige ein Einschnitt. „Ich habe mich total entschleunigt gefühlt“, erinnert sie sich an die Zeit vor gut einem Jahr. Schließlich habe sie in Kamerun stets auf Abruf gestanden und als Ärztin am Ende alle wichtigen Entscheidungen getroffen. „Daher habe ich meine neue Rolle als Assistenzärztin auch gerne und dankbar angenommen und verstehe die verantwortlichen Oberärzte heute ein wenig besser.“

Doch nicht nur der Rollenwechsel ist eine wertvolle Erfahrung gewesen, auch die Arbeit ohne teure medizinische Geräte. „Das schärft nicht nur bei der Diagnose den Blick.“ Ob sie nun von den Kollegen an der Uniklinik Jena, wo Juliane Raab seit einem Jahr arbeitet, als Exotin gesehen wird? „Nein, für die bin ich einfach nur die Kollegin, die einmal in Afrika war.“ (mz)