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Ärger beim BdV Ärger beim BdV: In Thüringen haben Neonazis eine zweifelhafte Gedenkstätte gebaut

Von Steffen Könau 24.06.2018, 08:00
Ex-NPD-Chef Udo Voigt (Mi.) in Guthmannshausen.
Ex-NPD-Chef Udo Voigt (Mi.) in Guthmannshausen. thueringenrechtsaussen

Guthmannshausen - Jedes Jahr kommt sie und hält eine Rede beim Bund der Vertriebenen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist selbst keine Betroffene, doch ihr Großvater, der Polizeibeamte Ludwig Kazmierczak, hatte seine Heimat im Osten verlassen müssen, nachdem die bis dahin preußische Provinz Posen nach dem Ersten Weltkrieg gemäß den Bestimmungen des Versailler Vertrags zurück an das neugegründete Polen gefallen war.

Kazmierczaks änderten ihren Namen in Kasner, schon Angela Merkels Vater Horst wurde in Berlin geboren und wuchs in Pankow als echter Berliner auf.

Kanzlerin Merkel besucht den Bund der Vertriebenen regelmäßig

Der „besonderen Verantwortung“ (Merkel) jeder Bundesregierung gegenüber den deutschen Heimatvertriebenen geht Angela Merkel dennoch nicht aus dem Wege. Der jährliche Besuch beim Jahresempfang des Bundes der Vertriebenen (BdV) ist Pflicht - und für BdV-Präsident Bernd Fabritius eine große Ehre.

Gleich mehrere Bilder zeigen den höchsten Vertriebenenfunktionär auf der Internetseite neben und mit Angela Merkel und Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Fabritius, in Rumänien geboren und bis zur letzten Bundestagswahl selbst Abgeordneter der CSU, lächelt schmal.

Vertriebenenbund hat Ärger mit einer Gedenkstätte

Es hat ja auch Ärger gegeben im Vorfeld, Ärger um genau die Internetseite, auf der die Chefetage des Vertriebenenverbandes sich traditionell gern mit Landes- und Bundespolitikern zeigt.

Ein Geben und Nehmen: Der BdV, selbst kein Bund, sondern ein Dachverband der 20 Landsmannschaften, die nach eigenen Angaben 15 Millionen Vertriebene, Flüchtlinge, Aussiedler und Spätaussiedler repräsentieren, finanziert sich zu einem Gutteil durch Zahlungen aus der Bundeskasse.

920.000 Euro erhält der BvV jährlich, etwa um ein Verzeichnis der Mahnmale zu erstellen, die in Deutschland an das Schicksal von Millionen erinnern, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Heimat verlassen mussten.

Die Liste der Orte, die mahnen und erinnern, ist lang, sie reicht von Aalen in Baden-Württemberg bis nach Windhoek im fernen Afrika, wo Vertriebene Gedenksteine zur Erinnerung an ihr Los haben errichten lassen.

BdV streicht Guthmannshausen aus seinem Verzeichnis

Beim Bundesland Thüringen aber fehlt neuerdings ein Eintrag. Eben noch fand sich in der Liste auch die erst vor wenigen Jahren errichtete sogenannte „Gedächtnisstätte“ in Guthmannshausen im Landkreis Sömmerda, ein um eine große zentrale Stele herum angeordneter Kreis aus Gedenksteinen, die jeweils einer Gruppe von Vertriebenen gewidmet sind.

Kein gewöhnliches Mahnmal, so unterstreichen die Initiatoren. Sondern „in einer Zeit der sich auflösenden familiären und anderen sozial verlässlichen Strukturen sowie in einer Episode der ethischen und biologischen Wandlungen“ ein Versuch, dem „Verblassen, Vergessen und Fragmentieren der das Individuum in seinem Dasein untermauernden Lebensgeschichte seiner Vorfahren“ entgegenzuwirken.

Gedenkstätte Guthmannshausen zieht zahlreiche Neonazis an

Ein fragwürdiges Unternehmen, das eine ganz besondere Klientel nach Guthmannshausen zieht. Die radikale Kleinstpartei Die Rechte warb für das Projekt, Udo Voigt, der frühere NPD-Chef, feierte hier traditionell mit seinem „Freundeskreis“ Sommerfeste.

Zu Gedenktagen finden sich regelmäßig Vertreter der extremen Rechten ein, auch die mehrfach verurteilte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck trat schon als Referentin im früheren Rittergut auf.

Kein Wunder, denn Haverbeck, gerade erst erneut zu sechs Monaten Haft wegen Volksverhetzung verurteilt, ist nicht nur Spitzenkandidatin der rechtsextremen Mini-Partei „Die Rechte“ zur anstehenden Europawahl, sondern auch Gründerin des Vereins „Gedächtnisstätte e.V.“ .

BdV unterstützte die wirre Geschichtsauslegung lange

Dessen historisch wirre Geschichtsauslegung bekam vom Bund der Vertriebenen den Ritterschlag, indem der nach eigenen Beteuerungen politisch neutrale Spitzenverband der Vertriebenenverbände sich die Thesen der rechtsradikalen Geschichtsklitterer unkritisch zueigen machte: In der Internetliste der Gedenkstätten fand sich bis zu einer Nachfrage der MZ beim BdV auch eine Vorstellung der rechten Pilgerstätte im Rittergut.

Ganz neutral zitierte das Mahnmal-Porträt die Inschriften aller zwölf Steine und die in den zentralen Obelisken gravierten Gedichtzeilen des SPD-Arbeiterdichters und KZ-Häftlings Karl Bröger, den Hitlerjugend und NSDAP schon zu Lebzeiten instrumentalisiert hatten.

„Nichts kann uns rauben Liebe und Glauben zu unserem Land, es zu erhalten und zu gestalten, sind wir gesandt, mögen wir sterben, unseren Erben, gilt dann die Pflicht, es zu erhalten und zu gestalten, Deutschland stirbt nicht!“, heißt es da.

Mahnmal überhöht Zahl der deutschen Kriegsopfer massiv

Zudem zitierte die Mahnmalliste eine Inschrift, in der von „zwölf Millionen getöteten deutschen Opfern“ des Zweiten Weltkrieges die Rede ist - eine um fast das Doppelte überhöhte Zahl, die zudem gezielt außer Acht lässt, dass Deutsche auch und sogar gerade Täter waren.

Das Bundeskanzleramt, von der MZ um eine Stellungnahme von Angela Merkel zu ihrer prominenten Darstellung auf einer Seite gebeten, die zugleich fragwürdige Geschichtsinterpretationen unkommentiert präsentiert, schweigt.

Über zehn lange Wochen hinweg sah sich die Pressestelle des Kanzleramtes nicht in der Lage, eine Auskunft zu geben. Die entsprechende Antwort sei „noch in der Abstimmung“ hieß es.

BdV distanziert sich inzwischen deutlich

Marc-Pawel Halatsch vom Bund der Vertriebenen dagegen unterstrich, dass der BdV sich „von extremistischem Gedankengut stets deutlich distanziert“ habe. „Mit Organisationen, in denen solches Gedankengut eine Rolle spielt, verbindet uns rein gar nichts.“

Deshalb sei die „Gedenkstätte nach Prüfung der Sachlage“ sofort aus der „zu Informationszwecken dienenden“ Liste der Mahn- und Gedenkorte gelöscht worden.

Welche Denkungsart bewirkte, dass sie überhaupt dort hingeraten konnte, erklärte der BdV-Sprecher allerdings nicht. (mz)