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Arbeitsmarkt Arbeitsmarkt: Mediziner können sich den Job wieder aussuchen

29.09.2003, 11:47
Noch vor wenigen Jahren wurde Studienanfängern ins Gewissen geredet, sich das Medizinstudium genau zu überlegen - heute können die jungen Ärzte wieder zwischen mehreren Stellenangeboten wählen. Viele Krankenhäuser stellen derzeit verstärkt Nachwuchskräfte ein. (Foto: dpa)
Noch vor wenigen Jahren wurde Studienanfängern ins Gewissen geredet, sich das Medizinstudium genau zu überlegen - heute können die jungen Ärzte wieder zwischen mehreren Stellenangeboten wählen. Viele Krankenhäuser stellen derzeit verstärkt Nachwuchskräfte ein. (Foto: dpa) AOK Mediendienst

Berlin/Hannover/dpa. - «Jede zweite Klinik in Deutschland hat nicht zu besetzendeVakanzen. In Ostdeutschland sind es sogar 76 Prozent der Kliniken», sagt Peter Windeck von der Kienbaum Personalberatung in Hannover. Doch nicht nur bei den Marathonschichten in den Krankenhäusern ist der Nachwuchs im weißen Kittel rar - auch die ambulante Versorgung macht den Ärzteverbänden Sorgen. «Besonders die hausärztliche Versorgung ist nicht sichergestellt», sagt Freese.

Doch in Zeiten knapper Kassen, voller Krankenbetten und schlechter Arbeitsbedingungen haben viele examinierte Mediziner dem Dienst am Patienten entsagt. «Die Nachwuchsentwicklung ist alarmierend», betont Freese. Aber das Problem ist zum Teil hausgemacht. «Viele Absolventen sind in den vergangenen Jahren nach dem dritten Staatsexamen ins Ausland gegangen, denn da wurden ihnen gute Arbeitsbedingungen geboten», sagt Andreas Rohde vom Ärzteverband Hartmannbund in Berlin.

Wer nicht ins Krankenhaus und damit die vorgegebene Laufbahn zurApprobation einschlagen wollte, hat sich zwangsläufig anderweitig umgeschaut. «Es gibt heute viele Berufsfelder für Ärzte außerhalb der kurativen Medizin - in der Pharmazeutischen Industrie, Verbänden und Verwaltungen, Medien und Werbung oder Beratung», sagt Windeck.

Auch Studiengänge, die Medizinern Zusatzqualifikationen mit aufden Weg geben, schossen wie Pilze aus dem Boden: Public Health,Gesundheitsökonomie oder Medizintechnik. Insgesamt liegt das Angebot heute bei rund 300 Studiengängen mit allen erdenklichen Abschlüssen.

Gesucht werden Mediziner, die einerseits fachliches Wissenmitbringen und andererseits gut mit Menschen umgehen sowie komplexeZusammenhänge einordnen können. Und selbst wer in der Klinik bleibt,braucht nach Windecks Angaben heute umfangreiche ökonomischeKenntnisse. «Wir empfehlen allen jungen Ärzten, sich diese Kenntnisseüber ein Zusatz- oder Aufbaustudium und über die rein klinischeArbeit hinausgehende Projektarbeiten zu erwerben.»

«Dennoch macht jeder vierte Absolvent inzwischen etwas anderes»,sagt Freese. Andreas Rohde vom Hartmannbund zeigt Verständnis: «Ichkann mich in jeden hineinversetzen, der sich bei denArbeitsbedingungen und bei der schlechten Bezahlung vom Krankenhausabwendet.» Dass viele Kollegen bereit wären, «wieder ans Bett zugehen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen», ist sich Rohde sicher.«Denn eigentlich will man ja Arzt werden, wenn man Medizin studiert.»

Die Chancen für veränderte Rahmenbedingungen stehen mit dem Spruchder Richter am Europäischen Gerichtshof in Brüssel nicht schlecht.Sie hatten im September den langen Arbeitszeiten der Klinikärzteeinen Riegel vorgeschoben und den Bereitschaftsdienst inKrankenhäusern als Arbeitszeit eingestuft. Die Ärzteverbändeschätzen, dass rund 15 000 Ärzte eingestellt werden müssen, um dieVersorgung der Patienten zu gewährleisten.

Michael Richter, der in Essen Medizin studiert hat, wollte schonimmer ins Krankenhaus. «Ich habe meinen Zivildienst im Krankenhausgemacht und mein Medizinstudium mit dem Ziel begonnen, im Krankenhauszu arbeiten», sagt der 27-Jährige. Dafür hat er sich durch sechsJahre Studium gehört, gelernt und geschnitten, Vorklinik und Physikumbestanden, drei Staatsexamina abgelegt, zahlreiche Praktika an derUni und im Krankenhaus absolviert.

Nach dem «Praktischen Jahr» (PJ) bekam der Mediziner eineTeilapprobation, die 18 Monate gilt. Damit konnte er sich für dieerste Stelle als «Arzt im Praktikum» (AiP) bewerben - rund 900 Eurobekommt ein angehender Arzt dann monatlich. Richter hat mit demGedanken gespielt, in die Schweiz zu gehen - dort hatte er einen Teilseines PJs abgeleistet. «Da ist die Atmosphäre auch den jungen Ärztengegenüber sehr freundlich, man kann viel lernen.»

Für die Nachwuchsförderung in Deutschland kann sich der 27-Jährigenicht so recht erwärmen: «Spaß ist, was man selbst daraus macht - undman muss sich schon sehr reinhängen, um aus den verschiedenenStationen im Studium etwas mitzunehmen.» Zudem hänge es sehr davonab, welchen Ärzten man in den Pflichtstationen zugewiesen wird. DasPJ sieht er auch als Möglichkeit, Netzwerke zu knüpfen und seinWissen auszubauen. «An der Uni kriegt man nur das Handwerkszeug mit -wenn man nach dem Studium mit der Arbeit anfängt, braucht man nochmal zehn Jahre, um das Gelernte zu vertiefen.»

Doch die Begeisterung für den Heilberuf steigt wieder. «DasMedizinstudium boomt», sagt Michael Moufang von der Zentralstelle fürdie Vergabe von Studienplätze (ZVS) in Dortmund. «Für die 8320Studienplätze gingen zum Wintersemester 28 663 Bewerbungen ein - soviele, wie seit 18 Jahren nicht mehr.»