Analyse: Wortbrüche und Lügen in der Politik
Frankfurt/Main/dpa. - «Tricksilanti» oder «Lügilanti»: Seit Hessens SPD-Chefin Andrea Ypsilanti erklärte, die Hilfe der Linken zu suchen, musste sie schwere Prügel einstecken - weil sie es vorher anders versprochen hatte. Am Freitag kam die Kehrtwende.
Ypsilanti konnte eine Abweichlerin in der SPD nicht umstimmen und will sich nun doch nicht zur Ministerpräsidentin wählen lassen. Das Eingeständnis vor wenigen Tagen, ihr Versprechen zu brechen, war ihr nach eigenen Worten schwergefallen. «Wortbruch kann viele Facetten haben», entschuldigte sich Ypsilanti. Lügen, Tricksereien und umstrittene taktische Manöver sind in der Politik keine Seltenheit. Beispiele gibt es viele - unter anderem von Uwe Barschel, Richard Nixon, Bill Clinton, Helmut Kohl und auch von Ypsilantis Gegenspieler Roland Koch.
«Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind», versicherte schweißgebadet der schleswig- holsteinische Ministerpräsident Barschel, als 1987 schmutzige Wahlkampftricks der CDU Schlagzeilen machten. Auch Barschels SPD- Rivale Björn Engholm hatte damals keine ganz weiße Weste. Als «Waterkantgate» sorgt der Fall bis heute immer mal wieder für Gesprächsstoff. Fast in Vergessenheit geraten ist dagegen, wie sich der spätere Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CSU) wegen eines Falscheides den Spitznamen «Old Schwurhand» einhandelte.
Dabei ist die politische Lüge keine Besonderheit der deutschen Politik. In den USA zum Beispiel nahmen es mehrere Präsidenten mit der Wahrheit nicht so genau. «Ich hatte keine sexuelle Beziehung mit dieser Frau»: Mit dieser wolkigen Umschreibung bog Bill Clinton sein Verhältnis mit Praktikantin Monica Lewinsky zurecht. George Bush senior ist den Amerikanern mit dem Spruch «Read my lips» («Lest es von meinen Lippen ab») im Gedächtnis, als er unzutreffend versicherte, es werde keine Steuererhöhung geben. Und Richard Nixon kostete die «Watergate»-Affäre sogar das Amt.
Hierzulande hängt dem CDU-Politiker Norbert Blüm noch immer an, dass er als Arbeitsminister immer wieder beteuerte, die Rente sei «sischä». Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) machte 1991 als querliegender «Umfaller» Schlagzeilen, weil entgegen den Ankündigungen nach der Wiedervereinigung doch die Steuern erhöht wurden. SPD-Nachfolger Gerhard Schröder steckte für unerfüllte Wahlversprechen zum Abbau der Arbeitslosigkeit ebenfalls viel Kritik ein.
Eine unrühmliche Figur machten CDU-Politiker beim Lavieren in der Spendenaffäre. «Ich kenne bis zum heutigen Tag keinen einzigen Vorgang außerhalb der offiziellen Buchhaltung der Christlich- Demokratischen Union», sagte Roland Koch im Januar 2000. Kurze Zeit später musste er gestehen, dass der Rechenschaftsbericht der Landespartei manipuliert war. Altkanzler Kohl weigert sich bis heute, Namen von Spendern zu nennen.
Welchen Rang Ypsilantis Wortbruch in dieser Chronik einnimmt, wird unterschiedlich bewertet. «Der Fall Ypsilanti ist insofern drastisch, als dass es sich hierbei um ein zentrales Versprechen gehandelt hat», findet der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Stefan Marshall. Solche Vorgänge untergraben nach seiner Meinung die Glaubwürdigkeit der Politik. «Das Vertrauensverhältnis zwischen den Bürgern und ihren Vertretern nimmt Schaden.»
Dagegen sagt Geschichtsprofessor Paul Nolte von der Freien Universität Berlin: «Rein sachlich sollte man das nicht so hoch hängen.» Im Vergleich zu anderen Fällen sieht er «wenig Skandalisierungspotenzial» bei Ypsilanti persönlich; die Folgen für die Partei seien allerdings dramatisch. Ein im Wahlkampf gegebenes Versprechen nicht mehr halten zu können, ist für Nolte etwas anderes, als über etwas Geschehenes zu lügen oder ein falsches Ehrenwort vom Kaliber der Barschel-Affäre abzugeben. Er rät von «allzu viel Selbstgeißelung» ab. Etwaige Gespräche mit der Linkspartei haben sich für Ypsilanti ohnehin erledigt, das ist seit Freitag klar.