Analyse: Obamas Stunde der Wahrheit in Kairo
Kairo/dpa. - Für US-Präsident Barack Obama schlägt in Ägypten heute die Stunde der Wahrheit - zumindest aus Sicht der islamischen Welt. Denn die Erwartungen der Muslime an den neuen Staatschef der Supermacht sind seit seinem Amtsantritt so hoch gestiegen, dass er sich schwertun wird, sie zu erfüllen.
«Eine deutliche Botschaft, wie die USA ihr Verhältnis zur islamischen Welt verbessern können», werde der Kern seiner Kairoer Rede an die muslimische Welt sein, verriet Obama am vergangenen Donnerstag nach seinem Treffen mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Er hoffe auf mehr «Verständnis» und «gemeinsamen Boden», sagte der US-Präsident, der seit Monaten mit einer «Politik der ausgestreckten Hand» weltweit das schwer angeschlagene Ansehen Amerikas aufzupolieren sucht.
Natürlich werde auch der Nahost-Konflikt ein Thema sein, weil er «ein wichtiger Faktor im Bewusstsein vieler Araber ist». Obamas deutliche Kritik an der Siedlungspolitik Israels und seine demonstrative Distanz zur Regierung Benjamin Netanjahus nähren sicher die Hoffnungen der arabischen Welt, dass Obama die traditionelle Nibelungentreue der USA zu Israel aufgibt.
«Bisher hat sich die Obama-Regierung den Palästinensern gegenüber im Großen und Ganzen hilfreich verhalten und Verständnis für ihre schwierige Lage gezeigt», meinte der ägyptische Kolumnist Salama Ahmed Salama. «Obama ist sicher ganz anders als (Ex-Präsident George W.) Bush; Obama ist ein Mann, der seine Arbeit sehr genau, realistisch und vernünftig angeht», lobt Ägyptens Präsident Husni Mubarak.
Der König von Saudi-Arabien, der den Titel des «Hüters der Heiligen Stätten» des Islam trägt, erklärte auf die Frage, was er von Obamas Rede in Kairo erwarte, die Araber wollten Frieden, «das Begleichen von Rechnungen sollte man dagegen besser Gott überlassen». Von Obama erwartete er, dass dieser «in Bezug auf die Angelegenheiten der Araber und Muslime Fairness und Gerechtigkeit an den Tag legt».
Mit Skepsis haben arabische Kommentatoren dagegen auf den Plan einer «57-Staaten-Lösung» reagiert, den Obama Israel und den islamischen Staaten nach den Worten des jordanischen Königs Abdullah II. demnächst präsentieren will. Der Plan ist im Prinzip eine Erweiterung der arabischen Friedensinitiative, die den Israelis normale diplomatische Beziehungen anbietet, wenn sich der jüdische Staat aus allen 1967 besetzten Gebieten zurückziehen sollte.
Obama werde in Kairo ganz sicher keinen neuen Nahost-Friedensplan vorlegen, heißt es aus dem Weißen Haus. Es gehe vor allem um «Vertrauensbildung» und einen «neuen Ansatz in den Beziehungen zwischen den USA und der islamischen Welt». Allerdings mehren sich in den USA die skeptischen Stimmen über Obamas ehrgeizigen Ansatz.
Obama könne «nichts sagen, was die USA populär machen würde», meinte der Nahostexperte Prof. Jon Alterman vom Politikinstitut CSIS. Dazu seien die USA «zu reich und mächtig», zudem blieben Differenzen und unterschiedliche Interessen. Besonders negativ würde sich ein Buhlen um Zuneigung auswirken. Obama könne sich aber Respekt verschaffen und Grundlagen für eine «konstruktive Zusammenarbeit» legen, wenn er sich für «Gerechtigkeit» einsetze, besonders in der Palästinenserfrage.
Die Konservativen in den USA fürchteten, dass Obama in Kairo seine «Entschuldigungstour» durch die Welt fortsetze, so der frühere Spitzendiplomat Kim Holmes von der Heritage Stiftung in Washington. Nachdem Obama im April in Straßburg selbstkritisch über «Fehler der US-Politik» gesprochen hatte, klagte die US-Rechte, dass nun erstmals ein US-Präsident im Ausland sein eigenes Land kritisiere. «Der Chor amerikanischer Entschuldigungen stößt auf taube Ohren» und werde politisch rein gar nichts bringen, warnte Holmes.
Die US-Liberalen sorgen sich, dass Obama mit seiner Rede nur die autokratischen Regime in der arabischen Welt stärken werde - vor allem, wenn er, um nicht als «arrogant» und «belehrend» kritisiert zu werden, das Thema Menschenrechte und Demokratie in der arabischen Welt vernachlässigen würde. Dann würde Obama nur «die Fehler von US- Regierungen wiederholen, die Jahrzehnte lang arabische Diktaturen stützten», schrieb die «Washington Post». So könne Obama die jungen Muslime nicht gewinnen, «die die alte Ordnung verachten» und sich nach Freiheit sehnten.