Analyse: Müntefering will SPD-Chaos ordnen
Berlin/dpa. - Es schien fast so, als sei er nie weg gewesen. «Schön, mal wieder hier zu sein», begrüßte Franz Müntefering lächelnd die Journalisten in der SPD-Zentrale. Mit den turbulenten vergangenen Tagen hielt er sich nach der Vorstandssitzung nicht lange auf.
Genau zehn Minuten Bedenkzeit habe er am am Sonntagmittag gebraucht, ob er das Angebot Frank-Walter Steinmeiers zur Rückkehr auf den SPD-Vorsitz annehmen wolle, berichtete Müntefering knapp. Mit 68 Jahren fühle er sich dafür noch fit: «Ich bin heute Morgen 3000 Meter gelaufen, in 18 Minuten und 40 Sekunden - allerdings auf dem Band. Das ist für mein Alter ganz gut.»
Glänzend aufgelegt präsentierte sich der politische Spätheimkehrer und stellte den eigentlichen SPD-Hoffnungsträger Steinmeier vorübergehend leicht in den Schatten. Für den will «Münte» aber nach seiner endgültigen Wahl am 18. Oktober richtig rackern. Manche würden sich noch gewaltig wundern, wozu die SPD in der Lage sei. Zwar liege derzeit die Union mit einigem Abstand vorn. Aber mit «dem Swing» in der Schlussphase «kriegen wir das hin», nahm er seine künftige Rolle als Wahlkampf-Hauptverantwortlicher bereits vorweg. Ganz sicher sei er, dass sein westfälischer Landsmann Steinmeier nicht nur ein guter Kandidat sei, sondern auch «den Kanzlerjob» hervorragend machen werde, strotzte Müntefering geradezu vor Selbstbewusstsein.
Auch Steinmeier ging gleich in die Offensive. Mit dem Anspruch auf «Sieg, nicht auf Platz» gehe er ins Rennen. Jetzt werde erst einmal zur Aufholjagd geblasen, dann sich in den Wahlkampf gestürzt. «Ich weiß, was auf mich zukommt. Ich kenne das Kanzleramt von innen», nahm Gerhard Schröders langjähriger engster Zuarbeiter sein ehrgeiziges Ziel vorweg. Auch dieser Auftritt zeigte, dass die SPD beim Umgang mit dem Abgrund viel Routine hat. Wenn wieder einmal ein Vorsitzender auf der Strecke bleibt, kann die Partei inzwischen fast blind auf eingeübte Rituale zurückgreifen. Das war auch am Tag nach dem Chaos vom Schwielowsee nicht anders. Schadensbegrenzung, Durchhaltewillen und der Blick nach vorn sind dann jeweils angesagt.
Ungewohnt diszipliniert verhielten sich die Parteiflügel nach dem Beck-Schock vom Sonntag. Auch die Parteilinke, die von der Entwicklung besonders kalt erwischt worden war, entschied sich fürs Abwarten. «Gemeinsam unterhaken», gab Andrea Nahles als Gebot der Stunde aus. «Wir wollen die politische Konkurrenz das Fürchten lehren», lautete das Angebot an Steinmeier. Die Rückkehr Münteferings ist dagegen bei ihnen noch nicht verdaut. Für ihn gebe es «keinen Persilschein», warnte Saarlands SPD-Landeschef Heiko Maas, der wie fünf andere Linke Müntefering bei dem Vorstandsvotum die Zustimmung verweigerte. Als «Nachwuchshoffnung» könne man den 68-Jährigen kaum bezeichnen, mäkelte die Juso-Vorsitzenden Franziska Drohsel.
Die andere Frage, die nicht nur SPD-Linke am Montag weiter intensiv beschäftigte: was Becks abrupten Abgang eigentlich ausgelöst und wer am Drehbuch mitgeschrieben hatte. «Die Art, wie Beck gegangen ist oder gehen musste, hat schon einen Beigeschmack», meinte Klaus Wowereit. Von «Heckenschützen aus den eigenen Reihen» sprach Nahles. Steinmeier selbst äußerte sich ziemlich einsilbig dazu.
Die ganze Geschichte des möglicherweise nicht ganz freiwilligen Rücktritts von Beck ist noch längst nicht geschrieben. Immerhin sprachen sich weitere Einzelheiten über die turbulenten Abläufe am Wochenende herum. Zumindest bis zum späten Samstagabend, als sich Beck mit Steinmeier und einigen Vertrauten traf, schien die SPD-Welt noch in Ordnung.
Ohne jedes Anzeichen, dass Beck den SPD-Vorsitz hinschmeißen würde, sei man zu später Stunde auseinandergegangen, wird versichert. Vorab-Pressemeldungen, die Beck dann vorgelegt wurden und nach denen die Verkündung von Steinmeiers Kandidatur auf dessen Druck erfolgt sei, sollen bei dem Pfälzer dann das Fass zum Überlaufen gebracht haben. Damit war für Beck klar, dass er als Vorsitzender in der K- Frage nicht mehr Herr des Verfahrens war.
Nach dem Kurzzeit-Auftritt bei der SPD-Klausur zurückgekehrt, diktierte Beck am Sonntag von seiner Berliner Landesvertretung aus mit dunklen Andeutungen die Gründe für den Rückzug. Medien seien mit «gezielten Falschinformationen» gefüttert worden. Ob er die Urheber dafür im nicht weit entfernten Auswärtigen Amt oder anderswo vermutete, ließ er offen.
Ob der Parteichef sich nur verfolgt fühlte oder ob er tatsächlich mit fein gesponnenen Methoden aus dem Amt gedrängt werden sollte, das blieb zunächst einmal in der Schwebe. «Er ist gegangen worden, irgendwelche Medien-Intrigen waren dabei nicht entscheidend. Beck war ein Getriebener», ist der Berliner Historiker Paul Nolte überzeugt. Für Nolte steht aber auch fest: «Steinmeier musste ihn loswerden, weil das sonst mit seiner Kandidatur nicht funktioniert hätte.»