Analyse: Mit Riesenpaket gegen Finanzkrise
Washington/dpa. - US-Finanzminister Henry Paulson ist niemand, der lange fackelt: Die Übernahme der Hypothekengiganten Fannie und Freddie, die Rettung des Versicherungsriesen AIG, Milliarden-Geldspritzen.
Mit rasendem Tempo hetzen der frühere Chef des Investment-Riesen Goldman Sachs und Notenbankchef Ben Bernanke in diesen dramatischen Tagen der Finanzkrise von Brandherd zu Brandherd, doch zeigten sich die Märkte wenig beeindruckt. Jetzt holt der 62-Jährige mit der heiseren Stimme, den US-Finanzjournalisten schon «den mächtigsten Mann der USA» nennen, zum Generalschlag aus: Statt Stückwerk soll nun ein gigantisches Rettungspaket das Übel der Finanzkrise an der Wurzel packen und, wie es sich abzeichnet, die Branche von den Lasten notleidender Vermögenswerte befreien. Doch deuten sich zugleich Risiken monumentalen Ausmaßes an.
Es waren dramatische Abendstunden in Washington: Erst setzte sich Paulson, Bernanke und der Chef der US-Börsenaufsicht Christopher Cox am Donnerstag für 45 Minuten mit Präsident George W. Bush zusammen. Thema: «Die ernste Lage der Finanzmärkte». Dann unterbreitete der Finanzminister führenden Kongressmitgliedern seinen Plan für einen «umfassenden Ansatz» im Ringen mit der Krise, die wie ein tödlicher Virus wütete. «Paulson hat es ihnen verkauft», zitiert das «Wall Streeet Journal» einen Kongressmitarbeiter.
Genau darauf schien die Finanzwelt gewartet zu haben. «Die Märkte wollen eine Lösung, die das gesamt System umfasst. Eine, bei der man sich nicht jeden Tag fragen muss, welche Finanzinstitution das nächste schwache Glied der Kette ist», sagte das frühere Mitglied der Federal Reserve, Laurence Meyer, dem «Journal». Die Kursfeuerwerke rund um den Erdball legen Zeugnis ab, dass die Strategie geeignet scheint, die massive Vertrauenskrise anzugehen.
Doch zeichnet sich eine gigantische Rechnung ab: «Dem Steuerzahler droht für diese große Lösung eine erhebliche Rechnung», sagt Commerzbank-Experte Bernd Weidensteiner. Die Bremer Landesbank sieht in dem Rettungsprogramm gar eine «offene Flanke» für den US-Haushalt. Die Pläne stellten eine erhebliche Gefahr für die Verschuldungssituation der USA dar, sagt Chef-Analyst Folker Hellmeyer von der Bremer Landesbank. «Angesichts eines Staatsdefizits im laufenden Haushaltsjahr von bereits 640 Milliarden US-Dollar oder vier Prozent der Wirtschaftsleistung, birgt der Rettungsplan fiskalische Gefahren nicht überschaubaren Ausmaßes.» Was eine dramatische Hypothek für die nächste US-Regierung bedeutet.
Die bislang bekannten Umrisse der Rettungspläne zeigen laut Commerzbank-Experte Weidensteiner einige Parallelen zur sogenannten "Resolution Trust Corporation" (RTC) Anfang der 90er Jahre. Diese Zweckgesellschaft übernahm seinerzeit die Abwicklung zahlreicher in Not geratener amerikanischer Sparkassen. Dies betraf damals über 700 Sparkassen mit Vermögenswerten von knapp 400 Milliarden US-Dollar. «Die RTC wickelte allerdings gesamte Institute ab. Die gegenwärtig diskutierte Lösung beschränkt sich hingegen auf den Aufkauf von Vermögenswerten», meint Weidensteiner.
Für die US-Regierung schien es wie die sprichwörtliche Wahl zwischen Pest und Cholera: Greift sie nicht umfassend durch, droht die sich stetig verschärfende Finanzkrise neben der amerikanischen Wirtschaft auch den Rest der Welt erheblich zu beschädigen. Andererseits werden nun wieder jene Stimmen laut, die vor einer «moralischen Gefahr» für die Finanzbranche für warnen: Sollte Wall Street wieder hochriskante Geschäfte an die Wand fahren, kann sie sich nach der jüngsten Staatsintervention möglicherweise auch künftig darauf verlassen, dass jemand in Washington zu Hilfe eilt.
Möglicherweise bleibe der US-Regierung in der derzeitigen Situation gar keine andere Wahl, als abermals einzuschreiten, sagt Hellmeyer. «Allerdings wird durch das Rettungspaket die dringend nötige Bereinigung im US-Bankensektor verhindert.» «Eine Alternative zu dem vorgelegten Programm ist nicht auszumachen», urteilt auch Weidensteiner. Einmal mehr sei mit einem Staatseingriff das geringere Übel gewählt worden, zumal Abwarten die Krise wohl weiter verschärfen würde und den Steuerzahler damit noch viel teurer kommen dürfte.
Für den Freien Markt sehen Experten indes in den Rettungsplänen eine Bankrotterklärung. «Stabilitätspolitisch absolut dramatisch und verwerflich», urteilt Marktexperte Robert Halver von der Baader Bank. «Das ist die größtmögliche Kapitulation eines Finanzsystems.» Die Alternative sei jedoch eine Rezession mit ungeahnten Konsequenzen. Letztlich erkaufe sich der Steuerzahler Stabilität, sagt Halver.