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Analyse: EU-Reformvertrag wird Wirklichkeit

Von Jakob Lemke 03.11.2009, 16:12

Prag/Brno/dpa. - Knapp zwei Jahre nach der feierlichen Unterzeichnung des EU-Reformvertrags am 13. Dezember 2007 in Lissabon wird das Abkommen nun europäische Realität.

Der Prager Präsident Vaclav Klaus unterzeichnete das Grundlagenabkommen am Dienstag als letztes Staatsoberhaupt der 27 EU-Mitgliedsstaaten. Nur wenige Stunden zuvor hatte das tschechische Verfassungsgericht in Brno (Brünn) dafür den Weg freigemacht durch ein Urteil, in dem es den Lissabon-Vertrag für verfassungskonform erklärte. «Die Entscheidung des Verfassungsgerichts habe ich erwartet und respektiere ich, auch wenn ich mit deren Inhalt und Begründung grundsätzlich nicht einverstanden bin», sagte der EU-kritische Klaus.

Für die Union beginnt jetzt zum 1. Dezember eine neue Ära. Durch den Reformvertrag werden Veto-Möglichkeiten von Einzelstaaten stark eingeschränkt; künftig kann die Union oft auf Mehrheitsentscheidungen setzen statt den kleinsten gemeinsamen Nenner suchen zu müssen. Auch eine Art «Außenminister» und ein ständiger Ratspräsident werden mit der Strukturreform eingeführt und sollen helfen, europäische Politik international besser zu vertreten.

Für Klaus und seine Anhänger bleibt dieses Szenario ein Alptraum. Jahrelang hatten sie vieles versucht, um alle Macht in Tschechien zu behalten. Unvergessen, wie Klaus «einen Sieg von Freiheit und Vernunft über künstliche, elitäre Projekte und die europäische Bürokratie» pries, als das Abkommen bei einem ersten Referendum 2008 in Irland durchfiel. Als sich in Dublin eine zweite Volksbefragung abzeichnete, machten die EU-Kritiker in Prag juristisch mobil.

Dreimal urteilte das Verfassungsgericht seitdem, dreimal eindeutig pro Europa. Die Richter konnten in ihren Entscheidungen «keine Bedrohung für die nationale Souveränität» durch den Lissabon-Vertrag erkennen, viele Einwände wiesen sie als «offensichtlich unbegründet» zurück. Weil Senator Jiri Oberfalzer, der die Beschwerden im Namen einer Abgeordnetengruppe vertrat, wiederholt die Klagen kurzfristig erweiterte, sprach der Vorsitzende Richter Pavel Rychetsky gar von «Obstruktion».

Nach dem EU-Gipfel vergangene Woche in Brüssel war klar: Für Tschechien gilt bei der Grundrechtecharta des Reformvertrags eine Ausnahmeklausel wie zuvor auch für Polen und Großbritannien. Diese Forderung hatte Klaus Anfang Oktober überraschend und zusätzlich gestellt, um sein Land vor eventuellen Rückgabeansprüchen durch vertriebene Sudetendeutsche zu schützen - aus Sicht von Betroffenen ein anti-europäischer Eklat.

Als Klaus am Dienstag mit versteinerter Miene auf der Prag Burg kurz und knapp bekanntgab, dass er seine Unterschrift geleistet habe, betrieb er für das Präsidentenamt ungewöhnlich deutliche Richterschelte: «Das Verfassungsgericht hat nicht neutral rechtlich analysiert, sondern sich für die politische Verteidigung des Lissabon-Vertrags und seiner Unterstützer interessiert.» Die Union muss sich also weiter auf Kritik einstellen, doch ein einzelnes Land oder - wie im Fall Klaus - ein einzelner Politiker werden die EU kaum noch blockieren können.