Analyse: Der neue Staat hinge am Tropf des Auslands
Pristina/dpa. - Zuletzt half nur noch Beten. Jedenfalls hatte das geistliche Oberhaupt der Muslime, Mufti Naim Trnava, alle Albaner aufgerufen, auch auf diesem Wege die Unabhängigkeit des Kosovos zu fördern. Die Region gilt neben der «Mutterrepublik» Albanien seit Jahrzehnten als Europas Armenhaus.
Daher sind die Erwartungen der Bevölkerung riesengroß. Doch dass in absehbarer Zeit Milch und Honig fließen, ist ausgeschlossen. Der jüngste Staat Europas wird auch in Zukunft für lange Zeit am wirtschaftlichen Tropf des Auslandes hängen.
Die miserable Ausgangslage in nüchternen Zahlen: Rund 45 Prozent der Bevölkerung gelten als arm, weil ihnen weniger als 43 Euro im Monat für Essen und Trinken zur Verfügung stehen, hat die Weltbank errechnet. Nach offiziellen Angaben sind 42 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung ohne Job. In einigen Landesteilen sind es sogar 80 Prozent. Jeder zehnte Erwachsene ist Analphabet, jeder zweite hat nur die Grundschule abgeschlossen.
Dabei hat das Kosovo die jüngste Bevölkerung in Europa. Jeder zweite Albaner dort ist jünger als 20 Jahre. Die Arbeitslosigkeit treibt daher vor allem junge Menschen in die Kriminalität. Das Kosovo gilt als die europäische Drehscheibe für organisierte Kriminalität - Menschenschmuggel, Rauschgift- und Waffenhandel sowie Prostitution.
Um diesen jungen Menschen legale Perspektiven zu geben, ist viel Geld erforderlich. Schon bisher hat das Ausland einen zweistelligen Milliarden-Euro-Betrag ins Kosovo gesteckt. Weitere drei Milliarden sollen als «Soforthilfe» notwendig sein. Im vergangenen Jahr wurde nach UN-Angaben ein Drittel des stagnierenden Bruttoinlandsproduktes von 2,4 Milliarden Dollar durch Schenkungen ausländischer Staaten aufgebracht.
Chancen eröffnen sich vor allem im Energiesektor. «Ort des Goldes», beschrieb im Dezember ein internationales Explorationsteam seinen Bericht über die Lagerstätten von Braunkohle, Zink, Blei und Nickel. In den Bereichen Bergbau und Energie könnten Zehntausende beschäftigt werden. Doch dafür sind Milliarden an Investitionen nötig, die nur aus dem Ausland kommen können. So wird zum Beispiel jetzt das Bergwerk Sibovc mit Entwicklungskosten von knapp 240 Millionen Euro geplant.
Trotz des Rohstoffreichtums sind auch in diesem Winter Stromabschaltungen an der Tagesordnung. Selbst in der Hauptstadt Pristina gibt es drei Stunden Strom, dann kommt drei Stunden nichts mehr. Die Blöcke A und B des Kraftwerkes Kosovo vor den Toren der Stadt produzieren einfach viel zu wenig Energie. Die Anlagen sind hoffnungslos veraltet und fallen daher serienweise aus. Der Block A1 stammt noch aus dem Jahr 1962, der jüngste Block B2 ging 1984 ans Netz. Ein neues Kraftwerk soll gebaut werden, für das sich auch die deutschen Unternehmen RWE und EnBW beworben haben. Doch noch ist nicht klar, wie die Kosten von rund drei Milliarden Euro aufgebracht werden sollen. Der erste Block soll selbst bei optimistischer Planung erst 2014 in Betrieb gehen.