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Am Tag danach: «Es wird der Schock kommen»

Von Christian Schultz 19.11.2007, 14:47

Köln/dpa. - Ein schmuckloser Betonbau, der Eingang ist abgeriegelt, die Aula leer. Wie ausgestorben ist das Georg-Büchner-Gymnasium im Kölner Stadtteil Weiden. Der Unterricht fällt an diesem verregneten Montagmorgen aus, nachdem die Polizei ein für Dienstag geplantes Attentat verhindert hat.

Nur wenige Schüler haben am Montag den Weg in ihre Schule gefunden, wo exakt am Jahrestag der Gewalttat von Emsdetten Schüler getötet werden sollten. Alle sind fassungslos, schockiert - und erleichtert. «Das hätten wir uns nicht vorstellen können, dass so was hier passiert», erzählt die zwölf Jahre alte Hamila. Sie geht in die siebte Klasse. «Wir haben schon Angst», ergänzt sie und stockt einen Moment. «Ein bisschen zumindest.» Ihre zwei Freundinnen nicken.

Im düsteren Inneren der Schule lobt Nordrhein-Westfalens Schulministerin Barbara Sommer (CDU) die Zusammenarbeit von Schülern, Lehrern und Polizei. Es sei eine besonnene Reaktion gewesen. Schüler hatten am Freitag gemeldet, ein 17-Jähriger habe Bilder eines Amoklaufs ins Internet gestellt. «Durch ihre Hilfe ist es gelungen, Leben zu retten», betont Sommer. Nun müssten die Jugendlichen und das Kollegium damit fertig werden. «Es wird der Schock kommen, es ist einer unserer Schüler gewesen», sagt Sommer. «Wir haben auch Mitgefühl für die Eltern, die einen Sohn verloren haben», fügt sie hinzu. Damit meint sie den 17 Jahre alten Tatverdächtigen, der sich am Freitag das Leben genommen hatte.

Schulleiterin Beatrix Görtner richtet den Blick nach vorne. «Es ist klar, dass wir in der Lehrerschaft Zeit brauchen, uns zu fangen.» Daher sei die Schule zunächst geschlossen worden. Am Dienstag wolle sich das Kollegium mit Schulpsychologen und Notfallseelsorgern den Fragen der Schüler stellen.

Dazu gehört die zwölfjährige Carla. Am Sonntagnachmittag hatte ihr die Nachhilfelehrerin von dem geplanten Amoklauf erzählt. Die Schwester der Nachhilfelehrerin kannte den 17-Jährigen. «Sie war geschockt», erzählt Carla. Den 18-jährigen mutmaßlichen Komplizen kennt sie selbst. «Der hatte einen langen schwarzen Mantel an, hat schon ein bisschen Angst gemacht.»

Ministerin Sommer warnt vor schnellen Urteilen aufgrund von Äußerlichkeiten: «Man muss sehr sensibel mit solchen Kriterien umgehen». Und auch Görtner betont, dass die Lehrer bei beiden Schülern keine Veranlassung sahen, sich Sorgen zu machen. Sie selbst hatte die mutmaßlichen Täter noch vor zwei Jahren unterrichtet. Unauffällig, integriert und «in keiner Weise auffällig» sei der 17-Jährige gewesen. Seine Schwester habe vor zwei Jahren «sehr erfolgreich» ihr Abitur gemacht. Der 18-Jährige sei hingegen sehr introvertiert. «Er trug schwarz, das war und ist aber nichts Besonderes.»

Auch Tajaw kennt den festgenommenen 18-Jährigen vom Sehen. «Er wurde immer von Freunden geärgert», erinnert er sich. Aber dass er einen Amoklauf geplant habe, sei «krass».

Dem Klischee einer Problemschule entspricht das Ganztagsgymnasium mit seinen 900 Schülern nicht. Im gleichen Gebäude ist die Martin-Luther-King-Hauptschule mit 300 Schülern untergebracht. Nebenan wechseln sich 15-stöckige Wohnblocks mit schmucken Einfamilienhäusern ab, daneben gepflegte Sportanlagen. «Es ist eine Schule ohne große soziale Spannungen», bestätigt Görtner. Für Schüler habe es Deeskalationstraining gegeben, über vergangene Amokläufe in Deutschland und den USA sei diskutiert worden.

Rund 180 Kilometer weiter nördlich im münsterländischen Emsdetten schützen derweil Polizisten die 700 Schüler der Geschwister-Scholl-Realschule vor Medienvertretern. «Die Nerven liegen blank», beschreibt Polizeihauptkommissar Bernd Neuser die Stimmungslage. Die aktuelle Konfrontation mit den Ereignissen von Köln löse die «alten Filme wieder aus», sagt der Psychologe Thomas Weber. Die Jugendlichen haben zum Jahrestag des traumatischen Ereignisses ein Transparent aus dem Fenster eines Klassenzimmers gehängt: «Was wir alleine nicht schaffen, das schaffen wir zusammen», haben sie darauf geschrieben. In Köln steht dieser Bewältigungsprozess erst noch bevor.