Am Tag danach: «Es wird der Schock kommen»
Köln/dpa. - Ein schmuckloser Betonbau, der Eingang ist abgeriegelt, die Aula leer. Nach dem vereitelten Amoklauf ist das Georg-Büchner-Gymnasium im Kölner Stadtteil Weiden wie ausgestorben. Der Unterricht fällt an diesem verregneten Montagmorgen aus.
Nur wenige Schüler haben den Weg dorthin gefunden, wo exakt am Jahrestag der Gewalttat von Emsdetten Schüler getötet werden sollten. Es herrschen Fassungslosigkeit, Erleichterung und Schock.
«Das hätten wir uns nicht vorstellen können, dass so was hier passiert», sagt die 12 Jahre alte Hamila, die in die siebte Klasse geht. «Wir haben schon Angst», ergänzt sie und stockt einen Moment. «Ein bisschen zumindest.» Ihre beiden Freundinnen nicken. Die Mädchen können zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, dass die Gefahr möglicherweise doch nicht so groß war. Die beiden 17 und 18 Jahre alten Schüler wollten ihre Pläne für die Bluttat nicht umsetzen, wie die Staatsanwaltschaft am Nachmittag mitteilt. Warum der 17-Jährige am Freitag nach einem Gespräch mit der Polizei sich dennoch das Leben nahm, ist noch unklar.
Landesschulministerin Barbara Sommer (CDU) lobt die Zusammenarbeit von Schülern, Lehrern und Polizei. Es sei eine besonnene Reaktion gewesen. Schüler hatten am Freitag gemeldet, dass ein 17-Jähriger Bilder eines Amoklaufs ins Internet gestellt hatte. «Durch ihre Hilfe ist es gelungen, Leben zu retten», betont Sommer. Nun müssten die Jugendlichen und das Kollegium damit fertig werden. «Es wird der Schock kommen, es ist einer unserer Schüler gewesen», sagt Sommer. «Wir haben auch Mitgefühl für die Eltern, die einen Sohn verloren haben», fügt sie hinzu.
Schulleiterin Beatrix Görtner richtet den Blick schon nach vorne. «Es ist klar, dass wir in der Lehrerschaft Zeit brauchen, uns zu fangen.» Daher sei die Schule zunächst geschlossen worden. Am Dienstag wolle sich das Kollegium mit Schulpsychologen und Notfallseelsorgern den Fragen der Schüler stellen.
Dazu gehört die zwölfjährige Carla. Am Sonntagnachmittag hatte ihr die Nachhilfelehrerin von dem geplanten Amoklauf erzählt. Deren Schwester kannte den 17-Jährigen. «Sie war geschockt», erzählt Carla. Über den 18-jährigen mutmaßlichen Komplizen sagt sie: «Der hatte einen langen schwarzen Mantel an, hat schon ein bisschen Angst gemacht.» Auch Tajaw kennt den vorübergehend festgenommenen 18- Jährigen vom Sehen. «Er wurde immer von Freunden geärgert», erinnert er sich. Aber dass er einen Amoklauf geplant habe solle, sei «krass».
Nach Angaben Görtners sahen die Lehrer bei beiden Schülern keine Veranlassung, sich Sorgen zu machen. Sie selbst hatte die Schüler noch vor zwei Jahren unterrichtet. Unauffällig, integriert und «in keiner Weise auffällig» sei der 17-Jährige gewesen. Seine Schwester habe vor zwei Jahren «sehr erfolgreich» ihr Abitur gemacht.
Dem Klischee einer Problemschule entspricht das Ganztagsgymnasium mit seinen 900 Schülern nicht. Im gleichen Gebäude ist die Martin- Luther-King-Hauptschule mit 300 Schülern untergebracht. Nebenan wechseln sich 15-stöckige Wohnblocks mit schmucken Einfamilienhäusern ab, daneben gepflegte Sportanlagen. «Es ist eine Schule ohne große soziale Spannungen», bestätigt Görtner. Für Schüler habe es Deeskalationstraining gegeben, vergangene Amokläufe in Deutschland und den USA seien thematisiert worden.
Rund 180 Kilometer weiter nördlich im münsterländischen Emsdetten schützen derweil Polizisten die 700 Schüler der Geschwister-Scholl-Realschule vor Medienvertretern. «Die Nerven liegen blank», beschreibt Polizeihauptkommissar Bernd Neuser die Stimmungslage. Die aktuelle Konfrontation mit den Ereignissen von Köln löse die «alten Filme wieder aus», sagt der Psychologe Thomas Weber. Die Jugendlichen haben zum Jahrestag des traumatischen Ereignisses ein Transparent aus dem Fenster eines Klassenzimmers gehängt: «Was wir alleine nicht schaffen, das schaffen wir zusammen», haben sie darauf geschrieben. In Köln steht dieser Bewältigungsprozess erst noch bevor.