Als Tierfutter Als Tierfutter: Sächsisches Startup will im großen Stil Insekten züchten

Kai Hempel greift mit der flachen Hand in die Wanne voll Fliegen-Larven. Die etwa zwei Zentimeter langen Insekten krümmen sich hin und her. Was die meisten Deutschen nur als Mutprobe aus dem TV-Dschungelcamp kennen, ist für den 31-Jährigen der berufliche Alltag.
Der Jungunternehmer hat im Jahr 2017 das Startup Made by Made gegründet, das aus Insekten tierisches Protein für die Futtermittelindustrie gewinnt. Sein Geschäftsziel ist ambitioniert: Die Insektenzucht soll der Überfischung der Meere und der Rodung der Regenwälder entgegenwirken.
Fliegen sind Eiweißbomben
Vor den Toren Leipzigs hat sich das Unternehmen in große Lagerhallen eines Agrar-Betriebes eingemietet. Drinnen steht ein Container, Hempel öffnet die Tür und schiebt eine Folie im Eingangsbereich zur Seite - ein Summen ertönt. Unter violett schimmerndem Speziallicht sitzen dort Hunderttausende „Schwarze Soldatenfliegen“. Interesse hat der Gründer allerdings nur an deren Larven, die in Eiablagen gelegt werden.
Täglich werden die Larven aus dem Container geholt und auf großen Stahlblechen verteilt. Gefüttert werden diese mit „Reststoffen“, wie Hempel es ausdrückt. Es handelt sich um nicht mehr verwendbare Lebensmittel von Gemüsehändlern und aus landwirtschaftlichen Betrieben. Das Besondere an den Tieren: Die Larven wandeln die Nahrung zu einem großen Teil in energiereiches Protein um. Sie sind regelrechte Eiweißbomben.
Die Idee für die Insektenzucht hatte Kai Hempel bei seinem Betriebswirtschaftsstudium in Leipzig. Der gelernte Florist hatte schon immer das Ziel, ein Unternehmen zu gründen. Als vielversprechend sah er Aquakulturen an, also die künstliche Aufzucht von Fischen und Krebsen. Der Markt wächst jährlich zweistellig. Bei der Aufstellung eines Geschäftsplans machte ihm jedoch das teure Fischmehl einen Strich durch die Rechnung. „Teilweise war das Futter teurer als das Endprodukt“, erzählt Hempel. Also suchte er nach alternativen Futtermitteln und stieß auf Insekten.
Mit dem Thema beschäftigt sich in Deutschland bisher nur eine kleine Zahl von Wissenschaftlern. So lernte Hempel den Biologen Jonas Finck kennen, der mit ihm das Unternehmen nun aufbaut. Die ersten Versuche fanden - wie es sich für ein Startup gehört - in einer Garage statt. „Wir mussten vor allem ein ausgeklügeltes Belüftungssystem für die Larven entwickeln“, erklärt Finck. „Das je nach Entwicklungsstadium wärmt oder kühlt.“ Der Insektenforscher sagt: „Die Insekten lieben Massentierhaltung.“ Gedeihen würden sie aber nur bei optimalen Bedingungen.
Laut Finck haben sie in der Pilotanlage nachgewiesen, dass die Aufzucht gelingt. Aktuell werden nur einige Kilogramm Larven-Pulver pro Tag hergestellt. In einer geplanten Großanlage sollen es noch in diesem Jahr täglich bis zu acht Tonnen werden. „Diese Mengen sind notwendig, um am Markt für Futtermittel-Hersteller interessant zu sein“, erläutert Hempel.
Noch keine Zulassung als Futtermittel für Schweine oder Hühner
Damit betreten die beiden Gründer in Deutschland Neuland. Bisher werden Insekten nur vereinzelt zur Tierfutter-Produktion genutzt. Beim Deutschen Verband Tiernahrung herrscht bei dem Thema Zurückhaltung: „Grundsätzlich begrüßen wir es als Verband, wenn immer wieder nach unterschiedlichen alternativen Rohwaren gesucht wird“, sagt eine Verbandssprecherin. Man warte „die Entwicklung beim Thema Insektenprotein ab und beobachten dies“.
Die Insektenproteine dürfen bisher nur in Aquakulturen und für Haustierfutter verwendet werden. Eine Zulassung als Futtermittel für Schweine oder Hühner gibt es noch nicht.
Damit rechnet jedoch die Wissenschaftlerin Brigitte Paulicks vom Lehrstuhl für Tierernährung an der Universität Münster (Nordrhein-Westfalen). „Insekten sind eine gute Alternative zu Fischmehl“, sagt Paulicks. Dieses werde oft aus Beifang in der Fischerei gewonnen und trage zur Überfischung der Meere bei.
Insekten werden nun auch in Deutschland immer häufiger als Lebensmittel angeboten. Zunächst waren die proteinhaltigen Tiere nur in einzelnen Restaurants erhältlich, dann kamen kleine Internethändler hinzu und nun ziehen sie auch in die Regale der großen Supermarktketten ein.
Die Kette Kaufland bietet seit Anfang Februar verschiedene Insekten-Snacks an. Neben Grillen mit Salz und Essig gibt es auch Buffalowürmer mit Sauerrahm- und Zwiebelgeschmack sowie Mehlwürmer in Knoblauch und Kräutern. Die 18-Gramm-Packungen haben den stolzen Preis von 6,99 Euro. Auch andere Ketten machen erste Angebote: So ist Rewe bereits 2018 mit einem Burger aus Buffalowürmern auf den Markt gegangen. Bei Netto werden seit Jahresbeginn Mehlwurm-Nudeln angeboten.
Seit Januar 2018 ist der Verkauf von Insekten als Lebensmittel auch in der EU möglich - dazu wurden sie in die sogenannte Novel-Food-Verordnung aufgenommen. Bei Menschen mit Allergien gegen Hausstaub oder Schalen- und Krustentiere könnte sich jedoch auch eine Kreuzallergie gegen Insekten entwickeln.
Pflanzliche Proteine würden etwa aus Soja gewonnen, für den Regenwälder weichen müssen. Ihre positive Einschätzung rührt daher, dass seit Anfang vergangenen Jahres in der EU einige Insektenarten wie Mehlwürmer und Heuschrecken als Lebensmittel zugelassen sind. „Daher ist ein breiter Einsatz als Tierfutter künftig realistisch“, sagt Paulicks. Ob sich die energieintensive Insektenproduktion hierzulande lohnt, dazu liegen nach Angaben der Forscherin „bisher kaum Daten vor“. Insekten werden in Deutschland derzeit nur in kleinem Rahmen etwa für Zoogeschäfte und Tierparks gezüchtet. Bislang hat allein die Firma Hermetia aus dem brandenburgischen Baruth eine größere Insektenfarm für die Futtermittel-Herstellung errichtet.
Mobile Insektenfarmen
Made by Made verkauft derzeit nur testweise das Proteinpulver an Hundefutter-Hersteller. Größere Umsätze erzielt die junge Firma damit noch nicht. Löhne und Material werden derzeit noch von Investoren getragen. Beteiligt hat sich nach Angaben Hempels die Holding des sächsischen Papier-Herstellers Golzern. Der Geldgeber habe einen „hohen sechsstelligen Betrag“ für die Errichtung der Pilotanlage investiert.
Hempels Ziel ist es, modulare, Insektenfarmen aufzubauen. „Das sogenannte Indoor-Konzept funktioniert unabhängig vom Standort“, sagt der Gründer. „Viele Agrarbetriebe und Großmärkte in Deutschland müssen pflanzliche Reststoffe heute noch teuer entsorgen.“ Durch die Insektenproduktion könne sich das ändern. Durch ein dezentrales System von mehreren Farmen könnten auch relevante Eiweißmengen erzeugt werden, um Fischmehl oder pflanzliche Proteine zu ersetzen.
Vor der „Schwarzen Soldatenfliege müsse sich niemand ekeln“, versichert Kai Hempel und weist auf ein verblüffendes Detail hin. Da die Larven reine Energiebündel sind, benötigt die geschlüpfte Fliege später nur Wasser als Nahrungsmittel. (mz)