Alles nur Show Alles nur Show: Wie es Wrestling bis ins sächsische Hinterland geschafft hat

Kamenz - Im Trainingsraum klingt es wie im Kreißsaal: Durch die Luft schwirren schrille Schreie und angestrengtes Stöhnen. Der „Garbage Brawler“ kommt gerade richtig in Fahrt. Übersetzt bedeutet sein Kampfname „Abfall-Prügler“. Und in diesem Moment will er den „Outlaw“, den Gesetzlosen, entsorgen.
Diesen hatte er zuvor wie ein Paket in die Luft gehoben, um ihn anschließend auf einen Stapel Turnmatten krachen zu lassen. Jetzt verhöhnt er seinen sich theatralisch krümmenden Gegner: „Du bist ein Schwächling“, raunt der Garbage Brawler ihm zu. Dann schaut er ins Publikum, das sich um die Kampfarena versammelt hat. Mit weit aufgerissenen Augen brüllt er: „Seht alle her, ich bin der beste Wrestler der Welt.“
Es ist ein irres Schauspiel, das da in dem Hinterhof-Gebäude des sächsischen Ortes Ohorn nahe Kamenz stattfindet. Doch gleich als Entwarnung: Die beiden Männer im Ring spielen das Ganze nur. Sie sind Teil einer der ungewöhnlichsten Trainingsgruppen Mitteldeutschlands. Ihr Sport heißt Wrestling.
Wrestling: Eine Art Bodenturnen mit viel Körperkontakt
Das kann man sich als eine Art Bodenturnen mit viel Körperkontakt vorstellen. Ein choreographiertes Kampftheater, als würde man Boxer Ballett tanzen lassen - alles ist einstudiert, Eleganz und Anmut werden jedoch von Kraft und Robustheit ersetzt.
Und Wrestling ist auch eine der amerikanischen Sportarten, die es gibt. Da jede Aktion und auch der Ausgang der Kämpfe zuvor abgesprochen ist, zählt bei den Auseinandersetzungen vor allem eines: die Show. Jeder Wrestler schlüpft dafür in eine vorgegebene Rolle, die er mit viel Inbrunst vertritt. Die dargestellte Welt ist dabei eher einfach strukturiert: Es gibt die Guten und die Bösen. Muskelbepackt sind allerdings alle. Als in den 80er und Anfang der 90er Jahre die Golfkriege tobten und Wrestling eine Hochphase erlebte, hieß einer der Oberschurken „The Iron Sheik“ - der eiserne Scheich also. Damals fand auch ein Wettkampf auf einem Flugzeugträger der Navy statt - mehr US-amerikanischer Pathos geht nicht.
Erster Gegner war ein Kartoffelsack
Doch der Kampfsport hat es bis ins sächsische Hinterland geschafft. Schuld daran ist Clemens Skatula, besser bekannt als Garbage Brawler. „Schon als Kind hat mich Wrestling fasziniert“, erzählt der 24-Jährige, nachdem er aus seiner Rolle als Abfallbeseitiger geschlüpft ist. Diese Begeisterung für die starken Männer im Ring weicht oft mit der bitteren Erkenntnis, dass alles nur gespielt ist. Skatula allerdings blieb der oft als Pseudosport verschrienen Keilerei treu. „Das alles abgesprochen ist, hat mich nie gestört“, meint er. Ihm sei der Leistungsgedanke im Sport ohnehin nicht so wichtig. „Für mich zählt viel mehr, dass die Kämpfer alles dafür geben, dem Publikum eine geile Show zu liefern.“
Dass für ihn aus der Faszination auch eine Freizeitbeschäftigung wurde, hat maßgeblich mit einem Kartoffelsack zu tun. Mit seinen Freunden traf sich Skatula früher immer zum Karten spielen in einer Garage. Dort lag auch jener Kartoffelsack. Eines Abends begann Skatula ihn in Wrestling-Manier durch den Autounterschlupf zu wirbeln. „Meine Freunde fanden das witzig“, erzählt er. Wenig später hatte der Kartoffelsack ausgedient und die Jungs traten gegeneinander an.
Irgendwann, so Ende 2014, sei dann einer auf die Idee gekommen, das wilde Treiben zu filmen und auf einer Online-Videoplattform zu veröffentlichen. „Wir haben uns dann richtige Geschichten und Szenen ausgedacht“, sagt Skatula. Dazu muss man wissen: Zur Wrestling-Folklore gehört es, dass die Artistik im Ring in eine große Erzählung eingebettet ist. Zwischen den Kämpfen gibt es viel Seifenoper: Verbrüderungen, Intrigen und Beziehungsdramen - das gehört zur Show dazu.
Auftritt in Omas Garten
Im Internet bauen sich die Hobby-Kämpfer, die sich fortan „Freak Wrestling Kamenz“ (FKW) nennen, eine kleine Fangemeinde auf. Die fordert alsbald nicht nur neue Geschichten, sondern auch Live-Events. „Wir haben uns dann aus alten Brettern, Zaunlatten, Stahlseilen und einem Gartenschlauch den ersten eigenen Ring gebaut“, erzählt Skatula. Anschließend fand im Garten der Oma die erste Aufführung vor Publikum statt.
Mit der Größe des Wrestling-Unternehmens wachsen auch die Charaktere: ein Gabelstaplerfahrer wird zum Gangster „Mr. Black“, ein Eisenbieger zum rüpelhaften „Bender“. Und Clemens Skatulla entwickelt den Garbage Brawler. So schmutzig wie sein Name es sagt, kämpft er auch. „Er ist hinterhältig, unfair und feige“, meint Skatula. „Also genau das Gegenteil von dem, was ich im wirklichen Leben bin.“ Der 24-Jährige arbeitet als pädagogische Fachkraft in einer Förderschule: „Der Gegensatz ist für mich so spannend.“
Doch die prahlerische Art, mit der der Garbage Brawler im Ring agiert, hat auch seine Nachteile. Nachdem er im Kampf gegen den Outlaw dem Publikum seinen eigene Stärke verkündet hat, beginnt er die Zuschauer zu beschimpfen - und lässt dabei seinen Gegner außer Acht. Unbemerkt rappelt sich der Gesetzlose, der Kevin Lieback heißt und als Schlosser arbeitet, auf und befördert den verdutzt guckenden Müllvernichter mit einem Wurf zu Boden. „Ich zeig dir, wer der beste Wrestler der Welt ist“, ruft der Outlaw. Schläge, Tritte und einige Flugeinlagen folgen - natürlich alles nur gespielt.
Dann ertönt die Ringglocke. Die Rauferei zwischen dem Garbage Brawler und Outlaw ist vorbei - und damit auch die Rivalität, die es eigentlich ja gar nicht gibt. Denn Wrestling ist der wohl einzige kooperative Kampfsport. Im Ring sind die Konkurrenten ein Team - auch, damit sich bei den oft gewagten Manövern niemand verletzt. Es geht eben nicht ums K.O., sondern um die Show. „Und ein besseres Ziel kann man doch eigentlich nicht haben“, meint Clemens Skatula.
Wrestling: Rummel, Filme und viele Tote
Das Wrestling geht auf ein Jahrmarktvergnügen zurück. Schon im 19. Jahrhundert konnten Rummelbesucher professionelle Ringkämpfer herausfordern - ohne eine realistische Chance, aber zur Belustigung des Publikums. Dieser Show-Aspekt blieb auch bei der zunehmenden Professionalisierung des Wrestlings erhalten. Ligen wurden gegründet, eigene Titel erfunden. Ab den 1950er Jahren gab es ausgehend von den USA einen Boom des Sports. Szenegrößen entstanden, internationale Turniere wurden veranstaltet. In den 80er Jahren kam dann der weltweite Durchbruch. Wrestling wurde zunehmend mit Unterhaltungselementen ergänzt - eine erfolgreiche Mischung.
Die Prominenz des Sports wurde auch abseits des Rings erfolgreich. Ein Beispiel ist Hulk Hogan (Bild), der sein schauspielerisches Talent in Hollywood-Filmen entfaltete. Die glamouröse Wrestling-Welt zeigte vor allem im letzten Jahrzehnt jedoch zunehmend ihre Schattenseiten. So verstarb eine ganze Reihe berühmter Wrestler in vergleichsweise jungen Jahren. Zurückgeführt wird das vor allem auf die unter den Sportlern verbreitete, intensive Einnahme von Anabolika. Die Mittel halfen ihnen beim Aufbau ihrer Muskelberge.
Auch in Deutschland gibt es heute mehrere Wrestling-Veranstalter und Ligen. Die größte Organisation ist die Westside Extreme Wrestling (WXW) aus Essen (Nordrhein-Westfalen), die eine eigene Turnierserie mit professionellen Wrestlern veranstaltet. Die Shows werden dabei ausschließlich im Internet verbreitet. (mz)
