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-Prozess -Prozess: Fememord weil sie "wie eine Deutsche lebte"

Von Jutta Schütz 13.04.2006, 10:28

Berlin/dpa. - Die lebenslustige junge Frau, die das muslimische Kopftuch abgelegt hatte, starb auf dem Pflaster im Stadtteil Tempelhof. Sie hinterließ einen kleinen Sohn. Der Fememord hatte bundesweit Entsetzen ausgelöst und die Öffentlichkeit aufgeschreckt.

Die Staatsanwaltschaft hatte zwei Mal lebenslange Haft sowie eine Jugendstrafe von neun Jahren und acht Monaten für die jungen Männer gefordert. Für die Ankläger stand nach halbjährigem Prozess fest: Der heimtückische Mord war gemeinschaftlich als «Hinrichtung» geplant worden. Hatin Sürücü habe sterben müssen, weil den Brüdern ihr westlicher Lebensstil nicht passte und sie sich für ihre Schwester schämten. Durch ihren Tod sollte die verletzte Familienehre wieder hergestellt werden, hatte Staatsanwalt Matthias Weidling in seinem Plädoyer gesagt. Jedoch habe sich nicht beweisen lassen, dass ein Familienrat zuvor das Todesurteil fällte.

Der jüngste, inzwischen 20-jährige Angeklagte hatte gleich zu Prozessbeginn gestanden, seine Schwester erschossen zu haben. In der von seinem Anwalt verlesenen Erklärung sagte er aber auch, seine Brüder - heute 25 und 26 Jahre alt - hätten damit nichts zu tun. «Ich habe die Tat allein begangen. Niemand in der Familie hat mir dabei geholfen», beteuerte er und zeigte auch Reue. «Das, was ich getan habe, ist nicht wieder gut zu machen.» Sein Verteidiger ergänzte, der Angeklagte habe seine Familie schützen wollen, als er seine Schwester tötete, tatsächlich habe er sie aber zerstört.

Doch wird spekuliert, ob der jüngste Angeklagte, der nach milderem Jugendstrafrecht verurteilt werden konnte, seine Brüder nach Absprache mit der aus Ostanatolien stammenden Familie vor langjährigen Haftstrafen bewahren sollte. Die beiden älteren Brüder stritten im Prozess jede Tatbeteiligung ab. Die Staatsanwaltschaft aber geht davon aus, dass der 26-Jährige die Waffe besorgte und der 25-Jährige in Tatortnähe Schmiere stand.

Der Prozess stützte sich zu großen Teilen auf Aussagen der Ex-Freundin des jüngsten Angeklagten. Die Verteidigung hielt die Beweislage aber für dünn. Die junge Frau, die an geheimem Ort im Zeugenschutzprogramm lebt, habe widersprüchliche Aussagen gemacht. Auch die Tatwaffe wurde nie gefunden.

Für Aufsehen sorgte auch ein Fluchtversuch des mutmaßlichen Todesschützen. Der junge Mann hatte Anfang März versucht, während der Fahrt von der Untersuchungshaft ins Gericht aus dem Transporter auszubrechen, wurde aber zurückgedrängt.

Der Tod von Hatin Sürücü hatte eine bundesweite Debatte über Zwangsehen und Parallelwelten von Ausländern in Deutschland ausgelöst. Die junge Frau hatte sich nach einer Zwangsverheiratung in der Türkei von ihrem Mann gelöst und in Berlin ein eigenständiges Leben mit ihrem kleinen Sohn begonnen. Gegen den heftigen Widerstand der streng traditionell lebenden Familie zog sie aus der elterlichen Wohnung aus, holte ihren Schulabschluss nach und begann eine Lehre als Elektroinstallateurin. Nach dem Gewaltverbrechen hatten junge Türken an einer Schule in Berlin-Neukölln die Tat gebilligt, weil Hatin wie eine Deutsche gelebt habe. Dies sorgt wiederum für Schlagzeilen.

Inzwischen hat der Bundesrat einen neuen Anlauf zur Strafbarkeit von Zwangsverheiratungen unternommen. Verabschiedet wurde ein Gesetzentwurf, nach dem ein spezieller Tatbestand im Strafgesetzbuch mit einer Strafandrohung von bis zu zehn Jahren Haft eingeführt werden soll. Das Schicksal von Hatin Sürücü ist kein Einzelfall. Die UN-Menschenrechtskommission geht von weltweit etwa 5000 Frauen und Mädchen aus, die jährlich zumeist in islamischen, aber auch in christlichen Ländern Opfer von «Ehrenmorden» werden.