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Alter Schlachthof in Halle Alter Schlachthof in Halle: Auferstanden aus Ruinen

Von Steffen Könau 26.07.2013, 06:00
Richard Schmid, Béla und Thies Streifinger (v.l.) im alten Schlachthof. Der Ort soll für Halle werden, was die Freistadt Christiania in Kopenhagen ist
Richard Schmid, Béla und Thies Streifinger (v.l.) im alten Schlachthof. Der Ort soll für Halle werden, was die Freistadt Christiania in Kopenhagen ist Andreas Stedtler Lizenz

Halle/MZ - Überwucherte Backsteinmauern, bemoostes Holz und Müll über Müll, so sieht der Platz aus, an dem Richard Schmids wilde Träume spielen. Platz zumindest ist ohne Ende auf dem 1893 eingeweihten Großschlachthof der Stadt Halle, der seit zwei Jahrzehnten leer steht. „Viereinhalb Hektar“, sagt Richard Schmid, einst Mitbegründer der Grünen und des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac, neuerdings aber eher für den Stadtumbau von unten engagiert. Schmid, 59 Jahre alt und in außerparlamentarischen Bewegungen bestens vernetzt, ist des Kampfes gegen den Kapitalismus ein bisschen müde geworden. „Immer nur dagegen“, sagt der Bayer, den es vor Jahren in den Osten verschlug, „ich finde es wichtiger, sich für Alternativen einzusetzen.“

Konkret müssen die sein, greifbar und ernsthaft. Wie das Schlachthof-Projekt, an dem er und sein Mitstreiter, der Theater- und Radiomacher Thies Streifinger, schrauben, seit der auch in der sogenannten Transition-Town-Bewegung engagierte Schmid den Tipp bekam, sich das Gelände mal anzusehen.

Es war Liebe auf den ersten Blick. Schmid, der sich selbst einen „Mundwerker“ nennt, schwärmt von den Möglichkeiten, die das riesige und doch fast noch innenstädtische Areal für die Verwirklichung seiner Vision einer neuen Art von Nachbarschaft bietet. Die Idee dazu kommt aus der Schweiz, ist dort aber bislang nur Theorie, wie Schmid erklärt. „Es geht darum, ökologisch zu leben und doch eine höhere Lebensqualität zu haben.“

Möglich machen soll das ein Konzept, das an die DDR-Idee erinnert, einen Wohnkomplex in Halle-Neustadt als „Wohnmaschine“ zu gestalten. Um Schichtarbeiter zu entlasten, sollten Aufgaben kollektiv erledigt werden. So warteten nach Feierabend vorbereitete Lebensmittel, um die Küchenarbeit für den Einzelnen zu verringern.

Doch was in der DDR dem Wohl des Sozialismus dienen sollte, folgt bei der neu gegründeten Genossenschaft „Halle im Wandel“, die das Schlachthof-Projekt vorantreibt, höheren Zielen. Statt nur nebeneinander, sollen Menschen miteinander leben. „Man zahlt nicht nur Miete, sondern sein Essen gleich mit.“ Das wird in einer Kantine gekocht, die Wäsche gemeinschaftlich gewaschen. Sechs Stunden Gratisarbeit für jeden Bewohner im Monat in Küche und Wäscherei reichen, haben die Erfinder errechnet. „Statt 10 000 Watt Energie im Jahr benötigt der Nachbarschaftsbewohner nur 2 000“, glaubt Thies Streifinger. Ein Schritt in eine Öko-Zukunft, der Halle ins internationale Scheinwerferlicht katapultieren würde, ist Richard Schmid überzeugt. „Halle könnte die erste Stadt sein, die die Idee umsetzt.“

Ringsum hohe Hürden

Allerdings sind die Hürden hoch und die Aussichten ungewiss. Derzeit verwaltet eine Firma aus Leipzig das Gelände, einen Insolvenzverwalter gibt es auch noch und wer genau was zu verkaufen hat, muss noch erkundet werden. Auch der Preis der Riesenhallen aus Backstein, Stahl und ausgeschlagenen Fenstern ist derzeit noch eher eine Ahnung als verbürgtes Wissen. Auf über eine Million Euro sei der Wert der Immobilie geschätzt worden, sagt Streifinger, dazu kommen vermutlich bis zu vier Millionen Euro Altschulden. Und auch die Stadt sitzt noch auf Grundsteuernachforderungen in Höhe einer halben Million Euro. „Das wäre natürlich alles nicht finanzierbar“, ist Richard Schmid ehrlich.

Klar, denn die neue Genossenschaft hat derzeit nur zwei Handvoll Mitglieder, unter denen keiner einen dicken Geldkoffer besitzt. „Und mit Krediten sieht es natürlich auch nicht rosig aus“, beschreibt Streifinger, „weil wir eine sehr junge Genossenschaft ohne Nachschusspflicht sind.“ Das hat den Vorteil, dass Mitglieder nur mit ihrer Einlage haften. Und den Nachteil, dass Banken andere Sicherheiten sehen wollen.

Auch der große Umschlagbahnhof, den die Bahn für eine halbe Milliarde Euro gleich nebenan baut, macht die Umsetzung nicht leichter, wie Stadtsprecher Drago Bock klarmacht. Die Bahn-Planungen sind fest, eine vollständige Umwandlung des Schlachthof-Areals in ein Wohngebiet scheine wegen dann zu erwartender Lärmschutzprobleme kaum vorstellbar. „Eine Nutzung darf den Betrieb der Zugbildungsanlage nicht einschränken.“ Davon abgesehen stehe die Stadt jedem konkreten Vorhaben offen gegenüber. „Wir würden es mit den erforderlichen städtischen Planungen begleiten.“

Schwierig, aber für Richard Schmid keine neue Situation. Der studierte Psychologe war schon dabei, als die Ökobank aus der Taufe gehoben wurde. „Es geht immer darum, Leute zu finden, die mitmachen“, sagt er, „und gleichzeitig starke Partner zu suchen, mit denen man nach außen zeigt, dass man es ernst meint.“ Baufirmen kämen in Frage, Gespräche gab es schon mit Wohnungsgenossenschaften. Eine Partnerschaft mit dem Bauhaus wäre Schmid größter Wunsch. Denn das weiß auch der Visionär: Im Moment werden Köpfe geschüttelt, wenn er von der Modellnachbarschaft im halleschen Osten schwärmt. „Größenwahn“ bekomme er manchmal vorgehalten, lächelt er durch seine Lennon-Brille. „Dabei finde ich, dass eine Genossenschaft mit tausend Mitgliedern echt nicht groß ist.“

Ein, zwei, viele Nachbarschaften

Denn Schmid denkt weit über Halle hinaus. Ein, zwei, viele Nachbarschaften als künftige Wohnalternative für Menschen, die angesichts der demographischen Entwicklungen in kleinen Dörfer vereinzeln. „Da draußen leben, ist ökologischer Unsinn“, sagt er, „da sind die Nachbarschaften sehr viel umweltfreundlicher und bequemer.“ Ja, tausend Mitglieder ist das Ziel, fürs Erste. „Damit hätten wir doch schon mal eine Hausnummer.“

Tausende Tiere wurden früher in dem Schlachthof getötet.
Tausende Tiere wurden früher in dem Schlachthof getötet.
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