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Nach Fund eines Unterarmes  Nach Fund eines Unterarmes : Wer war der Tote aus dem Bodetal?

Von ingo kugenbuch 20.03.2014, 14:33
Polizeibeamte sammeln die gefundenen Körperteile ein.
Polizeibeamte sammeln die gefundenen Körperteile ein. Chris Wohlfeld Lizenz

Thale/MZ. - Die Aussicht ist wunderschön. Weit schweift das Auge von der „Prinzensicht“ über das Bodetal, über Eichen und Felsen. Unten, fast 200 Meter tiefer, rauscht die Bode. War das das Letzte, das der Mann im Herbst 2013 gesehen und gehört hat? Ist er dann gesprungen? Ist er gestoßen worden?

Niemand weiß es, vielleicht wird es nie geklärt werden. Fakt ist: Ein Unfall ist unwahrscheinlich. Um vom Aussichtpunkt „Prinzensicht“ - nicht weit entfernt vom bekannten Hexentanzplatz in Thale - zu stürzen, muss man zunächst das Geländer übersteigen, und auch dann ist es noch ein Stück bis zum Felsrand.

„Da kann man nicht einfach so runterfallen“, sagt der SEK-Beamte, der sich mit seinem Team von dort aus abgeseilt und die Leiche in gut 100 Metern Tiefe gefunden hat.
Nachdem Polizei, Bergwacht und Feuerwehr mit Hunden, Hubschrauber und der Unterstützung durch einen Revierförster seit dem 3. März vergeblich nach dem Körper gesucht haben, der zu einem von Hamburger Wanderern entdeckten Unterarm gehört, geht alles ganz schnell: Gegen 10 Uhr seilen sich die vier SEK-Männer aus Magdeburg von der „Prinzensicht“ ab, schon gegen 12 Uhr sind sie erfolgreich. Sie finden, auf einer Fläche von vielleicht 20 mal 100 Metern verstreut, Leichenteile, Anorak, Jeans und braune Herren-Turnschuhe. Von hier sind es nur 100 Meter Luftlinie bis zu jenem Punkt, zu dem vor knapp drei Wochen vermutlich ein Tier den Unterarm gezerrt hat.

Nah am Wanderweg

Und der grausige Fund ist auch nur etwa 60 Meter von einem der beliebtesten und meistgenutzten Wanderwege Deutschlands entfernt, dem Harzer Hexenstieg. Warum bisher trotzdem niemand auf die Körperteile stieß, ist schnell klar, wenn man sieht, wie Untersuchungsführer Norbert Sprotte zu dem Fundort kommt: Mit Unterstützung eines SEK-Mannes zieht er sich mühsam an einem Seil in das Geröllfeld hinauf.

Normalerweise seilen sich die Spezialeinsatzkräfte der Polizei aus Magdeburg von Hochhäusern ab und springen dann schon einmal filmreif durch ein Fenster. „Aber im Fels klettern können wir auch“, sagt einer von ihnen. „Anspruchsvoll ist dieser Einsatz nur, weil überall Bewuchs ist.“ Da müsse man darauf achten, dass sich das Seil nirgends verfängt.

Während das SEK das Fundgebiet absichert, trifft um 13.40 Uhr der Kriminaldauerdienst aus Halberstadt ein. Auch die Männer um Spurensucher Andreas Lehmann - Weste, Zopf und schwarze Kappe auf dem Kopf - ziehen sich mühsam durchs Geröll nach oben. Dort fotografieren sie die Fundstelle, sammeln dann die mumifizierten Leichenteile, Knochen und Kleidungsstücke ein und verpacken sie in zwei blauen Plastiksäcken. Später werden die Beutel von einem Bestattungsunternehmen mit einer speziellen Bahre abgeholt und über den felsigen Hexenstieg getragen.

„Für uns ist wichtig, dass wir endlich die restlichen Teile zu dem Arm gefunden haben. Es ist nicht so schön, wenn das hier im Wald herumliegt“, sagt Norbert Sprotte. „Den Rest muss jetzt die Gerichtsmedizin klären. Wir hoffen, dass wir von allen Leichenteilen nur eine DNA bekommen.“ Dann könnte es sich um einen der drei vermissten Männer handeln, die in der Nähe verschwunden sind. Drei Monate könnte der Tote hier gelegen haben, sagt Sprotte. Die Polizei hat dabei zwei Sachsen-Anhalter sowie einen Berliner, der zum letzten Mal in Niedersachsen gesehen wurde, auf ihrer Liste. Eine Mitte Januar in Quedlinburg verschwundene 76 Jahre alte Frau sowie ein seit 2003 vermisster 70-jähriger Mann aus dem niedersächsischen Hahnenklee scheiden nach den Ermittlungsergebnissen der Gerichtsmedizin dagegen aus - männliche DNA und keine Übereinstimmung mit der Tochter des Rentners.

Nichts wird ausgeschlossen

Das Polizeirevier Harz, sagt Sprecher Peter Pogunke, betreibe jetzt ein sogenanntes Todesursachenermittlungsverfahren. Unfall, Suizid und Verbrechen - nichts davon könne derzeit mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Die für den Fall zuständige Oberstaatsanwältin Eva Vogel gibt sich bedeckt. Bis auf einen Dreizeiler zu der SEK-Suche per Mail am Nachmittag gibt es von ihr keine Informationen.
Nachdem die Aktion am Hexenstieg beendet ist, findet einer der Kriminaltechniker direkt neben dem Weg noch einen Rippenbogen. „Helle Knochen in hellem Laub“, sagt Norbert Sprotte, „sind nicht leicht zu sehen.“

Fundort der Leiche
Fundort der Leiche
MZ/VOLLMER Lizenz
Eine Rippe lag 2014 im Bodetal unterhalb des Wanderwegs.
Eine Rippe lag 2014 im Bodetal unterhalb des Wanderwegs.
Chris Wohlfeld Lizenz
Beamte der Polizei und der Förster des zuständigen Reviers besprechen sich bei einer Suchaktion im Revier Dambachhaus in der vergangenen Woche.
Beamte der Polizei und der Förster des zuständigen Reviers besprechen sich bei einer Suchaktion im Revier Dambachhaus in der vergangenen Woche.
Chris Wohlfeld/Archiv Lizenz