1. MZ.de
  2. >
  3. Sport
  4. >
  5. Fußball
  6. >
  7. Halle: DFB-Präsident im Interview: „Pyrotechnik ist gefährlich“

DFB-Präsident im Interview Mit Video: „Pyrotechnik ist gefährlich“ - DFB-Präsident in Halle zu Besuch

Millionen-Strafen für Vereine, das Abbrennen von Pyrotechnik hat zugenommen: DFB-Präsident Bernd Neuendorf über Risiken im Stadion, die Freude auf die EM und die große Aufgabe, den Verband nach Skandalen und Millionen-Loch zu stabilisieren.

Von Fabian Wölfling und Kai Gauselmann Aktualisiert: 08.05.2024, 14:50
Beim Spiel Hamburger SV gegen St. Pauli hat Pyrotechnik die Choreo der Fans entzündet - die Feuerwehr musste anrücken.
Beim Spiel Hamburger SV gegen St. Pauli hat Pyrotechnik die Choreo der Fans entzündet - die Feuerwehr musste anrücken. (Foto: IMAGO/Lobeca)

Halle/MZ. - Rote Zahlen, Skandale und eine Nationalmannschaft, die keine Erfolge mehr feierte. Als Bernd Neuendorf 2022 zum Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes gewählt wurde, steckte der größte nationale Sportverband der Welt in der Krise. Rund zwei Jahre später gibt es vor der Heim-Europameisterschaft (14. Juni bis 14. Juli) Zeichen der Besserung, viele Herausforderungen sind aber geblieben.

Mit der MZ sprach Neuendorf über seine Hoffnungen für die EM, die finanzielle Sanierung des Verbandes, die geringe Zahl von Ostfußballern in der Nationalmannschaft und das Streitthema Pyrotechnik.

 
Drei fragen an DFB-Präsident Bernd Neuendorf in Halle. (Reporter: Fabian Wölfling, Kamera: Anna Lena Giesert)

Herr Neuendorf, Rudi Völler hat als Sportchef verlängert, Bundestrainer Julian Nagelsmann bleibt lieber beim DFB, als zu den Bayern zurückzugehen. War es schon lange nicht mehr so angenehm, DFB-Präsident zu sein?

Bernd Neuendorf: Ja, im Moment haben wir eine gewisse Stabilität, insbesondere auch was das Sportliche angeht. Die Siege gegen Frankreich und die Niederlande haben uns sehr geholfen, dazu kommen die klaren Bekenntnisse von Rudi Völler und Julian Nagelsmann zum DFB. Das bringt Ruhe in den Verband und die Mannschaft. Vor so einem wichtigen Turnier wie der Heim-EM ist es essenziell, dass wir keine Störfaktoren haben.

Er musste einen angeschlagenen Verband stabilisieren: DFB-Präsident Bernd Neuendorf im MZ-Gespräch.
Er musste einen angeschlagenen Verband stabilisieren: DFB-Präsident Bernd Neuendorf im MZ-Gespräch.
(Foto: Andreas Stedtler)

Ist das auch eine Lehre aus dem Fiasko um die „One-Love-Binde“, dass Ruhe und Stabilität wichtig für den sportlichen Erfolg sind?

Wir haben definitiv gelernt, dass es nicht gut ist, derartige Debatten in ein großes Turnier hineinzutragen. Solche Fragen müssen vorher geklärt werden, damit der Fokus auf das Sportliche gerichtet werden kann.

Im Test gegen den Oman hat Manuel Neuer die "One-love"-Binde noch getragen. Bei der WM in Katar gab es eine hitzige Debatte in Deutschland, ob die Nationalelf sich dem Kurs der Fifa beugen und auf das Sysmbol für Toleranz verzichten sollte.
Im Test gegen den Oman hat Manuel Neuer die "One-love"-Binde noch getragen. Bei der WM in Katar gab es eine hitzige Debatte in Deutschland, ob die Nationalelf sich dem Kurs der Fifa beugen und auf das Sysmbol für Toleranz verzichten sollte.
(Foto: IMAGO/Ulmer/Teamfoto)

Als Ziel bei der Heim-EM haben Sie das Finale genannt. Bei den vergangenen drei Turnieren ist das Nationalteam frühzeitig gescheitert. Wäre da nicht mehr Bescheidenheit angebracht?

Jede Mannschaft, die zur EM nach Deutschland anreist, will das Maximale erreichen, und das ist das Finale. Wir treten im eigenen Land nicht an, um nur die Vorrunde zu überstehen. Wir wollen möglichst weit kommen. Dennoch ist eine gewisse Demut angebracht. Wir haben in den letzten Turnieren sicher enttäuscht. Aber wir können selbstbewusst sein. Wir haben herausragende Spieler und ein tolles Trainerteam, dazu kommt die große Unterstützung unserer Fans beim Turnier im eigenen Land.

Lesen Sie auch: Wie sicher wird die Fußball-EM?

"Wir haben herausragende Spieler und ein tolles Trainerteam": Neuendorf mit Nationaltrainer Julian Nagelsmann und Sportdirektor Rudi Völler (v.l.n.r.)
"Wir haben herausragende Spieler und ein tolles Trainerteam": Neuendorf mit Nationaltrainer Julian Nagelsmann und Sportdirektor Rudi Völler (v.l.n.r.)
(Foto: IMAGO/Jan Huebner)

Noch gibt es keine sichtbare EM-Euphorie. Was braucht es für ein Sommermärchen 2.0?

Wir merken, dass die Euphorie nach den zwei siegreichen Länderspielen zugenommen hat, die Menschen freuen sich auf die EM. Wir haben eine enorme Nachfrage nach Tickets, mehr als zwei Millionen für das Finale, für das Eröffnungsspiel 1,7 Millionen. Alle Karten, die den Gastverbänden angeboten worden sind, sind auch vergriffen. Insgesamt rechnen wir mit zehn bis zwölf Millionen Menschen, die ins Land kommen, mit oder ohne Ticket. Für die finalen Länderspiele vor Beginn der EM in Nürnberg und Mönchengladbach gab es schon nach wenigen Tagen nur noch Resttickets, die EM-Trikots sind Verkaufsschlager. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Euro ein Fest des Fußballs wird.

Lesen Sie auch: Jubeln nur im kleinen Kreis: Warum Dessau-Roßlau zur Fußball-EM kein Public Viewing anbietet

Das Sommermärchen: 2006 herrschte in Deutschland zur Fußball-WM eine riesige Euphorie.
Das Sommermärchen: 2006 herrschte in Deutschland zur Fußball-WM eine riesige Euphorie.
(Foto: Marcel Mettelsiefen/dpa)

2027 könnte es gemeinsam mit den Niederlanden und Belgien mit der Frauen-WM das nächste Großereignis geben. Mit Brasilien gibt es nur einen Konkurrenten. Wie sind die Chancen?

Ich glaube, wir haben ein sehr überzeugendes Konzept mit sehr guten Arenen von Amsterdam über Anderlecht oder Dortmund. Es wäre eine sehr kompakte, nachhaltige WM. Die längste Entfernung zwischen den Spielorten beträgt 300 Kilometer, obwohl das Turnier in drei Ländern stattfindet. Wir trommeln seit Monaten auch auf internationalem Parkett für diese Bewerbung, vor allem bei den afrikanischen und asiatischen Verbänden, weil die keine eigenen Bewerber mehr im Rennen haben. Aber Brasilien ist sicher ein starker Konkurrent, eine Frauen-WM in Südamerika hat es noch nie gegeben. Wie das Pendel ausschlägt, wird man sehen. Wir werden bis zum Schluss kämpfen.

Lesen Sie auch: Was Leipzig für die Fußball-EM plant

Der DFB-Campus in Frankfurt (Main) hat 180 Millionen Euro gekostet. Ursprünglich sollte er 100 Millionen kosten.
Der DFB-Campus in Frankfurt (Main) hat 180 Millionen Euro gekostet. Ursprünglich sollte er 100 Millionen kosten.
(Foto: IMAGO/Arnulf Hettrich)

Neben den sportlichen Herausforderungen gibt es die finanziellen. Die monetäre Lage des DFB ist kritisch. Wie oft haben sie deshalb den überdimensionierten Campus in Frankfurt bereits verflucht?

Als wir beim DFB angetreten sind, hatten wir ein strukturelles Defizit in Höhe von 19,5 Millionen Euro pro Jahr zu verzeichnen. Das war eine echte Hausnummer. Die Gründe hierfür sind vielschichtig: Wir sind finanziell ein Stück weit abhängig von den Erfolgen der A-Nationalmannschaft der Männer. Wir waren als DFB verwöhnt, weil dieses Team über Jahre hinweg bei großen Turnieren immer sehr erfolgreich war. Das war zuletzt nicht mehr der Fall. Argentinien hat für den WM-Titel in Katar eine Prämie in Höhe von 42 Millionen US-Dollar erhalten. Wir sind in der Vorrunde ausgeschieden. Wir haben – zweitens – mit Altlasten zu kämpfen, mussten 51 Millionen Euro wegen der Aberkennung der Gemeinnützigkeit für die Jahre 2006, 2014 und 2015 an das Finanzamt überweisen. Und ja, der neue DFB-Campus ist teurer als das alte Gebäude, man würde ihn heute auch so nicht mehr bauen. Aber er ist und bleibt ein eindrucksvolles Gebäude, eine Investition in die Zukunft. Übrigens: Trotz all dieser Herausforderungen ist es gelungen, für das Jahr 2024 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. In vielen Bereichen ist abgespeckt worden – aber nicht zu Lasten des Fußballs an der Basis. Das war uns bei allen Anstrengungen sehr wichtig.

Trainer Nagelsmann mit einem neuen DFB-Trikot: Noch ist Adidas Sponsor der Nationalmannschaft, bald soll die US-Firma Nike übernehmen.
Trainer Nagelsmann mit einem neuen DFB-Trikot: Noch ist Adidas Sponsor der Nationalmannschaft, bald soll die US-Firma Nike übernehmen.
(Foto: Boris Roessler/dpa)

Welche Rolle spielt der Deal mit Nike auf dem Weg zur finanziellen Gesundung? Der Wechsel weg von Adidas hat für viel Aufregung gesorgt.

Uns war schon bewusst, dass das eine gravierende Entscheidung ist, nach so langer, erfolgreicher und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit Adidas. Ich weiß, dass viele Fans mit dieser Partnerschaft sehr viele Erinnerungen und Emotionen verbinden. Ich übrigens auch: Meine ersten Fußballschuhe waren von Adidas. Sie waren mein ganzer Stolz. Und dennoch: Die Vorwürfe aus der Politik, wir hätten unpatriotisch gehandelt, haben mich geärgert. Wir sind ein gemeinnütziger Verband und vertreten die Interessen unserer Mitglieder. Bei der Differenz, die im Raum stand, hatten wir gar keine andere Möglichkeit, als uns für Nike zu entscheiden. Das haben unsere Gremien einhellig so gesehen. Der Vertrag läuft von 2027 an über acht Jahre und bringt uns damit für fast eine Dekade finanzielle Planungssicherheit zu Gunsten des Fußballs in Deutschland, von der Basis bis zur Spitze.

Historisch: Franz Beckenbauer (BRD, li.) und Bernd Bransch aus Halle vor dem Spiel bei der WM am 22. Juni 1974. Die DDR-Elf schlug den späteren Weltmeister BRD sensationell 1:0. Das Siegtor erzielte der Magdeburger Jürgen Sparwasser.
Historisch: Franz Beckenbauer (BRD, li.) und Bernd Bransch aus Halle vor dem Spiel bei der WM am 22. Juni 1974. Die DDR-Elf schlug den späteren Weltmeister BRD sensationell 1:0. Das Siegtor erzielte der Magdeburger Jürgen Sparwasser.
(Foto: dpa)

Wissen Sie, was Sie am 22. Juni 1974 gemacht haben?

(überlegt) Ich weiß, dass das gut zwei Wochen vor dem WM-Finale war. Helfen Sie mir auf die Sprünge.

Damals haben BRD und DDR bei der WM 1974 gegeneinander gespielt.

Ah, stimmt. Ich habe das verfolgt, natürlich. Ich war zwölf Jahre alt. Dass es etwas Besonderes ist, dass zwei deutsche Mannschaften gegeneinander spielen, war mir bewusst, aber die politische Bedeutung, die dieses Spiel hatte, habe ich in diesem Alter natürlich nicht erfassen können. Ich habe für die westdeutsche Mannschaft gehalten, kannte alle Spieler. Nach dem Spiel kannte ich aber auch Jürgen Sparwasser. Ich weiß auch noch genau, wie das Tor fiel. Das war ein heftiger Schlag für die westdeutsche Mannschaft.

Im Osten gibt es nur wenige Spitzen-Klubs, hier spielten zwei gegeneinander: Der RB-Fanblock in der Alten Försterei bei Union Berlin
Im Osten gibt es nur wenige Spitzen-Klubs, hier spielten zwei gegeneinander: Der RB-Fanblock in der Alten Försterei bei Union Berlin
(Foto: IMAGO/Picture Point LE)

Mit Toni Kroos, Maximilian Beier oder Robert Andrich gibt es heute nur noch wenige Nationalspieler mit Wurzeln in Ostdeutschland. Woran liegt das?

Wir haben in Ostdeutschland leider bis auf Union Berlin und RB Leipzig keine Vereine mehr, die in der Bundesliga spielen. Durch die höhere Dichte der Klubs im Westen der Republik gibt es dort vermutlich auch eine höhere Talentdichte. Das heißt aber nicht, dass sich in den neuen Ländern keine Talente entwickeln. Auch hier gibt es Vereine, die eine großartige Jugendarbeit leisten, die Ausbildung ist nicht schlechter. Und als DFB haben wir ein Talentförderprogramm, das sich wie ein Netz über die gesamte Republik zieht, die Förderung ist qualitativ im ganzen Land identisch.

Bei einem Teil des Talentförderprogramms spart der DFB aber ein, hat etwa die Zahl der Stützpunkte in Sachsen-Anhalt von 20 auf acht reduziert. Warum?

Wenn Menschen aus Regionen wegziehen, Mannschaften zusammengelegt werden müssen, damit sie genügend Spielerinnen oder Spieler haben, dann stellt sich zwangsweise irgendwann die Frage der Sinnhaftigkeit eines Stützpunktes. Wir als DFB müssen schauen, ob es sich lohnt, einen Stützpunkt in einem dünn besiedelten Gebiet aufrechtzuerhalten oder ob Talente auf andere Stützpunkte verteilt und dort gefördert werden können. Das kann alle Regionen in Deutschland betreffen.

Sie haben Union und Leipzig angesprochen, in der zweiten Liga spielen mit Magdeburg und Rostock auch nur zwei Ostklubs. Ist die Wiedervereinigung im Fußball gescheitert?

Ich würde mehr als drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung daraus wirklich kein Ost-West-Thema machen. In der Regionalliga West, also in der Region, wo ich beheimatet bin, spielen zahlreiche Traditionsvereine und ehemalige Bundesligisten, Aachen, Oberhausen, Wuppertal, Fortuna Köln, dazu kommen frühere Zweitligisten wie Ahlen und Gütersloh. Auch in der dritten Liga gibt es viele Vereine, die jahrelang Bundesliga gespielt haben. Dass traditionsreiche Mannschaften sportlich in Schwierigkeiten geraten können, ist nichts spezifisch Ostdeutsches. Es ist übrigens auch nicht nur eine Geldfrage, nach dem Motto: Im Westen werden die Klubs von großen Konzernen gesponsert und sind daher per se im Vorteil. Klubs wie Heidenheim oder Darmstadt haben nicht das große Geld hinter sich, haben es aber mit guten Entscheidern im Verein und einer klugen Einkaufspolitik nach ganz oben im Profifußball geschafft. Ich glaube, dass in vielen Städten im Osten die infrastrukturellen Voraussetzungen für den Profifußball sehr gut sind. Dresden, Halle, Chemnitz oder Aue – um nur einige Beispiele zu nennen –, deren Stadien hier sind alle top, die Vereine haben ein enormes Fanpotenzial. Darauf lässt sich aufbauen.

Ein ewiges Streitthema sind die Pyro-Strafen für Vereine. Bisher haben diese Sanktionen keine Veränderung gebracht, es wird weitergezündelt. Wird es nicht Zeit für eine neue Strategie?

Zunächst einmal: Pyrotechnik ist gefährlich und deshalb verboten. Daher muss es auch Sanktionen geben. Denn mit der steigenden Zahl pyrotechnischer Vorfälle geht nun mal auch eine höhere Gefahr für Verletzungen und Verbrennungen vor allem für Zuschauer – darunter zahlreiche Kinder und Jugendliche – sowie Spieler und Schiedsrichter einher. Ein sicheres Stadionerlebnis für alle zu gewährleisten, ist unsere Verantwortung. Wir haben beim DFB nun eine Arbeitsgruppe Stadionsicherheit eingerichtet, weil das Abbrennen von Pyrotechnik nach der Corona-Pandemie noch einmal zugenommen hat, die Strafzahlungen deutlich nach oben gegangen sind. Wegen gewalttätigen Vorkommnissen im Stadion und Vorfällen aus dem Zuschauerbereich – neben Pyro zählen beispielsweise auch beleidigende und diskriminierende Banner oder auch Flitzer dazu – wurden in der Spielzeit 2022/23 durch das Sportgericht des DFB Geldstrafen in Höhe von rund 7,3 Millionen Euro verhängt, wovon rund 2,3 Millionen Euro bei den jeweiligen Klubs verblieben sind zur Investition in sicherheitstechnische oder gewaltpräventive Maßnahmen. Zum Vergleich: In der Saison 2018/19 – der letzten vollständigen Spielzeit vor der Corona-Pandemie – summierten sich die Geldstrafen noch auf rund 3,2 Millionen Euro. Ziel ist es, dass wir bis Ende des Jahres zu Ergebnissen kommen.

Was halten Sie von der Forderung, Pyrotechnik in bestimmten Bereichen kontrolliert abbrennen zu dürfen?

Auch hierüber wird in der Arbeitsgruppe sicher diskutiert.