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Energiewende Firmen klagen über Stromausfälle: Wie sicher ist das Netz in Sachsen-Anhalt?

In einer IHK-Umfrage beklagen bundesweit Unternehmen mehr Störungen und Abschaltungen. Die großen Energieversorger im südlichen Sachsen-Anhalt verweisen dagegen auf sinkende Ausfälle.

Von Steffen Höhne 27.04.2024, 10:00
Solche Hinweise müssen Geschäfte in Sachsen-Anhalt nur sehr selten schreiben.
Solche Hinweise müssen Geschäfte in Sachsen-Anhalt nur sehr selten schreiben. Foto: Paul Zinken/dpa

Halle/MZ. - Der Ausbau der erneuerbaren Energien bringt die Stromnetze in Sachsen-Anhalt immer öfter an ihre Leistungsgrenze. „Die Stabilität und Sicherheit des Netzes ist aber uneingeschränkt gewährleistet“, sagt Dirk Sattur, technischer Geschäftsführer von Mitnetz Strom, dem größten Stromnetzbetreiber im südlichen Sachsen-Anhalt. Er verweist darauf, dass Stromausfälle infolge von Störungen im Netz in den vergangenen Jahren sogar gesunken seien. Das würden auch Zahlen der Bundesnetzagentur belegen. Rechnerisch war jeder Haushalt in Sachsen-Anhalt 2022 rund 16 Minuten ohne Strom. Zahlen für 2023 liegen noch nicht vor (siehe Grafik).

Mehr Notabschaltungen vorgenommen

Auch die Energieversorgung Halle (EVH) teilte auf MZ-Anfrage mit, dass in den Jahren 2022 und 2023 das Störgeschehen auf einem ähnlichen Niveau wie in den Vorjahren lag. „Die steigende Einspeisung aus erneuerbaren Quellen – in Halle vorrangig Photovoltaik – oder auch die zusätzliche Belastung durch Ladeeinrichtungen für Elektromobilität in der Stadt Halle verursachten keinen Anstieg der Störungshäufigkeit oder Störungsdauer“, teilte eine Firmensprecherin mit.

Die Versorger widersprechen damit Äußerungen von Thomas Brockmeier, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Halle-Dessau, der in einer Mitteilung erklärt, dass „die Stromversorgungssicherheit in Deutschland entgegen allen Bekundungen der Politik abnimmt“. Brockmeier mahnt: „Das ist besorgniserregend – vor allem, wenn ich an die vielen stromintensiven Unternehmen im Süden Sachsen-Anhalts denke.“

Grafik Stromausfälle in Sachsen-Anhalt
Grafik Stromausfälle in Sachsen-Anhalt
Grafik: Tobias Büttner

Seine Aussagen beziehen sich auf eine bundesweite Umfrage der IHK-Organisation. Immer mehr Unternehmen berichten demnach von Problemen: „So waren im vergangenen Jahr mehr als 40 Prozent von kurzen Stromausfällen betroffen – mehr als ein Viertel der teilnehmenden Betriebe beklagte Ausfallzeiten von mehr als drei Minuten“, heißt es. „Für manche Unternehmen mit insoweit besonders sensiblen Produktionsprozessen stellen bereits Stromausfälle oder auch zu starke Schwankungen von nur wenigen Sekunden oder gar Millisekunden Dauer erhebliche Risiken dar“, kommentiert Brockmeier. Auf MZ-Anfrage, welche Firmen in Sachsen-Anhalt, davon konkret betroffen sind, konnte die IHK jedoch keine Beispiele nennen.

„Wenn es betroffene Unternehmen in unserem Netzgebiet gibt, die Spannungsprobleme feststellen, dann sollen sie sich bitte bei uns melden“, sagt Sattur. Er erklärt, dass es im Mitnetz-Gebiet auch keine „starken Schwankungen bei Spannung und Frequenz gibt“. Der Geschäftsführer betont aber gleichzeitig, dass die Komplexität des Systems steige und Maßnahmen zur Netzbildung zukünftig erforderlich seien. Auch dafür wird aktiv an der Roadmap Systemstabilität gearbeitet, die erst vor wenigen Wochen durch das Bundeswirtschaftsministerium vorgestellt wurde.

Betroffene Firmen sollen sich bei mir bitte melden.

Dirk Sattur, technischer Geschäftsführer von Mitnetz Strom

Energieexperte Dominik Möst von der Technischen Universität (TU) Dresden sagt: „Der Aufwand, die Netze stabil zu halten, steigt, was sich an den massiv gestiegenen Engpassmanagementkosten zeigt.“ Konventionelle Kohle- und Gaskraftwerke würden in der Regel nicht mit voller Kraft laufen. „Sie können Nachfrageschwankungen beim Stromverbrauch gut ausgleichen“, erläutert Möst. Zudem hätten die Generatoren in den Kraftwerken große Schwungmassen, die kurzfristige Schwankungen ausgleichen. Bei Solar- oder Windparks sei das anders, die produzieren Strom oder nicht – je nach Witterung. Das Stromnetz weist eine Frequenz von 50 Hertz auf. Geraten Nachfrage und Angebot aus dem Gleichgewicht, steigt oder sinkt die Frequenz. Leichte Schwankungen sind auch normal.

„Es ist unser Job, das zu regeln“, so Sattur. Unter anderem der Bau neuer Umspannwerke helfe dabei, Frequenzschwankungen zu beseitigen. Sattur kündigte zuletzt an, dass Mitnetz in diesem Jahr die Rekordsumme von 426 Millionen Euro in den Netzausbau investiert.

Die Stromversorgungssicherheit in Deutschland nimmt ab.

Thomas Brockmeier, Hauptgeschäftsführer der IHK Halle-Dessauz

Derzeit kämpft Mitnetz damit, dass zu viel Ökostrom in seinem Gebiet erzeugt wird. Der Netzbetreiber musste 2023 deutlich öfter ins Stromnetz eingreifen, um eine Überlastung zu vermeiden. Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben 1.100 Mal eine Notabschaltung von Windkraft- und Solaranlagen vorgenommen. Im Vorjahr waren es mit 576 Eingriffen nur halb so viele.

Die Zahl der Notabschaltungen von Windkraft- und Solaranlagen hat 2023 deutlich zugenommen. Nur so konnten Netzüberlastungen verhindert werden.
Die Zahl der Notabschaltungen von Windkraft- und Solaranlagen hat 2023 deutlich zugenommen. Nur so konnten Netzüberlastungen verhindert werden.
Büttner

Bei sogenannten Redispatchmaßnahmen verzeichnet Mitnetz ein Volumen von rund 400 Gigawattstunden (GWh) im Jahr 2023 (2022: rund 300 GWh). Dies entspricht etwa 25 Prozent des jährlichen Energiebedarfs einer Stadt wie Halle.

Netzausbau kostet viel Geld

In dem Sinn hat IHK-Hauptgeschäftsführer Brockmeier recht, dass die Stabilität des Stromnetzes immer öfter gefährdet ist. Dass es aktuell aber zu kurzen oder längeren Stromausfällen kommt, dafür fehlen zumindest für die Gebiete bei Mitnetz und EVH Belege.

Das hallesche Unternehmen Sonotec, das zu den Weltmarktführern im Bereich der Ultraschalltechnik gehört, betreibt ein Prüflabor mit sensibler Technik. „Wir haben aktuell keine Probleme mit Stromausfällen oder Frequenzstörungen“, so Firmengründer Hans-Joachim Münch. In vielen Apparaturen gebe es zudem Schutzeinrichtungen für solche Fälle.

Der milliardenteure Ausbau der Stromnetze führt zu steigenden Netzentgelten. Bereits heute entfällt ein Viertel des Strompreises, den die Verbraucher zahlen, auf Netzentgelte. Hinzu kommen in Zukunft Batteriespeicher und Reservekraftwerke. Wirtschaftsweise Veronika Grimm von der TU Nürnberg (Bayern) rechnet daher nicht mit sinkenden Strompreisen, auch wenn Solar- und Windkraftanlagen preiswert Strom erzeugen.