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Goethe-Schiller-Archiv Weimar Goethe-Schiller-Archiv Weimar: Aus der Denkerwerkstatt

Von kai agthe 23.09.2014, 07:43
Nietzsche war Besitzer einer der ersten Schreibmaschinen: Das Gerät von Malling-Hansen erfüllte die in sie gesetzte Erwartung aber nicht.
Nietzsche war Besitzer einer der ersten Schreibmaschinen: Das Gerät von Malling-Hansen erfüllte die in sie gesetzte Erwartung aber nicht. dpa Lizenz

weimar - Im Goethe-Schiller-Archiv sollte der Besucher, bevor Nietzsches Nachlass die Aufmerksamkeit auf sich zieht, auf halber Treppe stehen bleiben: Dort thront eine Nietzsche-Büste. Die ist von Siegfried Schellbach (1866-1951) und selten zu sehen seit der Zeit, als mit Elisabeth Förster-Nietzsche die Schwester des Philosophen den Stab über Schellbachs Arbeit brach. Der Grund: Der Nietzsche, den der Künstler erkennbar lebensnah modellierte, war Elisabeth zu wenig heroisch. Deshalb wurde Schellbachs Arbeit ins Depot verbannt - bis heute. Sehr zu Unrecht, wie man feststellen kann, sobald Gelegenheit besteht, diesem Nietzsche ins Angesicht zu blicken.

Kein Übermensch

Auch wenn die Autoren des schmalen Katalogs der Meinung sind, dass es qualitätsvollere Büsten des Denkers gebe, spricht für das im Jahr 1895 entstandene Werk gerade jener Umstand, der Elisabeth bewog, es unter Verschluss zu halten: Schellbachs Nietzsche ist kein weltentrückter Visionär wie Max Klinger ihn wenige Jahre darauf für das Nietzsche-Archiv aus Marmor schlug, sondern ein erkennbar diesseitiger Mann mit weicher Physiognomie, der nichts von einem Übermenschen hat.

Schellbachs Nietzsche-Porträt ist so gut positioniert, dass - wenn man sich davor stellt und schräg nach oben schaut - die Büsten von Goethe und Schiller je links und rechts hinter den Säulen hervor den Denker zu beobachten scheinen, und zwar skeptisch. Dazu besteht aber kein Anlass, weil Nietzsche Goethe verehrt und Schiller auch dann geschätzt hat, wenn er ihn den „Moraltrompeter von Säckingen“ nannte.

Von Nietzsches Hand

Mag es sich bei der Schau „Nietzsches Nachlass“ auch um eine Kabinettausstellung handeln, so fasziniert sie dank der zahlreichen Originale von Nietzsches Hand, die in dieser Auswahl erstmals öffentlich zu sehen sind: Arbeitshefte und Druckmanuskripte seiner Werke, Briefe und Postkarten sowie Originalfotos, die den Philosophen in verschiedenen Lebensaltern zeigen, machen die Schau zu etwas Besonderem – vor allem, aber nicht nur für jene, die ihren Nietzsche gelesen haben.

Die Kuratoren der Schau griffen nicht wahllos in den Nachlass, sondern folgten zentralen Punkten in Nietzsches Denken. Deshalb ist das großformatige und dickleibige Arbeitsheft, in dem er erstmals den Gedanken der „ewigen Wiederkunft“ formulierte, ebenso zu sehen wie ein Notizbuch von 1885 mit Ausführungen über Richard Wagner, die später in den nachgelassenen Fragmenten veröffentlicht wurden. Gleich mehrere Schreibhefte geben darüber Aufschluss, wie lange Nietzsche an der sprachlichen Gestalt jenes Aphorismus’ feilte, der als Nummer 294 im Buch „Menschliches, Allzumenschliches“ steht.

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Eine Vorstufe desselben notierte er in ein Arbeitsheft, das eigentlich ein Kalender für 1876 ist, den Nietzsche zu Weihnachten 1875 von Mutter und Schwester geschenkt bekommen hatte. In der Fassung letzter Hand lautet der Aphorismus: „Kopien. – Nicht selten begegnet man Kopien bedeutender Menschen; und den Meisten gefallen, wie bei Gemälden, so auch hier, die Kopien besser als die Originale.“

Dass Nietzsches Nachlass nahezu vollständig überliefert ist, verdanken wir seiner Schwester Elisabeth, die 1895 in Naumburg das Nietzsche-Archiv gründete und mit diesem später nach Weimar übersiedelte. Dass sich die „stadtbekannte Schwester des weltberühmten Philosophen“, wie man in der Klassikerstadt unkte, nicht enthielt, Fälschungen am Nachlass ihres Bruders vorzunehmen, steht auf einem anderen Blatt - und zwar buchstäblich.

Ein beredtes Beispiel dafür ist ein Brief, den Nietzsche seinerzeit an Malwida von Meysenbug richtete. Den gab Elisabeth nach dem Tod des Bruders kurzerhand als an sich gerichtet aus. Um von ihren Archivmitarbeitern nicht der Lüge überführt zu werden, brannte sie kurzerhand den Kopf des Schreibens ab.

Die dänische Schreibkugel

Ihr Bruder war auch einer der ersten Besitzer einer Schreibmaschine. Die „Schreibkugel“ des Dänen Rasmus Malling-Hansen bestellte Nietzsche bei ihrem Erfinder in Kopenhagen und in der Hoffnung, dass das teure Gerät ihm das Schreiben erleichtern möge. Doch die Maschine war, so Nietzsche, „delikat wie ein kleiner Hund und macht viel Not“. Soll heißen: Sie war nicht ausgereift, hakte und klemmte und wurde von ihrem Besitzer bald ausrangiert. Der machte sich seinen eigenen Reim darauf: „Schreibkugel ist ein Ding gleich mir von Eisen / und doch leicht zu verdrehn, zumal auf Reisen“. Diesen Zweizeiler schrieb er - natürlich - auf besagter Maschine.

Ohne technische Unterstützung entstanden Nietzsches letzte Briefe: In der neunten von 16 Vitrinen-Fächern ist eines jener berühmten Schreiben ausgelegt, die er verfasste, nachdem er Anfang 1889 in Turin in geistige Umnachtung gefallen war. Dieser in Kinderschrift aufgesetzte „Wahnsinnszettel“, wie diese späten Schriftstücke heißen, ist an den damaligen italienischen König Umberto gerichtet und lautet: „Meinem geliebten Sohn Umberto / Mein Friede sei mit dir! Ich komme Dienstag nach Rom und will dich neben seiner Heiligkeit dem Papst sehn. / Der Gekreuzigte.“ (mz)

Bis 18. Dezember, Mo-Fr 10-18 Uhr, Sa und So 11-16 Uhr. Der Katalog kostet 12,90 Euro.

Eine Seite aus einem Arbeitsheft zur „ewigen Wiederkunft“ (1888)
Eine Seite aus einem Arbeitsheft zur „ewigen Wiederkunft“ (1888)
klassik Stiftung Weimar Lizenz
Büste von Siegfried Schellbach (1895)
Büste von Siegfried Schellbach (1895)
Klassik Stiftung Weimar Lizenz