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Medienklasse24 Ein Meter Weltansicht: Rollstuhlprojekt macht Schule in Jessen

Achtklässler der Sekundarschule Nord in Jessen lernen beim Projekt „Rollstuhlsport macht Schule“, dass ein Leben auf Rädern herausfordernd und sportlich aktiv sein kann.

Von Annette Schmidt 01.05.2024, 17:00
Rollstuhlprojekt in der Sekundarschule Jessen Nord, 30 Schüler aus der Klassenstufe 8 erleben die Welt aus der Perspektive   eines Rollstuhlfahrers. Eine  kleine Kante kann schnell zum Hindernis werden und zu Stau führen.
Rollstuhlprojekt in der Sekundarschule Jessen Nord, 30 Schüler aus der Klassenstufe 8 erleben die Welt aus der Perspektive eines Rollstuhlfahrers. Eine kleine Kante kann schnell zum Hindernis werden und zu Stau führen. (Foto: Annette Schmidt)

Jessen/MZ. - 30 Achtklässler der Sekundarschule Nord in Jessen wechseln für anderthalb Stunden die Perspektive und erfahren, wie die Welt aus knapp einem Meter Höhe für einen Rollstuhlfahrer aussieht. Unterstützung erhalten sie dabei von Volker Möws, Projektkoordinator von „Rollstuhlsport macht Schule“, und Jens Sauerbier, Spieler der deutschen Nationalmannschaft Rollstuhl-Rugby, die im Sommer bei den Paralympischen Sommerspielen in Paris antreten wird.

 Volker  Möws erklärt den Schülern die Handhabung eines Rollstuhls.
Volker Möws erklärt den Schülern die Handhabung eines Rollstuhls.
(Foto: Annette Schmidt)

In zwei Gruppen aufgeteilt steigen die Jugendlichen von zwei Füßen auf vier Räder um, wobei so mancher im Übermut einen Überschlag hinlegt. Das Ziel des Projektes ist, dass die Jugendlichen durch eigenes Ausprobieren Verständnis für die feinen Tücken des Alltags von Menschen mit Beeinträchtigungen erhalten. Gleichzeitig erleben sie den Rollstuhl als herausforderndes Sportgerät.

Auf vier Rollen unterwegs

Die erste Gruppe freundet sich bei Nieselregen vor der Turnhalle mit dem ungewohnten fahrbaren Untersatz an. Bereits die erste kleine Unebenheit sorgt ausgerechnet an einem leichten Anstieg für Stau. Rollstuhlfahren, das lernen die Schüler, folgt seinen eigenen Regeln und Kniffen. Mit purer Kraft lässt sich der Spalt im Asphalt nicht überwinden.

 Wenn man übermütig ist, kann man auch schnell mal umfallen.
Wenn man übermütig ist, kann man auch schnell mal umfallen.
(Foto: Annette Schmidt)

Gegen seinen Instinkt beugt sich Josef Kamar nach hinten, um mit Schwung die Hürde zu nehmen und dann geht es mit kurzen kräftigen Zügen weiter. Wenig später kommt er vom Weg ab und landet im aufgeweichten Grün, aus dem ihn seine Mitschüler mit vereinter Kraft heraushelfen. Dabei ist es für die Jungs Ehrensache, dass sie den Rollstuhl nicht verlassen. Der Stuhl des Achtklässlers neigt dazu, nach rechts zu fahren, weswegen er ständig gegensteuern muss.

 Max Kupprich und Josef Kamar erleben, wie sehr die Hände beim Rollstuhlfahren beansprucht werden.
Max Kupprich und Josef Kamar erleben, wie sehr die Hände beim Rollstuhlfahren beansprucht werden.
(Foto: Annette Schmidt)

Doch die eigentliche Herausforderung beim Fahren mit dem rund 4.500 Euro teuren Alltagsgefährt sind die Verbindungsstücke zwischen Reifen und Griff. Die scheuern ordentlich an den Händen. „Es ist, als hätte man kleine Steine im Schuh“, zieht Max Kupprich einen Vergleich. Der 14-Jährige muss trotz Regens seine Jacke ausziehen, da sie sich immer wieder in den Speichen verfängt.

Sportliche Leistungen

Josef hätte gern eine Runde in einem Discounter gedreht, um zu wissen, wie man durch die Gänge und an die Produkte kommt. Doch die Zeit für das Experiment ist knapp bemessen. In der Fragerunde will er Jens Sauerbier danach fragen. Der 37-Jährige lebt nach einem Autounfall 2003 mit einer kompletten Querschnittslähmung ab dem siebten Halswirbel.

Jens Sauerbier nimmt an den  Paralympischen Sommerspielen in Paris  teil.
Jens Sauerbier nimmt an den Paralympischen Sommerspielen in Paris teil.
(Foto: Annette Schmidt)

Einkaufen sei nicht so kompliziert und die preiswerteren Produkte habe er auf Augenhöhe. Der studierte Talentscout sagt rückblickend, dass er im Fußball – er spielte beim 1. FC Magdeburg – wohl nie so viel erreicht hätte wie in den Sportarten im Rollstuhl. „Wenn ihr mich fragt, was ich zurückhaben wollen würde. Da wären auf Platz eins die Körperfunktionen auf zwei meinen Händen. Und erst zum Schluss die Beine“, erklärt Sauerbier, der mehrmals am Tag seine Blase mittels eines Katheters entleert.

Justin Lange nimmt den Schwung des Körpers mit.
Justin Lange nimmt den Schwung des Körpers mit.
(Foto: Annette Schmidt)

Zum Fortbewegen hat der Sportler in seinen Sport- und Alltagsrollstühlen, die auf ihn wie zwei maßgeschneiderte Anzüge oder Schuhe perfekt angepasst sind, hervorragende Alternativen zu seinen Beinen. Warum er beim Rollstuhlsport – es gibt über 50 verschiedene Arten – so viel Spaß hat, können die Schüler nach der Stunde selbst einschätzen.

Felix Döring, Jacob Dietel, Dennis Höse und Lesley Werner haben den internen Wettkampf gewonnen.
Felix Döring, Jacob Dietel, Dennis Höse und Lesley Werner haben den internen Wettkampf gewonnen.
(Foto: Annette Schmidt)

Felix Döring, Jacob Dietel, Dennis Höse und Lesley Werner gewinnen mit ihrer Gruppe den Wettkampf beim Vorwärts- und Rückwärtsfahren. „Das ist wie beim Scooterfahren“, ruft einer aus der Gruppe. Denn mit einem Sportrollstuhl ist man verdammt schnell unterwegs. Laut Sauerbier stünde für ihn der Gewinner zwischen Läufer und Rollstuhlfahrer immer fest.

Die Achtklässler spielen eine Mischung aus Basketball und Rugby.
Die Achtklässler spielen eine Mischung aus Basketball und Rugby.
(Foto: Annette Schmidt)

Am Ende der Stunde sind sich die Jungs einig: Die Stunde war „megageil“ und sie würden so eine Rollstuhlsportstunde sofort wieder machen. Dieser Einschätzung schließt sich Vanessa Cukrowski an. „Es hat richtig Spaß gemacht und es war interessant, eine andere Perspektive zu bekommen“. Lisa Schildhauer, die ebenfalls die Klasse 8a besucht, fügt hinzu, dass es anstrengend war und sie beinahe die Runde um die Schule nicht geschafft hätte.