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Bauhaus statt Frauenkirche Warum eine Gruppe Amerikaner mit einem Flusskreuzfahrtschiff in Dessau „gestrandet“ ist

Weil Sachsen seine Häfen für Flusskreuzfahrtschiffe geschlossen hat, sind US-Bürger nach Dessau umgeleitet worden.

Von Thomas Steinberg 04.12.2021, 14:00
Stadtführerin Anke John führt die Gruppe amerikanischer Touristen zum Weihnachtsmarkt. Eigentlich hatten sie Dresden auf dem Programm stehen.
Stadtführerin Anke John führt die Gruppe amerikanischer Touristen zum Weihnachtsmarkt. Eigentlich hatten sie Dresden auf dem Programm stehen. (Foto: Thomas Ruttke)

Dessau/MZ - Amy Marschean hat die Koffer lediglich halb gepackt. Der freie Raum ist gedacht für Mitbringsel von deutschen Weihnachtsmärkten. Geschnitztes, „egg wine“ (meint sie Eierlikör?), auf jeden Fall möglichst Handgemachtes.

Die US-Amerikaner Amy und ihr Partner Paul Gilding sind am Montag gewissermaßen in Dessau gestrandet mit der „Viking Astrild“, einem Binnenkreuzfahrtschiff der Schweizer Reederei Viking Cruises. Die hat wegen der notorisch niedrigen Wasserstände Dessau bei den Elbetouren eigentlich schon vor Jahren aus dem Programm gestrichen. Seither pendelt man per Schiff zwischen Wittenberg und dem tschechischen Děčín mit Busanschluss von und nach Berlin beziehungsweise Prag. Doch am Dienstag lief das Schiff dennoch Dessau an.

Knapp 3.000 Dollar kostet die Tour „Christmas along the Elbe“

Knapp 3.000 Dollar kostet die Tour „Christmas along the Elbe“, also „Weihnachten an der Elbe“. Eigentlich mit Stationen in Torgau, Meißen und Dresden. Sachsen aber hat wegen der Pandemie für Kreuzfahrtschiffe seine Häfen geschlossen, Viking deshalb umdisponiert und Magdeburg, Hannover (per Busabstecher) und Dessau ins Programm aufgenommen. Wenn man Simon James, den Tourmanager fragt, ob das nicht ziemlicher „shit“ sei, grinst der fröhlich unter der Maske und erwidert: „You tell me.“ - Du sagst es.

Die „Viking Astrild“ hat  am Elbebogen festgemacht.
Die „Viking Astrild“ hat am Elbebogen festgemacht.
(Foto: Thomas Ruttke)

Dessau also. Gegen neun Uhr schiebt sich der Bug der „Viking Astrild“ um die letzte Elbekurve vorm Kornhaus und hält Kurs auf einen der beiden Anleger. Paul beobachtet das Anlegemanöver vom Bug aus. Mit Amy war er schon drei Mal auf Weihnachtsmarkttour in Europa. Die beiden stammen aus Richmond, Virginia. Washington liegt rund zwei Autostunden nördlich.

Die Leute sollen Zeit für den Weihnachtsmarkt haben

Der Dessauer Hafen für Kreuzfahrtschiffe ist ein grob gepflasterter Platz im Nirgendwo zwischen Kornhaus und Kläranlage. Über die Deichdurchfahrt kriechen drei Busse. Simon James ordnet denen drei Farben zu, Gästeführer Alexander Böhringer bekommt die grüne Gruppe. Eine Stunde wird er den Bus durch die Stadt lotsen. Die Leute sollen Zeit für den Weihnachtsmarkt haben, schärft Simon den Guides ein. In Hannover blieben dafür nur zehn Minuten, da seien die Gäste „pissed off“ gewesen, was hier mal unübersetzt bleibt.

Gegen 11 Uhr verlässt Team Grün den Bus am Bauhausmuseum. Alex Böhringer lotst die Gruppe zum Rathauscenter. Zum Rathauscenter, wirklich? Die Gruppe drängt hinein, das Ziel: Die Toiletten. Alle verschwinden darin. „Das“, kommentiert der Gästeführer trocken, „war doch mal ein voller Erfolg.“

In Bussen geht es vom „Kreuzfahrtterminal“ zwischen Deich und Kläranlage in die Innenstadt. Die Amerikaner stört’s nicht.
In Bussen geht es vom „Kreuzfahrtterminal“ zwischen Deich und Kläranlage in die Innenstadt. Die Amerikaner stört’s nicht.
(Foto: Thomas Ruttke)

Am Eingang zum Weihnachtsmarkt zücken alle ihre amerikanischen Pässe und das Blatt mit dem Impfcode

Weiter geht es zum Weihnachtsmarkt. „Meine Frau liebt Weihnachtsmärkte“, sagt Paul über Amy, die nur ein klein bisschen enttäuscht ist wegen Torgau, Meißen, Dresden. Viking habe das Beste aus der Situation gemacht. Und, nun ja, das sei ja schon ihre Dritte Weihnachts-Europa-Tour.

Am Eingang zum Weihnachtsmarkt zücken alle ihre amerikanischen Pässe und das Blatt mit dem Impfcode. „You’ve got to get the shot“, erklärt Paul, „man muss sich impfen lassen“, während Amy auf den ersten Stand mit Weihnachtsartikeln zusteuert und Paul sich über die Kindereisenbahn amüsiert, die mit Gepuffe und Gepfeife gerade losfährt. „Wird es schneien?“, fragt Amy. Laut Wetterbericht nicht.

Auf dem Becher steht „Dessauer Weihnachtsmarkt 2017“

Simon James hat die Touristen auf dem Weg nach Dessau bestens vorbereitet, hat vom Bauhaus erzählt, von Junkers, von der Zerstörung der Stadt. Vermutlich war das gar nicht so wichtig, denn auf dem Schiff sind etliche Weihnachtsmarktprofis beisammen. Auch Peter Cuthbert reist seit Jahren mit seiner Frau zu Europas Weihnachtsmärkten. Er sagt Europa, und ist kein Amerikaner, sondern Brite. Aber auch ihn scheint die massive Programmänderung nicht groß zu stören.

Nur Mitglieder der Reisegruppe kommen auf das Schiff.
Nur Mitglieder der Reisegruppe kommen auf das Schiff.
(Foto: Thomas Ruttke)

Amy hat am Stand nicht das Passende gefunden. Falls sie enttäuscht sein sollte, verbirgt sie das gut. Als Fan deutscher Weihnachtsmärkte ist sie in diesem Jahr Kummer gewöhnt. In Potsdam wurde der Weihnachtsmarkt kaum eröffnet wieder abgebaut. „Das war traurig.“ Am schmalen Ende des Dessauer Weihnachtsmarktes angekommen, teilen sich Amy und Paul „a little Glühwein“. Die Tasse nehmen sie mit, in den Koffern ist schließlich genug Platz. Auf dem Becher steht „Dessauer Weihnachtsmarkt 2017“.