Jubiläum für die Rennpappe Jubiläum für die Rennpappe: Was vom Trabi übrig bleibt

Halle (Saale) - Er hatte ganz am Ende auch ein paar gute Tage. Der Trabant, das Auto, das Traum und Alptraum der DDR-Bürger war, avancierte zum coolen Lifestyle-Accessoire. Die irische Rockband U2 kurvte in einer himmelblauen Rennpappe durch Berlin. Wer in sein wollte in der Schickimicki-Szene von München oder Hamburg, legte sich einen Plastebomber als Zeitgeist-Souvenir zu. Die eben noch für viel DDR-Geld gekauften Trabis, die wie Mahnmäler des gescheiterten Sozialismus auf ostdeutschen Straßen standen, dienten Jugendlichen Samstagnacht als Einweg-Transporter zur nächsten Disco. Schnell geknackt, auf irgendeinem Acker leergefahren. Ein Spaßmobil.
Im 60. Jahr nach Produktionsstart wird der Trabant zum Gefährt für die Zukunft
Für Rolf Becker sowieso. Der Hallenser war zu DDR-Zeiten mit einer Drehorgel unterwegs, um einem Job in den halleschen Pumpenwerken zu entkommen, der „sich nicht anfühlte, als könnte ich das mein Leben lang aushalten“. Als Kleinkünstler in der Arbeiter- und Bauernrepublik lernte der studierte Ingenieur, dass es immer nur das Spektakuläre ist, das Aufmerksamkeit generiert. Mit dem Ende der DDR wird Drehorgelrolf so zu D-Rolf. Und statt eine Orgel zu schieben, fährt der Aufmerksamkeitsdompteur nun mit einem Trabi vor. Das zieht die Blicke an, das befriedigt die ewige Bildersucht von Zeitungen und TV-Sendern, von denen D-Rolf weiß: „Die brauchen eine Sau, die sie durchs Dorf jagen können, und die mache ich ihnen.“ Zuletzt mit einem rot-schwarzen Monster-Trabant, in dem ein Acht-Zylinder-Biogas-Aluminiummotor auf Audibasis tuckert, der solar, mit Wasserstoff oder mit Benzin betrieben werden kann.
Im 60. Jahr nach dem Produktionsstart am 7. November 1957 in Zwickau verwandelt sich das Auto aus der Vergangenheit in ein Gefährt für die Zukunft, das es schon immer gewesen ist: bescheiden, nachhaltig und ohne ressourcenverschlingenden Schnickschnack. 600 Kilo leicht, braucht es knapp drei Trabant, um einen durchschnittlichen BMW, Mercedes oder VW aufzuwiegen. Mit sechs Liter Gemisch auf 100 Kilometer liegt der Spritverbrauch des Mitte der 50er Jahre entworfenen und geplanten Kleinwagens um ein Viertel unter dem aktuellen Durchschnittsverbrauch der gesamten deutschen Pkw-Flotte. Kein Wunder, denn mit gerade mal 30 PS in der am kräftigsten motorisierten Version bringt der Trabant auch nur ein Viertel der durchschnittlichen Motorleistung eines deutschen Normal-Pkw auf die Straße.
2,97 Millionen von insgesamt knapp 3,1 Millionen Trabis sind mittlerweile verschwunden
Rolf Becker ist in den Jahren seit 1990 zum Weltbotschafter des katalysatorfreien 3,30-Meter-Wagens mit Lenkradschaltung und Chromzierleisten als spektakulärstem Extra geworden. Becker, inzwischen an die 70 Jahre alt und mit der Erfahrung von 80 Trabis, hat mit dem Trabant Wüsten durchquert und Ozeane überwunden, er hat ihn durch Sümpfe getrieben, auf Berge und durch die afrikanische Savanne. Der Trabi hat ihn im Stich gelassen, aber dann auch wieder gerettet. Auf Schlagzeilen wie „Orgelrolf in der Wüste verschollen“ oder „Irrer Deutscher im Kartonauto“ gründet sich heute das Geschäftsmodell des Hallensers: Blicke anziehen. Und sie weiterlenken auf Werbekunden, die Becker im modernen Marketingsprech seine „Partner“ nennt.
Der Trabant ist im Kapitalismus angekommen. Die ersten 2,97 Millionen von insgesamt produzierten knapp 3,1 Millionen Fahrzeugen verschwanden Jahre aus dem Straßenbild. 1992 waren noch fast eine Million Trabant offiziell zugelassen, 2002 nur noch knapp über einhunderttausend. Bis 2014 fiel die Zahl nach Angaben des in der Trabi-Stadt Zwickau ansässigen Internationalen Trabant-Registers intertrab.com bis auf nur noch 24 000 - um seitdem wieder kräftig anzusteigen. Nach Daten des Kraftfahrt-Bundesamtes betrug der Bestand am 1. Januar 2017 34 449 Trabant unterschiedlicher Bauarten.
Das DDR-Kultauto, erst heißbegehrt und dann schnöde verachtet, ist wieder wer
Das DDR-Kultauto, erst heißbegehrt und dann schnöde verachtet, ist wieder wer: Viel seltener als ein Porsche oder Smart, aber auch ein Vierteljahrhundert nach Produktionseinstellung viel weiter verbreitet als Tesla, Lotus, Lada, Bentley oder Ferrari.
Wagen, mit denen der alte Zwickauer mithalten kann, wie der aus Möser bei Magdeburg stammende Rallye-Fahrer Michael Kahlfuss bewiesen hat. Bei der legendären East African Safari Rally über die Buckelpisten von Kenia ließ der frühere Toyota-Pilot in seinem 40 Jahre alten Trabant mit dem Kosenamen „Fritzi“ gleich drei Ferrari, drei Porsches und einen Mercedes im Gesamtklassement hinter sich.
Ein Zweitakter, in dem ein Herz schlägt, dem schlechte Laune und Erkrankung noch anzuhören sind, der einen eigenen Namen trägt und damit zum Familienmitglied wird wie der himmelblaue Trabant „Schorsch“ im Kinohit „Go Trabi Go“, der den Duroplast-Kasten als gesamtdeutsches Einheitssymbol etablierte. Das müsste reichen, um aus dem Namen, den jeder kennt, ein Produkt zu machen, das jeder haben will, denkt sich Klaus Schindler, als er 2009 einen Anlauf unternimmt, dem alten Trabant als „New Trabi“ ein neues Leben zu schenken. Gemeinsam mit der sächsischen Spezialfahrzeugschmiede Indikar plant der Chef des Modellautoherstellers Herpa damals die Auferstehung des Trabant als Elektrofahrzeug - ein bisschen Mini, ein bisschen Trabi, ein Tesla mit Solardach, drei Jahre, bevor der US-Elektroauto-Pionier mit seinem Model S ein erstes alltagstaugliches Auto auf die Straße bringt.
Der „Sound des Ostens“ wird also irgendwann verstummen
Das Comeback scheitert an 30 Millionen Euro Startinvestition, die im Autoland Deutschland nicht aufzubringen sind. Der „Sound des Ostens“, wie die Regensburger Historikerin Luminita Gatejel das Knattern des Trabant nennt, wird also irgendwann verstummen. Was bleibt, ist Erinnerung. Und eine augenzwinkernde Hymne der Bitterfelder Rockband Goitzsche Front: „Nur Männer aus Stahl fahren Autos aus Pappe“. (mz)