Fechten Fechten: «Viele Nerven gelassen»

LONDON/MZ. - Es war eine ruhige Nacht für Britta Heidemann. "Ich bin ins olympische Dorf gegangen, habe kurz noch mal in den Computer geschaut und den Fernseher angemacht, und dann hab' ich wunderbar geschlafen", berichtete die erste deutsche Medaillengewinnerin der Olympischen Spiele von London gestern, am Morgen nach einem aufregenden Wettkampftag.
Es schläft sich sicher gut mit einer Silbermedaille, zumal für eine, die vor vier Jahren in Peking schon Gold gewonnen hatte. Natürlich hätte sie das Finale gegen die Ukrainerin Jana Schemjakina gern gewonnen und so den Triumph von 2008 wiederholt. "Ich habe wirklich bis zum letzten Atemzug gekämpft", sagte die 29-jährige Kölnerin, doch im Sudden Death setzte ihre Gegnerin den entscheidenden Stoß. Heidemann nahm es tags darauf mit einem entspannten Lächeln: "Zum letzten Treffer hat's nicht gereicht."
Grund dafür könnte das Halbfinale gegen die Südkoreanerin Shin A Lam gewesen sein - genauer gesagt: dessen Nachspiel, über das auch die sonst stark auf das britische Team fixierten englischen Zeitungen gestern umfangreich berichteten. "Das war natürlich ein absolutes Drama, da habe ich schon viele Nerven gelassen."
Quälend lange 25 Minuten hatte das Kampfgericht benötigt, um zu entscheiden, dass Heidemann den entscheidenden Treffer zum 6:5 gerade noch rechtzeitig angebracht hatte. Die Deutsche hatte alles auf eine Karte gesetzt und Shin A Lam in der letzten Sekunde des Gefechts sage und schreibe dreimal getroffen. Nach dem ersten Doppeltreffer ließ die österreichische Obfrau Barbara Csar die runtergelaufene Uhr wieder auf eine Sekunde setzen, weil sie Zweifel an dessen Korrektheit hatte. Nach einem weiteren Doppeltreffer war die Sekunde immer noch nicht abgelaufen, was Heidemann ihren dritte, die siegbringende Attacke erlaubte. Innerhalb der erlaubten Zeit, denn sonst wäre der Treffer nicht mehr angezeigt worden.
Shin A Lam brach in Tränen und die Riege der Offiziellen am Rande der Planche in wildes Palaver aus. Als sie sich letztlich einigten und der späteren Silbermedaillengewinnerin den Sieg zusprachen, blieb die bitter enttäuschte Südkoreanerin aus Protest auf der Planche sitzen. "Nach dem Reglement ist das klar. Man kann der Schiedsrichterin und natürlich erst recht unserer Athletin überhaupt keinen Vorwurf machen", betonte Heidemanns Trainer, der Sportdirektor des Deutschen Fechterbundes Manfred Kaspar. Das änderte freilich nichts mehr daran, dass die Kampfrichterin aus Österreich im Internet als voreingenommen und rassistisch beschimpft wurde.
Heidemann fühlte mit dem gegnerischen Lager und äußerte Verständnis für den Einspruch des südkoreanischen Teams. "Das hätten wir im umgekehrten Fall auch gemacht." Die bangen Minuten des Wartens schilderte sie gestern so: "Wir wussten überhaupt nicht, wie uns geschieht. Es hätte ja alles passieren können."
Für Michael Vesper hatte die Vorzeigefrau des Degenfechtens am Montagabend im Wortsinn für einen Silberstreif am düsteren Horizont der deutschen Medaillenhoffnungen gesorgt. Der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbunds und Chef de Mission der Olympiamannschaft hatte offenbar auch ein bisschen besser geschlafen als in den medaillenlosen Nächten zuvor und rief überschwänglich das Heidemann-Zeitalter aus: "Die Britta hat für unsere Mannschaft eine Kerze angezündet. Die müssen wir nicht ins Fenster stellen, sondern als Zündkerze benützen, damit der Motor anspringt."
Ein Automechaniker wird definitiv nicht mehr aus dem Ex-Politiker der Grünen, aber er wird ja in diesen Tagen von London auch eher als Motivationscoach gebraucht. Britta Heidemann gab denn auch brav zu verstehen, dass sie keinerlei Problem damit hat, Zündkerzen-Kerze zu sein. Sie fühlt sich wohl im Licht der Öffentlichkeit. Und dass sie im Degenfechten eine Klasse für sich ist, hat sie nun nach einem schwächeren Jahr 2011, in dem sie immerhin Vize-Europameisterin wurde, nachgewiesen. Dass es zuletzt auch kritische Stimmen gab, hat Heidemann geärgert. "Man kann einfach nicht vier Jahre auf 100 Prozent laufen, das ist auch ungesund", sagte sie.
Wobei, ein bisschen ungesund darf es bei ihr ab und zu schon sein. Am Montag gönnte sie sich nach getaner Arbeit in der Mensa im olympischen Dorf noch einen Burger. Auf die Frage der Mitarbeiterin, wie es ihr gehe, tat Heidemann nur eines: Sie kramte ihre Silbermedaille hervor.