Dorfgeschichte Dorfgeschichte: Wasser soll wieder sprudeln
Neuragoczy/MZ. - Statt Mineralwasser sprudeln in dem alten Firmengelände des ehemaligen Betriebes "Neura" in Bad Neuragoczy eigenwillige Ideen. Und statt Maschinenlärm gibt es dort inzwischen Vogelgezwitscher und Kunstwerke. Denn in der Bilderbuch-Idylle zwischen Dölau und Brachwitz, die genau vor 150 Jahren als das "Bad Neu-Racoczi" entstanden war, arbeiten seit 1994 die Fotografin Karin Böhme und Formgestalter Udo Fleischhauer.
Die beiden Geschäftspartner der Agentur "Blende 8" kauften das Gelände, "weil es so schön großräumig war", sagt Böhme. Genau das, was sie in Halle "außer zu horrenden Preisen" nicht fanden. Ein halbes Jahr lang halfen Freunde beim Entrümpeln. Dennoch sollte soviel wie möglich von dem "morbiden Charme" erhalten bleiben. Viele Einheimische und ehemalige Mitarbeiter der Neura hätten sich inzwischen erkundigt, was die beiden mit dem Gebäude vorhätten. "Und mit den Besuchern kommen die Geschichten", freut sich Böhme.
Da wäre etwa der Kasten Mineralwasser in einem der Sammelbecken, den ein Neura-Arbeiter in seiner Not hineingeworfen hatte. Der Mann sei beim Stehlen fast erwischt worden, erzählt die Fotografin, und so sei ihm beim Weglaufen nur noch geblieben, den Kasten in eine der Zisternen zu werfen. "Genau dort liegt er noch heute." Über das Dach dringt das Licht großflächig ein - und leider auch jede Menge Wasser, denn die alte Abdeckung ist bis jetzt nicht dicht. "Es ist wie verhext. Wenn wir eine Stelle flicken, tropft es durch eine andere." Deshalb haben die beiden das Ausbessern aufgegeben, wollen die Halle nun als dachlosen Innenhof gestalten. Mit kleinen Wasserläufen und -lachen, in denen Schilf wächst, entwirft die Fotografin ein Bild.
Genug Wasser sei schließlich vorhanden angesichts der vielen Quellen in der Gegend. Für die kommenden Jahre haben sich die PR-Leute vorgenommen, den ursprünglichen Charakter des Ortes wieder aufleben zu lassen. Schließlich sei Neuragoczy einst ein Kurort gewesen, geprägt von den vielen Quellen, die dort aus dem Porphyr sprudelten. Diesem Ursprung folgend, könnten sich Böhme und Fleischhauer eine Mineralwasser-Bar vorstellen - für die vielen Radfahrer, die über den Wanderweg Barby - Hof in die Halle kämen und nach Getränken fragten. Deshalb biete sich auch eine Fahrradwerkstatt an.
Die vielen historischen Bilder und Texte, die Besucher mitbringen, hat Böhme bereits in einer Ausstellung verarbeitet, die allerdings im Moment nicht zu sehen ist. Denkbar wäre auch die Einbeziehung der Umgebung, glaubt Böhme. Die verschiedenen Gesteine könnten an den Wanderwegen ausgezeichnet und mit Kunst kombiniert werden. : Der Dölauer Arzt Hermann Runde ließ sich 1847 die Konzession für die Nutzung der Quellen als Heil- und Trinkquellen erteilen. Er baute ein Brunnen- und ein Badehaus. Da eine Analyse des Wassers eine ähnliche Zusammensetzung wie eine Bad Kissinger Quelle, benannt nach dem ungarischen Fürsten Rakoczi, ergeben hatte, gab Runde seinem Kurort den Namen Bad Neu-Rakoczi. Im Juli 1851 eingeweiht, war das Bad bald begehrtes Ausflugsziel geworden.
1920 wurde dort die erste Flasche Mineralwasser abgefüllt, 1954 gingen die Neura-Mineralquellen in einen volkseigenen Betrieb über. Wegen zu hoher Nitrit- und Nitratwerte kam 1988 das Aus für die Quellen.