1. MZ.de
  2. >
  3. Panorama
  4. >
  5. Stars
  6. >
  7. Carmen Thomas: „Abstand schafft Distanz im Herzen“

Moderatorin Carmen Thomas: „Abstand schafft Distanz im Herzen“

Carmen Thomas ist noch vielen in Erinnerung als Moderatorin der Kult-Sendung „Hallo Ü-Wagen“. Jetzt wird die Journalistin 75 - und macht sich Sorgen über die Langzeitfolgen von Corona.

Von Christoph Driessen, dpa 06.05.2021, 11:25
Carmen Thomas macht sich große Sorgen über die Langzeit-Folgen von Corona.
Carmen Thomas macht sich große Sorgen über die Langzeit-Folgen von Corona. Oliver Berg/dpa

Köln

Carmen Thomas hält es bis heute so, dass sie die Zahl ihrer Geburtstagsgäste von ihrem Alter abhängig macht. „Wie beim Kindergeburtstag.“

Das hätte eigentlich bedeutet, dass sie an diesem Freitag (7. Mai) mit 75 Gästen gefeiert hätte. Was natürlich wegen Corona nicht geht. Stattdessen hat sie sich von ihren Freundinnen und Freunden gewünscht, dass sie nacheinander bei jeder und jedem von ihnen zum Essen vorbeikommt. Sie lässt sich bekochen. „Lauter portionierte Geburtstagsfeiern also.“ Thomas sagt von sich selbst, dass sie „ein sehr treuer Mensch“ ist. Sie pflegt jahrzehntelange Freundschaften.

Die in Düsseldorf geborene Journalistin moderierte als erste Frau „das aktuelle sportstudio“ im ZDF, aber ihre große Lebensleistung ist die WDR-Radiosendung „Hallo Ü-Wagen“, die sie 1974 übernahm und 20 Jahre behielt. Thomas brachte ganz normale Hörer und Hörerinnen mit Politikern und Experten zusammen, und zwar nicht in der damals üblichen Manier von „Bürger fragen - Politiker antworten“, sondern eher nach dem Motto: „Jetzt reden wir Tacheles!“ Das war neu. Und hat sie, zumindest im Sendegebiet des WDR, zu einer wirklichen Kultfigur und zu einem Vorbild vor allem für Frauen gemacht.

Ihren Fans sei gesagt: Carmen Thomas geht es gut. Allerdings macht sie sich im Augenblick große Sorgen über die Langzeit-Folgen von Corona. „Ich befürchte, dass das unser aller Leben ganz nachhaltig und dauerhaft verändern wird“, sagt sie der Deutschen Presse-Agentur in Köln. „Und zwar auf eine Weise, die ich ganz problematisch finde.“

Carmen Thomas sieht es so: Menschen brauchen Nähe, Berührung, Kontakt, aber all das ist nun schon so lange reduziert. Für ein Kind im Kindergartenalter dürfte es inzwischen ganz normal sein, dass die Leute auf der Straße Masken tragen und man darauf bedacht ist, niemandem zu nahe zu kommen. Das Kind kann sich an nichts anderes erinnern. „Dass die ganz Kleinen das jetzt als Normalität kennenlernen, halte ich für schrecklich.“

Wenn sich Menschen für nun schon mehr als ein Jahr systematisch aus dem Weg gehen, kann das nicht ohne Folgen bleiben, ist ihre Überzeugung. „Diese - jetzt berechtigte - Angst, dieses Misstrauen, dass Menschen einen Bogen umeinander machen, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr zusammenstehen und dass die Masken dazu führen, dass ich die Gesichter der Menschen nicht mehr lesen kann, das hat ganz furchtbare Folgen.“

Sie befürchtet bei vielen eine über die Pandemie hinaus andauernde innere Verunsicherung. „Physischer Abstand schafft auch Distanz im Herzen. Und dann fühlt man sich nicht mehr zuständig für andere.“

Schon zeichnet sich ab, dass viele Unternehmen weiterhin bei Video-Konferenzen bleiben wollen. Praktisch und billig, so die vorherrschende Meinung. Carmen Thomas sieht es anders: „90 Prozent der Kommunikation läuft über unbewusste Stränge.“ Nuancen im Gesicht, Körperhaltung - solche Dinge. Das aber bekomme man in Videoschalten nur bedingt mit. Die Folge von all dem: Die Gesellschaft bleibt dauerhaft auf Distanz - auch wenn die Pandemie hoffentlich bald mal überstanden ist. „Ich glaube, dass sich ganz viele Menschen, die sowieso schon Angst vor Fremdem und Unbekanntem haben, auch weiterhin mit Masken schützen werden.“

Neben diesen großen Nachteilen kann sie auch einige Vorzüge erkennen. „Die Nachbarschaften wachsen mehr zusammen und nehmen sich ernster“, ist ihr aufgefallen. „Wir wissen die Natur mehr zu schätzen, zum ersten Mal sehen wir, was da Wunderbares wächst. Und wir merken, wie schön es ist, ins Kino zu gehen und essen zu gehen, und was wegbricht, wenn die ganzen sozialen Kontakte beendet sind. Erst durch das Fehlen wird die Wertschätzung gesteigert.“