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Eine der ungewöhnlichsten Meisterschaften Setzbügeleisen-Eisschießen in Braunlage: Eine der ungewöhnlichsten Meisterschaften - Mit Omas Bügeleisen auf Dosen gezielt

Von Julius Lukas 18.03.2019, 11:00
Das Eisen rumpelt über das Eis: MZ-Reporter Julius Lukas (rechts) kämpfte bei den Meisterschaften im Setzbügeleisen-Eisschießen mit technischen Problemen.
Das Eisen rumpelt über das Eis: MZ-Reporter Julius Lukas (rechts) kämpfte bei den Meisterschaften im Setzbügeleisen-Eisschießen mit technischen Problemen. Sascha Mock

Braunlage - Jetzt gilt es. Das Achtelfinale lockt und ich muss mich konzentrieren. Doch was ist plötzlich mit meinem Bügeleisen los. Es eiert über das Eis wie ein Betrunkener, der über einen Schwebebalken gejagt wird. Ich visiere die bunten Dosen an, treffe aber mit schlafwandlerischer Sicherheit nur die Lücken dazwischen. So wird es nichts mit dem Achtelfinale. Und schon gar nichts mit dem Titel.

Denn ich will Deutscher Meister im Setzbügeleisen-Eisschießen werden. Dazu bin ich am Samstag nach Braunlage gefahren. Der niedersächsische Harz-Ort an der Grenze zu Sachsen-Anhalt ist Austragungsstätte des ungewöhnlichen Wettbewerbs.

Auf einer Eisfläche werden mit Bügeleisen aus Omas Zeiten Dosen umgekegelt. Eine Mischung aus Eisstockschießen und Jahrmarkt-Zielwerfen. Zum 23. Mal findet das Turnier statt. Und ich bin dabei. Ohne Vorkenntnisse, ohne auch nur eine Übungsstunde. Aber mit viel Euphorie.

Mit Rollator beim Setzbügeleisen-Eisschießen

Um mich anzumelden, hatte ich in der vergangenen Woche bereits Bubi Reis angerufen. Er ist der Cheforganisator der Meisterschaft. Am Telefon erzähle ich ihm, dass ich nicht nur gucken, sondern auch mitmachen will. „So sind schon einige als Deutsche Meister nach Hause gefahren“, sagt er. Der Wettkampf findet im Eisstadion von Braunlage statt. Elf Uhr geht es los. Ich bin etwas früher da - zum Üben. Bubi Reis gibt mir eine kurze Einweisung.

Das Bügeleisen soll ich locker halten und so aufsetzen, dass ich die bunten Dosen treffe. Die rote in der Mitte zählt am meisten. Klingt einfach, ist aber kompliziert. Mein erster Versuch verkümmert, bevor er das Ziel erreicht hat. Der zweite macht Purzelbäume auf dem Eis - zu viel Kraft. Das dritte Eisen jedoch findet sein Ziel, als wäre es mit einem Navigationsgerät bestückt. Die rote Dose fliegt durch die Luft. Zehn Punkte. Ich höre auf zu trainieren. Den Schwung muss ich mitnehmen.

Doch erst einmal ist Warten angesagt. Über 60 Teilnehmer bei Herren, Damen und Jugend haben sich angemeldet. Und in der Qualifikationsrunde muss jeder 36 Würfe machen - das dauert. Ich nutze die Zeit, um mir die Konkurrenz anzusehen. Einige wirken routiniert, andere vom Weg ihrer Eisen eher irritiert. Dann fällt mir eine Frau auf, die in der einen Hand ein Bügeleisen und in der anderen den Griff ihres Rollators hält. Es ist Ingrid Schnute, 85 Jahre alt, die älteste Teilnehmerin im Turnier. „Mein Sohn meldet mich immer an“, sagt Schnute. Seit 12 Jahren schon. „Und ich mache gerne mit, auch wenn es nur noch mit Rollator geht.“

„Das ist ein witziges Turnier, deswegen sind wir wiedergekommen“

Ich bin beeindruckt. Wer mit 85 Jahren noch Bügeleisen über eine Eisbahn schwingt, hat in seinem Leben viele richtig gemacht. Ingrid Schnute motiviert mich. Dann bin ich dran. Ich tapse auf das Eis. Dort ist schon eine Abordnung aus Sachsen-Anhalt zu Gange.

Drei Derenburger (Kreis Harz), die zum zweiten Mal dabei sind. „Das ist ein witziges Turnier, deswegen sind wir wiedergekommen“, sagt Matthias Jahn. Und Kalle Hähnel zeigt stolz ein mitgebrachtes Bügeleisen: „Das ist von 1900, aus dem Familienbesitz - habe ich heute morgen extra noch gewachst“, sagt er. Na wenigstens ein Sachsen-Anhalter ist gut vorbereitet, denke ich.

Dann geht es los. Doch ich beginne trostlos. Mein erster Versuch macht einen Looping und kullert nur bis zur Hälfte. Die Schiedsrichterin, die mir gegenüber steht und eigentlich die Eisen zurückwirft, winkt mir. Ich soll mein Wurfgerät selbst holen. Ich schleiche bedröppelt über die Fläche. Fliege ich hier mit null Punkten raus? Das Gefühl verstärkt sich, als die nächsten beiden rechts daneben gehen.

Fast treffe ich sogar die Nebenbahn. Darauf steht die Höchststrafe. Aber dann fällt eine weiße Dose. Ich bin erleichtert und starte eine Serie: weiß, grün, weiß. Und schließlich gleitet mein Eisen auf Rot zu - und segelt vorbei. Hauchdünn. Es ist zum Schreien. Ich stelle mich etwas nach links, um meinen Rechtsdrall auszugleichen. Wenn es bei der Technik klemmt, muss es eben die Taktik richten. Und nun läuft es. Rote Dosen fallen. Am häufigsten jedoch die grünen. Egal, es geht ums Überleben.

MZ-Reporter qualifiziert sich für Finale im Setzbügeleisen-Eisschießen

Nach 36 Versuchen bleibt trotzdem viel Ungewissheit. Wie viele Punkte ich habe? Keine Ahnung, die Schiedsrichterin hat gezählt. Was ich aber weiß: Bei den Herren gibt es 38 Teilnehmer. Und um die Qualifikation zu überstehen, muss ich unter die Besten 32 kommen. Das nicht zu schaffen, wäre schon eine Enttäuschung. Scheitern ist keine Schande, aber verdammt schade.

Nach 20 Minuten wird eine Tabelle auf eine Leinwand projiziert. Um mich zu finden, beginne ich die Rangliste von unten zu lesen - das scheint mir naheliegender. Nach elf Namen taucht dann meiner auf. 188 Punkte, Platz 27. Ich habe mich qualifiziert. Aufatmen, doch geschafft ist noch nichts. Denn im Finale wird das Teilnehmerfeld jede Runde halbiert. Um ins Achtelfinale zu kommen, muss ich zu den Besten 16 gehören. Herkules hatte eine nicht viel schwerere Aufgaben, finde ich.

Sachsen-Anhalt ist ausgeschieden

Im Endkampf hat jeder nur noch zwölf Versuche. Ich probiere, locker zu bleiben, doch der Schwung der Qualifikation ist verflogen. Ich hadere mit dem Eis, dem Eisen und der Beleuchtung. Vielleicht ist auch die Mondphase Schuld? Doch wie immer gilt: Wenn du nicht schwimmen kannst, liegt es sicher nicht am Wasser.

Nach meinen zwölf Versuchen habe ich ein schlechtes Gefühl. Und die Auswertung bestätigt das. 50 Punkte bedeuten Platz 25. Zum Achtelfinale fehlen 18 Zähler. Auch das Derenburger Trio schafft es nicht. Sachsen-Anhalt ist ausgeschieden.

Ich schleiche aus der Halle und komme an Ingrid Schnute vorbei. „Ich muss noch mal aufs Eis“, schmettert die 85-Jährige mir entgegen. Mit 66 Punkten hat sie es bei den Frauen in die nächste Runde geschafft. Am Ende wird sie sogar Fünfte. Liegt es also an der Erfahrung? Oder gar am Rollator? Egal, ich bin stolz auf die Finalteilnahme. Und Bubi Reis hat mir schon verraten, dass am 14. März 2020 die nächste Deutsche Meisterschaft im Setzbügeleisen-Eisschießen stattfindet. Ein Jahr zum Üben - das sollte reichen.

Geschichte des Sports: Von Fuchs bis Treppenterrier

Das Setzbügeleisen-Eisschießens wurde 1986 von Ullrich Fuchs erfunden. Er habe damals die Skier seiner Familie gewachst, erzählt er. „Dazu benutzte ich ein altes Bügeleisen.“ Zum Abkühlen ließ Fuchs es über eine Eisfläche vor dem Haus schliddern. „Meiner Frau und den Kindern hat das gefallen, deswegen machten wir ein Spiel daraus.“ Die Sportart war geboren. Und im selben Jahr fand bereits das erste Turnier statt. 1997 dann die erste Deutsche Meisterschaft.

Seit 2012 wird die Deutsche Meisterschaft von dem Verein „Treppenterrier Bockenem“ ausgerichtet. Bockenem ist ein Ort in Niedersachsen. Treppenterrier geht auf den Vereinschef Bubi Reis zurück. Der arbeitete bei der Post. Die Zusteller, die immer Treppe rauf und runter laufen müssen, bezeichnete man dort als Treppenterrier. Die 23. Meisterschaft 2019 hat bei den Herren Rainer Schnute, bei den Frauen Lydia Bittermann und in der Jugend Bjarne Reis. (mz)